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Zuhause in der DDR. Brigitte Reimann (21. 7. 1933 bis 20. 2. 1973)Foto: bpk / G. Kiesling

© bpk / Gerhard Kiesling

Kultur: Guten Abend, du Schöne

Heute wäre die Schriftstellerin Brigitte Reimann 80 geworden. Ihre Wahlheimatstadt Hoyerswerda ehrt sie mit einem Denkmal.

Alt zu werden passte nicht zu ihr. Brigitte Reimann war immer die junge Frau, die von Männern umschwirrte Schöne, die Liebende, die Leidende, die Leidenschaftliche. Als Achtzigjährige ist sie nicht recht vorstellbar: silberhaarig, der DDR weit entrückt, oder vielleicht als Alters-Ehrenpräsidentin der Linkspartei? Wäre sie nicht schon 1973, im Alter von knapp 40 Jahren, an Krebs gestorben, dann hätte sie eine Chance gehabt, ihr auf Dauerjugendlichkeit, Leichtsinn und Lebenslust festgelegtes Bild zu verändern. Dann wäre aus ihr mehr geworden als eine Schriftstellerin, die weniger durch ihr Werk als das Interesse an ihrer Person präsent geblieben ist.

Mit der Veröffentlichung ihrer Tagebücher und diverser Briefbände hat sie nach dem Ende der DDR eine erstaunliche Renaissance erlebt. Konflikte mit den Eltern, vier kürzere Ehen nebst dramatischen Liebesgeschichten und die Freundschaft mit der mütterlich besorgten Christa Wolf; dazu Konflikte mit der Partei und mit der Stasi und ein Bruder, der in den Westen ging, boten Stoff genug, dass 2004 sogar, mit Martina Gedeck, der Film „Hunger nach Leben“ über sie entstand. Die Tagebücher gehen von 1955 bis 1970; nimmt man den Briefwechsel mit Christa Wolf dazu, reichen die Notizen bis wenige Wochen vor ihrem Tod. Das Tagebuch ist Reimanns Lebensroman, Dokument ihrer Sehnsüchte in einer allzu nüchternen Epoche.

Was Reimann für ihre Leser(innen) so anziehend macht, ist ihr bedingungsloses Beharren auf Subjektivität, ihre Unverstelltheit und Spontaneität. Zugleich durchlitt sie exemplarisch die Nöte derjenigen, die damals „Kulturschaffende“ hießen: Gängelung, Zensur und Bürokratismus der Parteifunktionäre, die ihr „auf die Brust starrten, während sie gesellschaftliche Zusammenhänge erläuterten“. Trotzdem vertraute Reimann diesen Männern (und liebte auch einen davon), weil die Partei doch für die richtige Sache des Sozialismus stand. „Das ist nicht mehr der Sozialismus, für den wir schreiben wollten“, notierte sie nach dem Mauerbau 1961. Und doch wäre es ihr unmöglich gewesen, anderswo zu leben als in dieser DDR-Gesellschaft, deren Teil sie war und an deren Verbesserung sie schreibend mitwirken wollte. Undenkbar, den unvollendet gebliebenen, erst postum veröffentlichten Roman „Franziska Linkerhand“ für ein anderes Publikum zu schreiben als das der DDR, um deren Schicksal es ihr ging.

Ihre Erzählungen aus den fünfziger Jahren strotzen vor Naivität und einer geradezu kindlichen Gläubigkeit. Sie setzen die Dogmen des sozialistische Realismus noch ganz ungebrochen um, Walter Ulbricht konnte die Genossin risikolos in die Jugendkommission der SED berufen. Ganz im Sinne des „Bitterfelder Weges“zog sie 1960 zusammen mit ihrem zweiten Ehemann Siegfried Pitschmann nach Hoyerswerda, arbeitete im Kombinat „Schwarze Pumpe“, leitete den „Zirkel schreibender Arbeiter“ und schrieb die Erzählung „Ankunft im Alltag“, die einer ganzen Richtung der DDR-Literatur ihren Namen gab.

Die „Ankunftsliteratur“ brachte einen neuen Ton in den starren Realismus. Sie ging von den Nöten und Wünschen der Menschen aus und nicht von Dogmen, wobei aber die Konflikte durchaus zu mustergültigen Lösungen führen durften. Das gilt auch noch für Franziska Linkerhand, ihr Alter Ego, das als junge Architektin mit hochfliegenden Plänen nach Hoyerswerda kommt, um sich dort mit Arbeitsnormen und Fensterbreiten von Plattenbauten herumzuschlagen. Vielleicht ist der Roman auch deshalb über die DDR hinaus so erfolgreich geworden, weil der Widerspruch zwischen jugendlichem Enthusiasmus und der Wirklichkeit des Berufslebens als universell empfunden wird. Und auch, weil hier eine junge Frau ihr Selbstbewusstsein als Berufstätige sucht und verteidigt.

In Hoyerswerda wird am heutigen Sonntag eine Skulptur des Dresdner Bildhauers Thomas Reimann – nicht mit der Autorin verwandt – enthüllt: Brigitte Reimann alias „Die große Liegende" ziert einen Park, der am Rand des Stadtzentrums als Brücke zur Seenlandschaft der ehemaligen Tagebaue entsteht. So bleibt Reimann mit dem Stadtumbau verbunden, obwohl daraus keineswegs die sozialistische Musterstadt geworden ist, von der sie träumte.

Neu erschienen ist in diesem Jahr der Briefwechsel mit Siegfried Pitschmann, den sie 1958 kennenlernte, 1960 heiratete und 1964 verließ. Die Briefe zeigen sie vor allem als Strategin der Gefühle. Wie wenig die beiden zusammenpassten, belegt die erste Begegnung im Schriftstellerheim Petzow am Schwielowsee, wo alle DDR-Autoren ein- und ausgingen und wo die Eltern Christa Wolfs als Heimleiter arbeiteten. Pitschmann hörte dort sehr laut Beethovens Violinkonzert „und plötzlich kommt Brigitte Reimann mit einem Rattenschwanz von Männern herein und hört gar nicht auf die Musik und sagt: ,Gibt's denn hier nicht ein bisschen Jazz oder was anderes Flottes?'“ Als er sich heftig gegen die Störung wehrte, „schaute sie mich sehr erschrocken an, mit weit aufgerissenen Augen, kurzsichtig bis fast zur Blindheit. Aber dadurch wirkten ihre Augen besonders schön, leicht verschleiert.“ Die Männer müssen reihum wahnsinnig geworden sein in ihrer Gegenwart.

Brigitte Reimann starb 1973 an Brustkrebs, wie so viele Frauen in der DDR, Maxie Wander oder Christa T., deren Geschichte Christa Wolf 1968 zum Roman machte – als nähme sie das Schicksal Reimanns vorweg. Ihr „Hunger nach Leben“ endete tödlich, in einer Gesellschaft, die keine Ressourcen vorgesehen hatte, diesen Hunger zu stillen. Hauptsache, die Fenster im Zehngeschosser waren korrekt genormt. Jörg Magenau

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