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Es greift um sich. Nicht nur Arno Schmidt und Umberto Eco, auch die Autoren der Serie „Stranger Things“ ließen sich von Lovecrafts Tentakelmonstern inspirieren.

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H. P. Lovecrafts kosmisches Grauen: Gegen die Null

H. P. Lovecraft hat die Horrorliteratur und die Popkultur geprägt wie kaum ein anderer. Zum 80. Todestag des Autors erscheinen eine Biografie und eine Werkausgabe.

Es ist viel Unsinn geschrieben worden über Howard Phillips Lovecraft. Nicht zuletzt von ihm selbst. Oder wie soll man es nennen, wenn ein Autor, der mit gerade mal vier Dutzend Kurzgeschichten und Novellen die Horrorliteratur revolutionierte, dessen Texte heute in der Library of America neben Hemingway und Faulkner zu finden sind und der so unterschiedliche Schriftsteller wie Arno Schmidt und Stephen King prägte, seiner Autobiografie den Titel „Einige Anmerkungen zu einer Null“ verpasst?

Viele spätere Biografen trugen dieses Klischee gerne weiter: Der Publizist Franz Rottensteiner verklärte den Mann, der nicht nur gerne durch sein heimatliches Neu-England reiste, zum „Einsiedler von Providence“. Der Literaturkritiker Jörg Drews beschrieb ihn als „physischen Krüppel“, ein „seelisches Monstrum“, und übersah, dass sich Lovecraft zu Lebzeiten rege und freundschaftlich mit gleichgesinnten Amateurschriftstellern austauschte und ihren Dachverbänden sogar einige Jahre als Präsident vorstand.

Heute gilt Lovecraft, dessen Geschichten bis zu seinem Tod im März 1937 fast nur in Groschenheften veröffentlicht wurden und der auch danach noch lange von der Literaturkritik vor allem aufgrund seines „byzantinischen Adjektivismus“ als „neo-romantischer Schnickschnack“ verlacht wurde, als wichtigster Vertreter der amerikanischen Fantastik neben Edgar Allan Poe. Sein Horror manifestierte sich nicht mehr in einem nebelumrankten Gruselschloss, sondern in seinem eigenen Vorgarten, in seiner eigenen Zeit.

Von John Zorn zu Umberto Eco

Weil ein stetig wachsender Kreis von Freunden und Bewunderern seinen Kosmos unbeirrt fortschrieb, winden sich heute die schleimigen Tentakel seiner äonenalten Monster und außerirdischen Götter quer durch die Popkultur. Die Netflix-Serie „Stranger Things“ bedient sich bei Lovecraft, Ridley Scotts „Alien“ oder Mike Mignolas „Hellboy“. Captain Davy Jones aus den „Fluch der Karibik“-Filmen ist ein Wiedergänger jenes Zerrbilds eines „Tintenfisches, eines Drachen und der Karikatur eines Menschen“, wie Lovecraft es in der Geschichte „Cthulhus Ruf“ von 1926 beschreibt. Bei den „Simpsons“ taucht das von Lovecraft erdachte Necronomicon auf, das blasphemische Buch, dem der Schweizer Maler H. R. Giger einen Bilder- und der Komponist John Zorn einen Musikzyklus gewidmet hat. Anspielungen finden sich bei Batman und „Star Trek“, in den Liedern von Metallica und Tocotronic, bei Christian Kracht oder Umberto Eco.

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Keine schlechte Leistung für einen Mann, der befand: „Mein Leben ist so still, so ereignislos und so unauffällig verlaufen, dass es, zu Papier gebracht, bestenfalls erbärmlich glanzlos und fade erscheinen muss.“ Zumindest dieser Satz ist nicht ganz so großer Unsinn, wie Band eins der jetzt erstmals auf Deutsch erschienenen monumentalen Biografie „H. P. Lovecraft – Leben und Werk“ zeigt.

Der amerikanische Literaturwissenschaftler S. T. Joshi rekapituliert darin auf mehr als 700 Seiten minutiös Lovecrafts Leben von seiner Geburt anno 1890 bis zur Hochzeit im Jahr 1924 und schöpft dafür vor allem aus dessen exorbitanter Korrespondenz. Geschätzte 80 000 Briefe soll Lovecraft zeit seines Lebens an Freunde wie den späteren „Psycho“-Autor Robert Bloch oder den Dichter Clark Ashton Smith geschrieben haben.

Astronomisches statt Amourösem

Joshi schildert den Autor als früh- und hochbegabten puritanischen Materialisten, der lieber im 18. Jahrhundert geboren worden wäre, Eiscreme liebte, für strikte Rassentrennung eintrat und sich insgesamt mehr für Astronomisches als Amouröses interessierte: „Was ist denn so eine entzückende Nymphe? Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff, ein oder zwei Schuss Phosphor und andere Elemente – die alle ihrer baldigen Auflösung entgegengehen. Was aber ist der Kosmos?“ Kein zwingend sympathischer Charakter, aber auch nicht bar einer herzerweichenden Tragik.

Band eins der Biografie beleuchtet Lovecrafts Leben von seiner Geburt im Jahre 1890 bis zu seiner Hochzeit im Jahr 1924. Der abschließende Band zwei soll im August erscheinen.
Band eins der Biografie beleuchtet Lovecrafts Leben von seiner Geburt im Jahre 1890 bis zu seiner Hochzeit im Jahr 1924. Der abschließende Band zwei soll im August erscheinen.

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Akribisch notiert der Biograf, wann Lovecraft welches Buch gelesen, wo welchen Zug bestiegen, wem warum eine Schachtel Pralinen geschenkt hat. Joshi mag ein penibler Buchhalter sein, ein Geschichtenerzähler ist er nicht. Eine anekdotische Aufarbeitung seiner Forschungen, die er gerne in Ich-Form präsentiert, ist ihm fremd. Selbst privateste Szenen wirken so distanziert und lexikalisch.

Besonders die späteren Kapitel jedoch offenbaren aufschlussreiche Parallelen zwischen Autor und Werk. Eine Geschichte wie „Das Ding auf der Schwelle“ liest man anders, wenn man weiß, dass sie nicht nur von Körpertausch und der Gier nach Unsterblichkeit handelt, sondern dass der Autor darin den Tod und die erstickende Präsenz seiner Mutter in seinem Leben spiegelt. Eine Geschichte wie "Der Schatten aus der Zeit", die von übermächtigen und quasifaschistisch organisierten Aliens berichtet, hat einen anderen Beiklang, wenn man gelesen hat, dass Lovecraft Mussolinis Machtübername guthieß.

Der zweite und abschließende Band, der Lovecrafts kreativste Phase behandelt, soll im August 2018 folgen.

Gegen die Welt, gegen das Leben

Wie nicht nur persönliche Erfahrungen, sondern auch Erfindungen, Entdeckungen und die Kunst seiner Zeit Lovecrafts Werk prägten, zeigt nun die ebenfalls zum 80. Todestag erschienene kommentierte Werkausgabe.

Die Geschichten des Autors, die stets das „kosmische Grauen“, also den Schock über die Bedeutungslosigkeit des Menschen angesichts eines unendlichen Kosmos thematisieren, entstanden in einer Zeit, in der Relativitätstheorie und Quantenphysik die Naturwissenschaften revolutionierten. Lovecrafts gewaltige Monster zerstören das Bild vom Menschen als Krone der Schöpfung, wie es parallel die Physik tut. Das Ergebnis: ein Kosmos, in dem, wie es Michel Houellebecq in seinem Lovecraft-Essay „Gegen die Welt, gegen das Leben“ schreibt, das Leben keine Bedeutung mehr hat. „Der Tod aber auch nicht.“

Eine Seite aus Klingers Buch mit Lovecrafts Cthulhu-Zeichnung.
Eine Seite aus Klingers Buch mit Lovecrafts Cthulhu-Zeichnung.

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Der amerikanische Herausgeber der Werkausgabe, Leslie S. Klinger, hat 22 Geschichten mit Farbfotos von Gebäuden, Gemälden und technischem Gerät, Manuskriptseiten und rot abgesetzten, aufschlussreichen Verweisen auf Mythologie, Geografie und Historie versehen. In der deutschen Fassung, die auf dünnerem Papier gedruckt wurde als das Original, fehlen davon allerdings einige. Dafür wurde der Anhang um einen Aufsatz über die Lovecraft-Rezeption in Deutschland ergänzt.

Die Auswahl der Texte ist streitbar. Durch den Fokus auf jene, die im Zusammenhang mit der nach Lovecrafts Heimat Providence entworfenen Stadt Arkham stehen, finden mittelmäßige Werke wie „Herbert West, Wiedererwecker“ Einzug, wichtigere wie „Pickmans Modell“ oder „Die Ratten im Gemäuer“ aber bleiben außen vor.

Knapp zwei Dutzend Geschichten enthält der Band, die neu ins Deutsche übersetzt wurden.
Knapp zwei Dutzend Geschichten enthält der Band, die neu ins Deutsche übersetzt wurden.

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Ein gelungener Einstieg in Lovecrafts nihilistische Albtraumwelten ist der Band aber fraglos. Auch weil die Übersetzung von Andreas Fliedner und Sebastian Pechmann deutlich näher beim Original bleibt, als es in den alten Suhrkamp-Ausgaben der Fall war, für die noch teilweise auf die stark gekürzten amerikanischen Erstveröffentlichungen zurückgegriffen wurde. „Die neue Übersetzung nach den von S. T. Joshi aufbereiteten Original-Manuskripten ist Lovecraft in Reinkultur“, sagt Axel Weiß, Chefredakteur des „Lovecrafter“, dem Magazin der Deutschen Lovecraft Gesellschaft, die sich 2014 gegründet und zur Aufgabe gemacht hat, Werk und Wirken des Autors im deutschsprachigen Raum bekannter zu machen.

Flucht in den Wahnsinn

Wie aktuell Lovecrafts Geschichten sind, unterstreicht Alan Moore noch mal in seinem Vorwort, in dem er wesentlich pauschaler mit Lovecrafts rassistischen Tendenzen ins Gericht geht als Joshi. Seine Phobien seien eben nicht die eines „Einsiedlers“ oder „Monstrums“. Seine Ängste sind die eines „perfekten Durchschnittsmenschen“ – also die unseren. Wer würde angesichts der Milliarden Selfies auf Facebook und einem steten Strom an Castingshows behaupten wollen, die Angst vor der Bedeutungslosigkeit des Seins wäre inzwischen gebannt ...

Die Konfrontation mit dem Schrecken hat für Lovecrafts Protagonisten stets eine unausweichliche Folge: den Wahnsinn. Lovecraft sah, schreibt Moore, „eine Menschheit, die von ihrem exponentiell wachsenden Wissen über sich selbst und das unermessliche und fremdartige Universum, das sie umgibt, überwältigt wird und sich in den scheinbar sicheren Schatten eines neuen dunklen Zeitalters flüchtet“.

Eine Schreckensvision, die heute, da wir an der Schwelle eines postfaktischen Zeitalters stehen, vielleicht näher an der Realität ist, als sie es jemals war.

S. T. Joshi: H. P. Lovecraft – Leben und Werk. Übersetzt von Andreas Fliedner, Golkonda, 2017, 750 Seiten, 39,90 €

H. P. Lovecraft: Das Werk. Hrsg. von Leslie S. Klinger, übersetzt von Andreas Fliedner und Alexander Pechmann. Fischer TOR, 2017, 912 S., 68 €

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