zum Hauptinhalt
Der Kritiker, Publizist und Intendant Günther Rühle.

© picture-alliance/ dpa/Esch-Kenkel

Günther Rühle wird 95: Der Geist des Theaters

Bewusstsein vom künstlerischen Ausdruck als als erweitertes Leben: Dem Theaterkritiker und Intendanten Günther Rühle zum 95. Geburtstag.

Es ist jedes Mal schön zu sehen, welche Zuneigung, Achtung und Neugierde auch von jüngeren Theaterleuten Günther Rühle noch immer entgegengebracht werden. Zwar hat sich der hoch betagte, gleichwohl in seiner eigenen Aufmerksamkeit und Wissbegierde hoch präsente Doyen des deutschen Feuilletonjournalismus aus dem aktuellen Kulturbetrieb weitgehend zurückgezogen. Doch erst kürzlich war Rühle wieder in Berlin beim Theatertreffen zur Verleihung des Alfred-Kerr-Darstellerpreises, als Herausgeber und Wiederentdecker der Kerr-Schriften und „Ehrenpräsident“ der von ihm ein Vierteljahrhundert lang wesentlich mitgeprägten Kerr-Stiftung. Im Gespräch mit dem sechzig Jahre jüngeren Schauspieler und Juror Franz Rogowski, der aus ganz anderen Welten zu kommen scheint, wurde einmal mehr klar: Die Begeisterung durch das Schauspiel als ein Brennglas der Existenz – sie kennt im Grunde kein Jung oder Alt.

Was diese durchaus streitbare Begeisterung freilich braucht, ist eben der Geist. Nicht allein Wissen, sondern ein Bewusstsein vom künstlerischen Ausdruck als verdichtetes, als erweitertes Leben. Günther Rühle hat dieser Magnetismus von Jugendjahren an umgetrieben. Angetrieben und so wunderbar wachgehalten. Obschon ihm vieles vom gerade angesagten deutschen Theater sehr fern liegt, ist eine tiefere Verbindung nie abgebrochen. Also feiert der ehemalige Theaterkritiker und Feuilletonchef der „FAZ“ sowie Anfang der 1990er Jahre des Tagesspiegels, der frühere Frankfurter Theaterintendant und bis heute forschend aufspürende, nachfragende Theaterhistoriker an diesem Montag seinen 95. Geburtstag. Dem fälligen Familienfest in seiner Frankfurter Umgebung wird Mitte Juni noch eine Berliner Geburtstagsparty folgen, mit Freunden, Kollegen, Künstlern.

Die Wünsche gelten hierbei nicht nur der Gesundheit des körperlich eher zart wirkenden, doch mit kaum nachlassender Spannkraft gesegneten Jubilars. Sie gelten, nicht ganz selbstlos, auch dem dritten und abschließenden Band von Günther Rühles immenser Geschichte des modernen deutschen Theaters. Schon jene beiden ersten Teile, die den Zeitraum von 1887 bis 1966 umfassen und 2007 und 2014 erschienen, sind in ihrer Stofffülle völlig beispiellos: gut 2800 eng bedruckte Seiten mit fast 4500 Anmerkungen. Der Titel „Theater in Deutschland. Seine Ereignisse – seine Menschen“ bezeichnet und trifft dabei den enormen Anspruch.

So etwas kommt nie wieder. Und ein Autor wie Rühle kommt kaum wieder. Aber er sagt, eigentlich brauche er für den jetzt etwa halb fertigen Band wieder mindestens sieben Jahre. Es geht um die Kontraste, Kontroversen und die Zusammenführung des Theaters in beiden deutschen Staaten: mit Blick auf unzählige Aufführungen und die zugehörigen personellen, kulturellen, kulturpolitischen Konstellationen. „Diese Arbeit hält mich am Leben“, sagt Günther Rühle. Doch sei er mit seinem Alter eben schon „am Rand des Lebens“. Wir wünschen ihm, dass dieses (arbeits)reiche Leben noch einen weiten Saum haben möge. Weshalb Theater wie Feuilleton heute gemeinsam rufen: Vivat, da capo!

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false