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Blick auf Santorini

© imago/blickwinkel

Griechischer Alltag (2): Urlaub machen: Zehren von der Sommeressenz

Urlaub in Griechenland. Geht das angesichts der Krise? Ja. Touristen helfen so ganz unmittelbar der Wirtschaft. Und für die Griechen selbst besteht ihr Land einmal nicht nur aus Memoranden und Verhandlungen.

Das letzte Wochenende verbrachten wir auf Andros, am abgelegenen Strand von Achla. Dort liegt ein geschütztes Biotop mit Schluchten und Platanen. Es gibt einen Fluss, der sich bis zum Meer hinunterzieht. Ein dicker Igel rollte wie ein Ball unter die Bäume, und auf den Trockenmauern standen Herden von Schafen. Abends glitzerten die Aale im Wasser. In der ganzen Szenerie fehlten nur noch Nymphen und Zentauren.

Wir hatten uns überlegt, die Reise zu stornieren. Schließlich siegte der Verstand: Wir fanden, es würde Griechenland nicht retten, wenn wir 20 von 24 Stunden am Internet klebten. Wie sich herausstellte, waren wir die einzigen Griechen, die ihre Reise nicht abgesagt hatten. Unser Biotourismus-Hotel hatte abends am Strand einen kleinen Empfang organisiert, bei dem sich die Gäste kennenlernen sollten, und das erinnerte nun ein wenig an diese veralteten Witze: Ein Grieche, ein Deutscher und ein Franzose stranden auf einer einsamen Insel...

Politische Zuspitzung von kulturellen Stereotypen

Wir waren umringt von Norwegern, Österreichern, Belgiern, Deutschen und Schweden. Auf dem einsamen Strand wirkten wir wie die Euro-Gruppe auf Urlaub. Da standen wir also, ein Glas Wein in der Hand, aufgeschlossene, sonnengebräunte Europäer, die das Reisen und den Humanismus im Blut haben.

„Woher kommen Sie denn“, fragte ich die blonde Frau neben mir. „Aus Belgien“, sagte sie und setzte nach einer kleinen Pause und einem Räuspern hinzu: „Man hat uns empfohlen, nicht zu sagen, dass wir aus Brüssel sind.“ Wir lachten beide wie kultivierte Menschen, die gelernt haben, bei Bedarf die Geschichte als Parodie zu erleben. Ich komme aus Athen und weiß, was Hitze bedeutet, du kommst aus Stockholm und weißt, was Kälte bedeutet. Die Stereotypen wurden jetzt allerdings noch betont durch die politische Zuspitzung. Nun wirkten die Franzosen wie ein Fortsatz von François Hollande, sie waren die Freunde der Griechen. Die Deutschen waren die misstrauischen Kinder von Frau Merkel. Und wir? In ihren Augen waren wir offenbar die unheilbar leichtlebigen Griechen.

Man braucht Bargeld in manchen Ferienorten - das haben die Griechen nicht

Nach der ersten Steifheit begann die nationale Identität wie zu enge Kleidung zu wirken. Letztlich waren wir so weit weg von Fernsehbildschirmen und Notebooks allesamt einfach Menschen im Urlaub. Wir entspannten uns und genossen den Sternenhimmel. Am nächsten Morgen nahmen wir alle um den großen hölzernen Klostertisch vereint unter den Platanen unser Frühstück ein. In dem Moment gab es nichts Trennendes. Im Schatten der hohen Bäume war es für alle offensichtlich: Politik und Massenmedien machen uns zu unbeholfenen kleinen Soldaten, die Kalten Krieg spielen. Wir können uns dieser Rolle auch verweigern.

Die griechische Schriftstellerin Amanda Michalopoulou
Die griechische Schriftstellerin Amanda Michalopoulou

© Wikipedia

Auf Andros erzählte man, eine Familie aus Israel habe große Zweifel gehabt, ob sie nach Griechenland kommen sollte. In ihrer Heimat habe das Fernsehen ständig Archivbilder von den Ereignissen 2008 gezeigt und den Eindruck erweckt, in Athen sei die Hölle los. Die Schreckensgeilheit der internationalen Sender erzeugt routiniert und systematisch das Bild, Griechenland sei nicht sicher.

Nach dem Schließen der Banken und dem „Ochi“ des griechischen Referendums erlebte Griechenland, wie die Buchungen der Reiseveranstalter drastisch zurückgingen. Gleichzeitig nahmen aber auch die Absagen der Einzelreisenden dramatisch zu. Nach den Gesprächen über die neue Vereinbarung schöpfte der Markt wieder Hoffnung. Selbst die Griechen, die ihre Ferien abgesagt hatten, beginnen zaghaft bei Hotelanlagen vor allem im argo-saronischen Golf und auf den Kykladen anzurufen und nach Preisen zu fragen. An den abgelegeneren Ferienorten ist es schwierig, mit Karte zu zahlen. Man braucht Bargeld, und das haben die Griechen momentan nicht.

Griechenland: die ureigene Sommeressenz

Vielleicht ist die konkreteste und radikalste Form des Philhellenismus zurzeit ein Urlaub in Griechenland. Alle Europäer, die sich entschließen, mit Banknoten in dieses Land zu kommen, leisten so eine ganz unmittelbare Hilfe für die griechische Wirtschaft. Die hiesige Fluggesellschaft Aegean Airlines hat die Preise um 40 Prozent gesenkt. Und in manchen Hotels gibt es schon beträchtliche Rabatte. Eine Buchung in einem kleinen Hotel, eine Mahlzeit in einer Taverne mit Familienbetrieb, damit kann man die regionale Wirtschaft unterstützen.

In unserem Hotel gab es Tomaten aus dem eigenen Garten, Okraschoten mit Schafskäse aus der benachbarten Käserei. Und so bestand Griechenland an diesem Wochenende nicht nur aus Memoranden und Verhandlungen, sondern für eine kleine Weile wieder aus seiner ureigenen Sommeressenz. Tomaten, Sonne und Zikaden.

Aus dem Griechischen von Birgit Hildebrand.

Amanda Michalopoulou, geb. 1966, lebt als Schriftstellerin in Athen und auf den Inseln. Diesen Sommer drucken wir in loser Folge ihre Berichte aus Griechenland.

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