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Guilty Pleasures (7): Lob der Jogginghose

Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Aber schreiben. In der Guilty Pleasures schauen wir in unsere Kitschecken. Teil 7: die Jogginghose.

Oft heißt es ja, mit Kleidung drücke man seine Identität aus. Seit ich das zum ersten Mal gehört habe, hoffe ich inständig, dass das nur ein Sprichwort ist. Denn falls nicht, wäre meine Identität: Albernheit gepaart mit Wankelmut.

Ungewöhnliche – andere würden sagen: hässliche – Klamotten sind meine Leidenschaft. Schlage ich am ersten Tag in übergroßen Großvater-Klamotten aus der Humana-Wühlkiste auf, zwänge ich mich am zweiten in ein pink-hellblau getigertes Kleid aus Sweatshirt-Stoff. Am dritten Tag kombiniere ich beide Looks zu einem Geschlechterrollen transzendierenden, Jahrzehnte überspannenden modischen Kapitalverbrechen.

Ästhetische Gänsehaut bekommen? Damit wären Sie nicht alleine, viele Menschen scheint meine Ignoranz gegenüber erlaubten Farb- und Stilkombinationen aufzuwühlen. Das war schon immer so. In der Abizeitung waren wir aufgefordert, jede Mitschülerin und jeden Mitschüler kurz zu charakterisieren. Man beschrieb mich mit den Worten „bester Kleidungsgeschmack“ wie auch „schlechtester Kleidungsgeschmack“.

Beides war für mich gleichermaßen Kompliment. Wie es sich für Menschen mit eigenwilligem – andere würden sagen: schlechtem – Geschmack und fehlendem Anpassungswillen gehört, zog ich nach dem Abi schnurstracks aus dem Ruhrgebiet nach Berlin.

Endlich fragte niemand mehr, ob ich „denn auf dem Weg zum Sport“ sei oder „was dieses Oberteil bitte soll“. Hier waren meine modischen Entgleisungen niemandem einen Blick wert. Ich war angekommen.

Styletechnisch ist die Pandemie Wellness für mich

Natürlich bin ich in der Lage, Mimikry zu üben, mich unauffällig anzuziehen. Ich habe sogar ein Bügeleisen. Warum aber die Menschen so einen Aufstand machen, wenn es um Kleidung geht, ist mir bis heute ein Rätsel.

Klar, ein Stück Stoff kann vorteilhaft oder unvorteilhaft sein, aber ist das wichtig? Und was spricht eigentlich dagegen, Kleidung zu nutzen, um sich selbst und vielleicht auch andere zu unterhalten? Meine Garderobe wächst organisch, Freundinnen und die Zu-verschenken-Kisten auf den Bürgersteigen überlassen mir gern ihre hässlichsten Teile.

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Das ist auch noch nachhaltig. Zumindest styletechnisch ist die Pandemie Wellness für mich. Im Homeoffice kommt meine glitzernde Trainingshose so richtig zur Geltung, auf den endlosen Spaziergängen führe ich meinen Fake-Pelzmantel aus.

Für die Corona-Zeit habe ich meine Sammlung übrigens um einen Jogging-Ganzkörperanzug erweitert. Er ist grau, mit rosa und hellblauen Streifen – und wunderschön.

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