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Selbstumkreisungen. In das Gemälde „The Capitalistic Futuristic Painter in His Car“ (1985) klebte Martin Kippenberger Sticker.

© Privatsammlung

Große Martin-Kippenberger-Retrospektive in Bonn: Komisch, tragisch, genial

Vor 22 Jahren starb der große Allround-Künstler Martin Kippenberger. Die Bonner Bundeskunsthalle feiert ihn mit einer Retrospektive.

Die Erwartungen müssen enorm gewesen sein, vom Künstler selbst wie der Öffentlichkeit. Da hockt eine muskulöse Figur halb knieend zum Absprung bereit für die nächste Heldentat. Allerdings ist Spidermans Ausgangsbasis kein Hochhaus in den USA, sondern ein beengtes Dachatelier in der südfranzösischen Provinz, aus dessen Fenster zur Kühlung eine Plastiktüte mit Alkohol hängt, dem Treibstoff künstlerischer Produktion.

Willkommen in der Realität einer Künstlerexistenz, die durch den komischen Widerspruch zwischen Protagonist und Setting eher ernüchternd ausfällt. Doch Martin Kippenberger, der sich hier ironisch selbst als Spinnenmann im stählernen Korsett porträtiert, mimt nicht nur einen Heros der Comicwelt, sondern nimmt es auch mit einem Übervater der Kunstgeschichte auf: Henri Matisse. Der Wegbereiter der Moderne arbeitete in den 1930er Jahren in dem kleinen Studio in Nizza. Über ein halbes Jahrhundert später wird Kippenberger eingeladen, hier eine Ausstellung zu realisieren. Statt komfortabel Bilder an die Wand zu hängen, stellt er sich der Herausforderung und wirft sich hinein: komisch, tragisch, genial.

Die Installation „Spiderman Atelier“ von 1996 bildet den Auftakt zur Kippenberger-Retrospektive in der Bonner Bundeskunsthalle. Schon wieder eine? Gab es nicht gerade erst die großen Ausstellungen in der Londoner Tate Modern, vor sechs Jahren im Hamburger Bahnhof, drei Jahre später in Wien? Rein Wolfs, der scheidende Intendant der Bundeskunsthalle, der Ende November als Direktor in seine Heimat ans Amsterdamer Stedelijk Museum geht, ohne dass es einen Nachfolger für ihn gäbe, sieht geradezu eine Notwendigkeit darin. In der Reihe deutscher Malerfürsten und einiger Fürstinnen, die er während seiner Ära in den letzten sieben Jahren mit Solo-Ausstellungen würdigte, fehlte nur noch Kippenberger, der heute zweifellos als einer der produktivsten, einflussreichsten Künstler gilt. Er könnte sich nichts Besseres vorstellen, als mit Kippi aufzuhören, so Rein Wolfs bei der Ausstellungseröffnung. Sich selbst hat er damit ein großartiges Finale beschert, dem Publikum eine ungeheuer vitale, befeuernde Ausstellung.

Vor 22 Jahren verstarb der Künstler, gerade 44 geworden. Seinen Bildern, Skulpturen, Zeichnungen, Künstlerbüchern, Editionen, Installationen, Multiples, Plakaten, diesem in seiner Vielseitigkeit schier unüberschaubaren Werk, sieht man diese zeitliche Entfernung nicht an. Die von Susanne Kleine kuratierte Schau mit 360 Arbeiten aus allen Schaffensphasen untermauert einmal mehr seinen Rang als großer Impulsgeber. Wer heute ernsthaft als Künstler arbeiten will, sollte nach Bonn pilgern, hier ist ein Unerschrockener zu bewundern. Wer einen Maßstab sucht, um Qualität in dem vom Mittelmaß überfluteten Ausstellungsbetrieb zu erkennen, der lernt hier sehen. Was damals als „Bad Painting“ firmierte, ist aus jetziger Sicht verdammt gut.

In seiner Selbstüberzeugtheit hat Kippenberger genau das immer angepeilt: Vorbild sein, aufs Ganze gehen – bis zum Äußersten. Wie Dürer hat er sich in der Rolle des Erlösers gesehen, allerdings nicht andächtig mit Wallehaar, sondern als Gekreuzigter. Und noch einen setzte er drauf, indem er einen Herrgottsschnitzer aus Tirol „Fred the frog“ schnitzen ließ, einen mit Metalllack überzogenen Frosch, der mit Spiegelei und Gießkanne ans Kreuz genagelt ist. Obwohl voller Sendungsbewusstsein teilte der Künstler immer kräftig aus. Was er selbst erlitt, sollten auch die anderen, die Spießer zu spüren bekommen. Der Herrgottswinkel in Bonn mit gleich drei Fröschen am Kruzifix befindet sich gleich über dem Entree.

In dem Bild der Serie „Fred the frog“ (1988) steckt ein Selbstporträt.
In dem Bild der Serie „Fred the frog“ (1988) steckt ein Selbstporträt.

© Privatsammlung

Ob Spiderman, Matisse oder Jesus – immer wieder hat sich Kippenberger ins Verhältnis zu den Großen gesetzt, sich an den Heroen der Kunst abgearbeitet. Das war schon zu Beginn seiner Karriere so, als junger Maler in Florenz, wohin er 1976 von der Villa Romana zu seiner Enttäuschung zwar keine Einladung erhalten hatte, dann eben auf eigene Kosten kam. Damals malte er die Schwarz-Weiß-Serie „Uno di voi, un tedesco in Firenze“, basierend auf Alltagsbeobachtungen, Gebäuden, Menschen, die er während seines Aufenthalts fotografierte.

High and Low waren für Kippenberger keine Gegensätze

Vier Jahre zuvor hatte Gerhard Richter im Deutschen Pavillon seinen Fries mit 48 Schwarz-Weiß-Porträts bedeutender Männer des 20. Jahrhunderts präsentiert, ein Walhalla. Kippenbergers Florenz-Serie ist die Antwort darauf. Bei seinen „Peter-Skulpturen“ verarbeitete er sogar unmittelbar ein Richter-Werk, indem er ein Gemälde seiner monochromen grauen Serie als Tischplatte verbaute. High and Low, das Heldenhafte und das Banale, die große Kunst und der Alltag, Mythos und Realität – in Kippenbergers Werk gehen diese Gegensätze eine fruchtbare Allianz ein. Zwischen ihnen spannt sich sein Werk auf, das wie bei kaum einem anderen Künstler mit dem eigenen Leben auch tragisch verwoben ist. Die hemdsärmelige Skulptur „Entwurf für ein Müttergenesungsheim in Gütersloh“ aus aufeinandergestapelten Europaletten spielt nicht zuletzt auf den Unfalltod der eigenen Mutter an, die durch von einem Lkw herabgerutschte Paletten zu Tode kam.

[Bundeskunsthalle, Bonn, bis 16. 2.; Katalog (Snoeck) 49 €/68 €]

In der Serie „Jacqueline: The Paintings Pablo Couldn’t Paint Anymore“ von 1996 verbindet Kippenberger die Trauer um einen verlorenen Menschen mit einem Kräftemessen. Er porträtiert die Witwe kurz nach dem Tod des Künstlers, wie Picasso sie nicht mehr malen konnte. Kippenberger auf das Schwere zu reduzieren, würde seiner Vielseitigkeit bei Weitem nicht gerecht. Der anachronistische Serientitel weckt bereits den Widerspruch. Im Katalog findet sich eine Zwergenzeichnung abgedruckt, in der Kippenberger die Faktoren seines Schaffens nennt: „Spässken“ steht unter anderem auf dem Stiefel, in dem der Zwerg wohnt. Über der Idylle schwebt eine Wolke mit der Inschrift: „Werde mich wohl auch nächstes Jahr der herben Malerei – grosskotzig und hobbyartig weiter witmen“.

Für „Das Floß der Medusa“ ließ sich der Künstler von seiner Frau, der Fotografin Elfie Semotan, in der Pose eines der Überlebenden aufnehmen (1996).
Für „Das Floß der Medusa“ ließ sich der Künstler von seiner Frau, der Fotografin Elfie Semotan, in der Pose eines der Überlebenden aufnehmen (1996).

© Galerie Gisela Capitain

„Kippenberger war gute Laune“, so wollte er erinnert werden. Das gelingt bis heute. Wer die Ausstellung in der Bundeskunsthalle besucht, hört immer wieder jemanden vor einem Gemälde, über einer Vitrine glucksen, so komisch sind die Titel dieses begnadeten Nachfahren der Dadaisten, so irrwitzig die hergestellten Verbindungen. Ungezogen wie Kippenberger nun einmal war, gab es für ihn weder stilistisch noch formal Grenzen. In seiner Malerei mixte er sozialistischen Realismus, Pop Art, abstrakten Expressionismus. Dazu klebte er Schrifttäfelchen wie „Jeans“, „against“ und „Fashism“ auf die Leinwand und hatte sich damit gleichzeitig über die Friedensbewegung mokiert. In „Ertragsgebirge mit Wirtschaftswerten“, in das er Multiples von Beuys montierte, verpasste er dem Kollegen wie dem Kunsthandel eine Klatsche. Wie gerne hätte man da gewusst, was er heute dem Betrieb zu beißen geben würde.

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