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Günter Lamprecht als Biberkopf mit Barbara Sukowa als Mieze.

© imago images/United Archives

Günter Lamprecht wird 90: Der sanfte Rebell

Der Franz Biberkopf in Fassbinders Döblin-Verfilmung war die Rolle seines Lebens: zum 90. Geburtstag des großen Schauspielers Günter Lamprecht.

Ein Mann auf dem Weg nach unten. Er stürzt, rappelt sich hoch, taumelt. Aber er kämpft, will zurück in sein altes Leben. Doch das funktioniert nicht. Nicht nach einem dreiviertel Jahr Entzugsklinik, nicht mit einem Umfeld, in dem niemand akzeptiert, dass Alkoholismus keine Verfehlung ist, sondern eine Krankheit.

Die Demütigungen beginnen mit den alten Kollegen, die ihm in der Kneipe ein Bier hinstellen. „Ich habe Angst, Angst vor allem“, sagt Manfred Burger. Irgendwann, nach dem x-ten Vorstellungsgespräch, das mit einer Absage endet, bestellt er doch wieder einen Weinbrand. Einen doppelten gleich. Am Ende kriecht er volltrunken zwischen zertrümmerten Möbeln durch die Wohnung und trinkt auf der Suche nach Stoff eine Flasche Reiniger. Der Sturz lässt sich nicht stoppen.

Dieser Manfred Burger, den Günter Lamprecht 1977 in Peter Beauvais’ brutal realistischem Säuferdrama „Rückfälle“ verkörpert hat, wirkt wie ein Vorläufer des Franz Biberkopf, den Lamprecht drei Jahre später in Rainer Werner Fassbinders 14-teiliger Fernsehverfilmung von „Berlin Alexanderplatz“ spielte.

Beide sind schwere Männer mit sanftem Gemüt, beide entkommen dem Teufelskreis ihres Lebens nicht. Wenn Burger mit einer Flasche Schnaps im Mantel durch Kölner Hinterhöfe schleicht und die Kamera durch die Butzenscheiben einer Kneipe dabei zuschaut, wie er verprügelt wird, glaubt man in eine der Spelunken des alten Berliner Scheunenviertels zu gucken, in denen der gerade aus der Haft entlassene Berufskriminelle Biberkopf anno 1928 zockt, säuft, anbandelt. Nur dass Biberkopf berlinert.

In „Babylon Berlin“ ist Lamprecht als Hindenburg zu sehen

Fassbinders Alfred-Döblin-Adaption war nach seiner Erstausstrahlung wegen der funzeligen Beleuchtung und der dumpfen Tonabmischung heftig kritisiert worden. Dabei gilt eine auf Atmosphäre und Authentizität setzende Ästhetik inzwischen als Goldstandard des Historiengenres, wie gerade in der ebenfalls in der Zwischenkriegszeit spielenden Serie „Babylon Berlin“ zu besichtigen. Dort hat Lamprecht einen Auftritt als greiser Reichspräsident Hindenburg, der die Weimarer Republik zu Grabe tragen sollte.

Döblin beschreibt Biberkopf als „großes ausgewachsenes Tier in Tüchern“. Für den Instinktschauspieler Lamprecht wurde er zur Rolle seines Lebens, die ihm internationale Anerkennung verschaffte.

Vom Orthopäden zum Schauspieler

Das Proletarische vieler seiner Figuren war Lamprecht quasi in die Wiege gelegt worden. Am 21. Januar 1930 in Berlin geboren, wuchs der Sohn eines Taxifahrers am Köllnischen Park auf. Der Alex lag am Rande seines Reviers. Als er sich nach einer Ausbildung zum Orthopäden an der Max-Reinhardt-Schule bewarb, wurde er gefragt, warum er Schauspieler werden wolle. Seine Antwort: „Ick will ma vabessern.“

Lamprecht debütierte 1953 am Berliner Schillertheater, trat im Fernsehen in Millowitsch-Schwänken und im Durbridge-Straßenfeger „Melissa“ auf, bevor Fassbinder ihn 1973 für seinen Science-Fiction-Zweiteiler „Welt am Draht“ entdeckte.

In „Taxi nach Leipzig“, dem allerersten „Tatort“, war Lamprecht als DDR-Grenzer dabei, 20 Jahre und einen Mauerfall später stieg er für den Sender Freies Berlin zum „Tatort“-Kommissar Markowitz auf. Die Rolle des knautschhütigen, Jazz liebenden Ermittlers war ihm auf den Leib geschrieben. „Bei Mord hört die Freundlichkeit auf“, sagte Markowitz.

Für Lamprecht hörte die Freundlichkeit auf, nachdem er 1999 in Bad Reichenhall in den Amoklauf eines 16-Jährigen geraten war. Sechs Kugeln trafen ihn, danach wollte er nichts mehr mit Produktionen zu tun haben, die Gewalt zur Unterhaltung machen. Heute wird Lamprecht, der seit 50 Jahren in der Nähe von Köln lebt, 90 Jahre alt.

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