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Intrigant. Gertrud (Catherine Stoyan) und Claudius (Aram Tafreshian).

© Ute Langkafel

„Hamlet“ am Maxim Gorki Theater: Der Dänenprinz aus "Dschörmennie"

Regisseur Christian Weise verlegt die Handlung an ein Filmset in Berlin. Der Geist von Hamlets Vater ähnelt erstaunlich Karl Marx.

Leicht hatte es der Dänenprinz Hamlet noch nie. Zur Beerdigung seines Vaters ins heimische Schloss gerufen, stellt er fest, dass seine Mutter Gertrud neu liiert ist: ausgerechnet mit seinem Onkel Claudius, dem neuen Machthaber. Zu nächtlicher Stunde erscheint dem gebeutelten Hamlet auch noch der Geist seines toten Vaters und erklärt, dass er hinterrücks ermordet worden sei – von Claudius. Er möge ihn bitte schön rächen.

Diese Aufgabe, die Hamlet bereits bei Shakespeare überfordert, gestaltet sich in Christian Weises Inszenierung am Gorki Theater noch komplizierter. Hier geht es nicht nur um kleine Familien-, sondern große Ideengeschichte. Der väterliche Geist sieht aus wie Karl Marx und trägt als Schuhwerk zwei kleine Filz-Panzer an den Füßen, die Rohre schussbereit aufs Gegenüber gerichtet. Unter der Marx-Perücke steckt Schauspielerin Ruth Reinecke, die sich mit dieser Rolle nach über vierzig Jahren würdig aus dem Gorki-Ensemble verabschiedet und noch einmal daran erinnert, was und wie auf dieser Bühne zu DDR-Zeiten gespielt wurde.

Aus den Tiefen tauchen plötzlich wieder Revoluzzer-Ideale auf

Wir sind also nicht in Dänemark, sondern mitten in „Germany“ oder „Dschörmennie“, wie die Schauspieler gern sagen. Direkt in der Gegenwart des Maxim Gorki Theaters, in dem Akteurinnen und Akteure aus Damaskus, New York, Magdeburg oder eben (Ost-)Berlin zusammen an einer möglichst coolen „Hamlet“-Variante stricken und dabei von Geistern der Vergangenheit heimgesucht werden: von abgehalfterten Ideen und privaten Erinnerungen, die kollektive Herkunftsnarrative spiegeln, von Leichen und Revoluzzer-Idealen, die im Keller Staub angesetzt haben.

Weise gelingt ein Abend, der ebenen- und geistreich sowie unterhaltsam ist. Um alle Stränge zu bündeln, hat er sich für ein Filmset als Grundkonstellation entschieden: Der von Oscar Olivo gespielte Hamlet-Kumpel Horatio ist hier ein mittelmäßiger New Yorker Filmregisseur, der in der Hauptstadt von „Dschörmennie“ seine Chance auf ein Erfolgsprojekt wittert. Da geht es weniger um historische Genauigkeit als steile Thesen: Weises Inszenierung badet genüsslich in ihrem Overkill an Ideen und Bezügen, an Bildern und Darstellungslust.

Julia Oschatz schuf als Bühnenbild ein kleines Meisterwerk

Im Container, der als temporäre Zusatzspielstätte vor dem Gorki steht, hat Julia Oschatz ein kleines Meisterwerk von einer Filmset-Rauminstallation gebaut, die auf die Bühnenwelten von Vegard Vinge und Ida Müller rekurriert. Das „Hamlet“-Movie, das hier über weite Strecken des Abends gedreht wird, wird über die gesamte Bühnenbreite als Live-Film projiziert.

Man sieht Aram Tafreshian in diesem Möchtegern-Hit als pragmatischen Claudius, der rein optisch an den für seine Shakespeare-Verfilmungen berühmten Schauspieler Kenneth Branagh und ideell an einen sozialdemokratischen Politfunktionär gemahnt. Nach wie vor rauscht der neue Staatschef, nachdem er sich buchstäblich des Marx’schen Geistes entledigt hat, per Fahrstuhl aus den oberen Realo-Etagen der Macht hinab in seinen grauen Devotionalien-Keller, um sich an den Büsten von Karl und Rosa zu wärmen. Auf dem Weg zurück nach oben wird schnell noch Polonius, der Hausangestellte mit Migrationsgeschichte (Falilou Seck), für (familien-)politische Zwecke instrumentalisiert. Nebst seiner Tochter Ophelia, die Kenda Hmeidan mit einer Klarheit und Kitschfreiheit spielt, wie es bei dieser Rolle selten gelingt.

[Wieder am 8. und 10. Februar]

Catherine Stoyan brilliert als Claudius’ frisch anvermählte Gattin mit neckischem Braut-Anzug, großartiger Betonfrisur und Versteinerungsmiene. Sohn Hamlet outet sich in Gestalt der Schauspielerin Svenja Liesau als Ostlerin aus Magdeburg. Liesau tritt regelmäßig aus dem Filmset heraus an die Rampe und definiert in einem Potpourri aus Zuschauerprovokation, Berufsbefindlichkeitsgeplauder und Meta-Theater-Diskurs das Genre der Publikumsansprache neu. Unglaublich, wie differenziert und gegenwartsdurchlässig die Schauspielerin diesen Dänenprinzen aus „Dschörmennie“ spielt: verletzend, verletzt, tragödisch und trashig, knallhart im Austeilen, stolz im Einstecken, temporär romantisch verliebt und am Ende butterweich beim Sterben – ein Ereignis!

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