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Von wegen Hörgerät. Die britische DJane Mamy Rock ist 71 Jahre alt und bringt die Menge zum Toben wie eine Junge. Ihre deutschen Kollegen sind auch noch ganz gut dabei. Foto: AFP

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Kultur: Großmutter, warum hast du so große Ohren?

Sag niemals Sie zum DJ: Die Techno-Pioniere der Neunziger sind in die Jahre gekommen. Kann man als Plattenaufleger überhaupt in Würde altern? Eine Vorsorgeuntersuchung

Weiße Haare, schwarze Sonnenbrille, Lederjacke und Trainingshose: Die Engländerin Mamy Rock ist 71 Jahre alt und seit kurzem ein neues Sternchen am DJ-Himmel. Eine deutsche Biermarke wirbt gerade mit ihr, ist ja auch ganz witzig, die Oma am Mischpult, davor das junge Publikum, das zu ihren Electrobeats tanzt. Der Gag funktioniert allerdings nur, weil Techno, die Musik und die Subkultur, die mit ihr einhergeht, noch immer als Jugendbewegung gelten. Jugendbewegung? Die erste Loveparade fand vor 22 Jahren statt, an diesem Samstag sollte es in Berlin eine Neuauflage geben – die aber abgesagt wurde. Die ersten Berliner Technoclubs öffneten Ende der Achtziger, wer damals feiern ging, ist heute 40 oder 50. So wie die erste Generation der DJs.

Rockstars wissen inzwischen, wie man 60 oder 70 wird. Aber was ist mit den Techno-Pionieren? Können sie in Würde altern? „Natürlich“, sagt Thomas Andrezak, besser bekannt als Tanith. Anfang der 90er gehörte Tanith zu den bekanntesten DJs Deutschlands. Seine Markenzeichen waren Militärklamotten im Tarnfarbenmuster und harter Techno, wie gemacht für den Keller der Clublegende Tresor. Camouflage trägt der 48-Jährige schon lange nicht mehr, aber er legt nach wie vor seine Musik auf. Nicht mehr so oft wie zu seinen besten Zeiten, aber mehrmals im Monat: „Ständig ausgehen, die Nächte durchziehen, das geht nicht ewig. Mit 40 lässt die Ausdauer nach.“

In DJ-Kreisen auf der ganzen Welt gibt es ein geflügeltes Wort: Techno in Berlin, das ist wie Reggae auf Jamaika. In den nach wie vor zahlreichen Clubs spielt elektronische Musik die Hauptrolle, auch in den Geschäften und Kneipen und Bars läuft sie von früh bis spät, sie erschallt von Booten, die die Spree rauf und runter schippern, und sie tönt aus den Autos auf der Straße. Techno ist hier nicht Mainstream, aber auch nicht Underground, nicht Jugend-, sondern Alltagskultur. „In anderen Städten gibt es das nicht. Da gehst du feiern, bis du 25 bist, dann gründest du eine Familie. Nur die Freaks machen das nicht. Die gehen nach Berlin", sagt Tanith. Er war vorher in Wiesbaden.

Vor einigen Wochen beschäftigte sich die „Neon“, das mitunter als „Studenten-Bravo“ verspottete Magazin für junge Leute, mit Tanith. Und mit den anderen Protagonisten der ersten Techno-Generation: mit Westbam, Marusha und mit Dr. Motte. „Die Nacht ist alt“ war der Artikel überschrieben, er schilderte die vier als leicht skurrile, ein wenig tragische Figuren, die einander alles andere als wohlgesonnen sind. Alle vier aber haben nach wie vor etwas mit der Musik zu tun, die sie bekannt und zum Teil auch reich gemacht hat. Marusha, die im November 45 Jahre alt wird, verlor zwar ihre Show beim Radiosender Fritz, als man sich dort von den älteren Mitarbeitern verabschiedete. Dafür taucht sie mittlerweile immer wieder mal im Fernsehen auf, bei Sendungen wie „Promi Dinner“ und „Popstars“ oder als Loveparade-Expertin im ZDF. Und sie ist nach wie vor DJ.

Westbam, der schon früh erkannte, wie sich mit Techno viel Geld verdienen lässt, ist mittlerweile Familienvater. Er verbringt die Sommer auf Mallorca, wo er sich eine Finca gekauft haben soll. Zwischendurch kann man ihn auf großen Festivals erleben, in Russland, Polen oder Japan. Und auch auf Technoveranstaltungen, die an Oldie-Nächte für die „Rave Generation“ erinnern, den A&P Summer Rave auf dem Flughafen Tempelhof etwa. „A&P“, das ist die Billigmarke von Kaiser’s. „Forward ever, backwards never!“, formulierte Westbam einst, aber daran hat er vermutlich schon damals nicht geglaubt.

Dr. Motte hatte ähnlich gute Sprüche drauf, „We Are One Family“ war einer davon. „Es mag für einige nostalgisch oder weltfremd klingen, aber ich vertrete immer noch dieses Motto“, schreibt der 50-Jährige in seinem Blog, als Reaktion auf Überlegungen, die Loveparade wieder ins Leben zu rufen. Motte lehnt solche Pläne ab. Noch, muss man wohl schreiben, der Vater der Loveparade sucht sich Themen, die ihn ins Gespräch bringen, er setzt sich ein gegen den Umbau der Kastanienallee, wo er sein Büro hat, und für die Opfer der Loveparade-Katastrophe von Duisburg im vergangenen Jahr. Und als DJ, ist er da noch oft im Einsatz? „Geht ganz gut“, sagt er knapp. Hanfparade, Nature One, Street Parade, Clubs – fast jedes Wochenende ist die Praxis des Dr. Motte geöffnet.

Trotzdem: Die Zeiten ändern sich: „Manchmal ist es schon komisch, wenn du nach dem Auflegen beim Veranstalter um dein Geld betteln musst, weil nicht so viele Gäste da waren. Und der könnte dann dein Sohn sein“, sagt Tanith. Auch das Publikum ist nicht überall mitgealtert, früher habe er „eine halbe Stunde mit Händeschütteln verbracht“, jetzt könne er froh sein, wenn er fünf Leute im Club kenne.

Gibt es also doch ein „zu alt“ im Techno? Der Berliner Gabriel Baltrock, seit 1993 unter dem DJ-Namen Daffy unterwegs, ist sich nicht sicher: „Wenn du auflegst, dann nicht, dann bist du Teil der Party.“ Aber wenn Gäste anfangen, den DJ zu siezen, dann mache man sich schon seine Gedanken. Daffy ist 37. Seine Definition von „zu alt“: Wenn man im Plattenladen steht und einem die Namen auf den Alben allesamt nichts mehr sagen. Davon ist er meilenweit entfernt. Aber auch Daffy macht sich Gedanken, die er sich früher nicht machte. Wie ungesund das Feierleben doch ist, zum Beispiel. Und warum die Gigs nicht mehr so reichlich hereinkommen wie früher. Auch das eine Folge des Alterns, aber eine indirekte: „Man muss ständig in den Clubs präsent sein. Den Veranstaltern zeigen: Mich gibt es noch!“ Aber irgendwann wolle man eben einfach nicht mehr jedes Wochenende losziehen.

Vieles, was zur Zeit an Jubiläen im Techno begangen wird, hat mit der Zahl 20 zu tun. 20 Jahre Tresor. 20 Jahre Großveranstaltung Mayday. Der Frankfurter Produzent und DJ Sven Väth feiert schon die 30. So viele Jahre ist der Frankfurter jetzt schon DJ. Als 16-Jähriger begann er im Irish Pub seiner Mutter aufzulegen, mittlerweile hat er sich ein kleines Imperium aufgebaut: eine Booking-Agentur, die DJs in alle Welt vermittelt – natürlich auch ihn als das größte Zugpferd –, ein Plattenlabel, ein millionenschwerer, schicker Club in Frankfurt am Main.

Väth ist Großverdiener – und ein großer Feierer. Deshalb klingelt es nicht nur in der Kasse, sondern auch im Ohr: Sven Väth hat Tinnitus. In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ – auf der Wirtschaftsseite! – ging es auch um die Frage, wie der 46-Jährige sich fit hält. Die Antwort: Sport mit dem Personal Trainer, Sauna, Massagen. Einmal im Jahr, nach dem feierintensiven Sommer, wird zwei Wochen lang Ayurveda gemacht. Und drei Monate lang kein Alkohol getrunken, kein Fleisch gegessen.

Schon vor einigen Jahren traf der für seine respektlosen Kolumnen bekannte Schweizer Journalist Mark von Huisseling Väth zum Interview. „Sven Väth ist der wohl reichste Discjockey Europas. Und vierzig. Ist das noch cool? Oder bereits ein wenig traurig?“, fragte Huisseling. Die Antwort blieben beide schuldig. Nicht aber die auf die Frage: „Werden Sie den Beweis antreten, dass man auch mit sechzig noch als DJ cool und authentisch sein kann?“ „Wenn’s so ist, wird’s so sein“, antwortete Väth. 2024 wäre es so weit. Mamy Rock, die DJ-Oma aus England, wäre dann schon 84.

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