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Alice Cooper feiert derzeit sein 50. Bühnenjubiläum.

© Jan Huebner/Imago

Gruselrocker in Berlin: Mit Alice Cooper in der Geisterbahn

Angestaubt, aber gut: Alice Cooper zelebrierte in der Berliner Max-Schmeling-Halle eine lustige Mummenschanz-Rockshow.

Schock-Rocker, gläubiger Christ, Inkarnation des Bösen, schwerer Alkoholiker, Proto-Punker, Film-Monster, Familienvater, Metal-Ikone, Golf-Profi, Glamrockstar – es ist kaum zu glauben, wie viele Identitäten der 1948 in Detroit geborene Vincent Damon Furnier in sich vereint.

Von Eltern als Jugendverderber verteufelt, von Millionen von Teenagern genau deshalb geliebt, von Salvador Dalí als wandelnder Surrealismus gepriesen; Alice Cooper hat vieles ausgelöst, nur keine Gleichgültigkeit.

1969 erschien Alice Coopers erstes Album, was der Fürst der Finsternis für eine Tour zum 50. Bühnenjubiläum nutzt, die ihn an diesem Abend  in die fast ausverkaufte Berliner Max- Schmeling-Halle führt. Es fällt schwer, Belustigung und Fremdschämen zu unterdrücken, als zu der Ansage „Welcome To Alice Cooper's Nightmare Castle!“ die Bühne sichtbar wird: ein Gruselschloss mit Kerkerfenstern und einem Sarg wie in einer Jahrmarktgeisterbahn. Dieses angestaubte Gruselkabinett  soll man die nächsten anderthalb Stunden ernst nehmen?

Doch als Alice Cooper zu den Tönen von „Feed My Frankenstein“ lässig und stockschwingend aus unser aller Albträume auf die Bühne stolziert, ist es unmöglich, dem Schurken-Charme zu widerstehen, den der 71-Jährige immer noch ausstrahlt. Schocken kann und will er damit schon lange nicht mehr, vielmehr geht es darum, einen Mythos zu verwalten, der längst größer ist als der sterbliche Sänger, der 1974 seinen Namen offiziell in Alice Cooper ändern ließ.

Cooper ist gut aufgelegt und bestens bei Stimme: Mit sinisteren Gesten schlendert der er durch seine Diskografie, erscheint beim Medley „Ballad Of Dwight Fry/Steven/I Love The Dead/Dead Babies“ brav in Zwangsjacke, tut so, als wolle er eine Baby-Puppe zerhacken, wird von zwei Schergen in eine Guillotine gesteckt und enthauptet, so das ein riesiges Baby-Monster, dass aus dem Styropor-Verlies ausgebrochen ist, den abgetrennten Kopf als Spielzeug herumschütteln kann – peinlicher Trash, doch selbst 2019 kann man kaum anders, als laut darüber zu jubeln, wenn auch grinsend.

Der ganze Saal im Bann des alten Bösewichts

Gleiches gilt für die die fünfköpfige Band, die ein Endlos-Lehrvideo an Achtziger-Jahre-Hairmetal-Posen abspult und etliche Gitarrensoli von sinnloser Länge aufheulen lassen, als habe es „Spinal Tap“ nie gegeben. Aber: Alice Cooper darf das, schließlich hat er Metal miterfunden, insbesondere was Äußerlichkeiten betrifft – ohne Cooper keine Kiss, kein Marilyn Manson, keine Slipknot.

Spätestens beim großen Comeback-Hit „Poison“ ist der ganze Saal dem Bann des alten Bösewichts erlegen: Cooper lässt die Reitpeitsche kreisen und zeigt auf das Publikum, singen braucht er nicht: "I want to love you but I better not touch - don't touch!", donnert es im Burggemäuer wider. Doch auch Coopers erster großer Hit "Eighteen", bei dem er mit Krücke auf die Bühne humpelt, versprüht genauso viel Rebellion, Zweifel und Narzissmus wie 1971 - eine noch immer berührende Adoleszenz-Hymne, die daran erinnert, dass Cooper neben all dem Mummenschanz eben auch ein talentierter Songschreiber ist, der der Welt neben einigen Rock-Evergreens auch eine Reihe hintersinniger Konzeptalben hinterlassen hat.

Düstere Moritaten über Leben und Tod

Dass Cooper Songs wie "Eighteen" mit 71 Jahren noch immer glaubwürdig performen kann, liegt daran, dass er ein gestählter Showman ist. Doch vor allem singt Cooper nicht über sich selbst, er ist ein Erzähler, dessen Geschichten zeitlos sind: Düstere Moritaten über Leben und Tod, Schuld und Sühne, Versuchung, Vergebung und Strafe. Auch äußerlich hat Cooper - anders als manch anderer Rockshouter seines Jahrgangs - nicht das Problem des Alters, denn schließlich sah er ja schon immer aus wie eine Leiche.

Bis zum Schluss spricht Cooper zwischen den Songs nicht mit dem Publikum - auch das ist altbekannt. Einzige Überraschung des Abends: Die Zugabe: "Schools Out" geht in Pink Floyds "Another Brick In The Wall" über, das vom Publikum dankbar mitgeschmettert wird. Bei allen Klischees: Cooper und seine Band liefern ein erstklassiges Rockkonzert ab, auch wenn es stilistisch, musikalisch und optisch völlig überholt ist.

Cooper mag zum musealen Bürgerschreck geworden sein, dennoch funktioniert seine Figur - wie an diesem Abend - noch immer. Denn wir brauchen Typen wie Cooper: Moderne, böse Eulenspiegel, die immer dann am meisten benötigt werden, wenn das Verderben von realen Horrorclowns ausgeht, und nicht von Rockmusik, Comics oder Computerspielen.

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