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Die Schauspielerin und Preisträgerin Ingrid Burkhard spricht bei der Verleihung. Die Verleihung des Großen Diagonale Schauspielpreises während der Diagonale Eröffnung in Graz.

© Erwin Scheriau /dpa

Grazer Diagonale in Österreich: Zombies aus dem Mürztal

Die Grazer Diagonale ist Österreichs nationales Filmfestival. Der Rechtsruck im Land war auch hier beherrschendes Thema.

Auch Österreichs nationales Filmfestival ist elektrisiert von der aktuellen Politik. Das zeigt sich an der Auswahl der Filme. An einer gesteigerten medialen Aufmerksamkeit, die bis zur "Kronenzeitung" reicht. Und an einem – meist jungen – Publikum, das euphorisiert auf jede Äußerung gegen rechts reagiert. Da war es klug und konsequent, dass die beiden ebenfalls sehr jungen Festivalleiter Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber im Ton sehr deutlich auf kommunikative Deeskalation setzten und inhaltlich an demokratische Verfahren, Dialog und vermehrte Empathie appellierten. Organisatorisch steht man dabei auf solidem Boden, denn das seit 1993 erst in Salzburg und danach in der steirischen Hauptstadt angesiedelte Filmfestival ist autonom jenseits aktueller Politikentwicklungen aufgestellt, wird aber von der derzeitigen Landesregierung mehr als wohlwollend gefördert.

Engagement auf Festivalseite zeigte schon die Wahl des (einen Tag nach dem 70. Jahrestag des "Anschlusses" präsentierten) Eröffnungsfilms, der in Regie von Christian Frosch eine der schändlichsten Episoden der Stadt aufarbeitet. Es ist der Fall des als "Schlächter von Wilna" für die Ermordung vieler dortiger Juden hauptverantwortlichen steirischen NSDAP-Politikers Franz Murer. Dessen Verbrechen waren in seinem Heimatland bisher ungesühnt und weitgehend unbekannt. Frosch inszeniert den erst 1963 initiierten und in einem Freispruch geendeten Prozess mit nachgestellten Zeugenaussagen Überlebender als weit aufgefächerten Spielfilm und legt als politischen Hintergrund des Freispruchs auch opportunistische Kalkulationen der SPÖ gegenüber rechten Wählergruppen nahe.

Der Spielfilmjury war "Murer" einen der beiden Hauptpreise wert. Auch die Auszeichnung für den besten Dokumentarfilm ging an einen im besten Sinn politischen Film, der einen der großen österreichischen Dokumentaristen an einen scheinbaren Hauptschauplatz der aktuellen Migrationsbewegung bringt. Der Filmemacher ist Nikolaus Geyrhalter, das Objekt seines Interesses ein Zaun, den die österreichische Polizei an der Tiroler Brenner-Grenzstation errichten will.

Zwei Jahre dreht Geyrhalter dort und begleitet die medialen Präsentationen des institutionellen Hin und Her. Und er findet sogenannte einfache Menschen, die – bei allen begründeten und unbegründeten Sorgen – in ihrer Haltung sehr oft genau die Empathie aufbringen, die in der politischen Arena zusehends abhandenkommt. Auch Humor transportiert "Die bauliche Maßnahme" reichlich, nicht nur im Titel

Jelineks "Die Kinder der Toten" als Zombiefilm

Naturgemäß steht bei einem nationalen Filmfestival die Präsentation der aktuellen Produktion im Zentrum. Die kuratorische Kunst ist es, um diesen Pflichtteil herum eine Kür zu bauen, die die einzelnen Elemente miteinander so ins Gespräch bringt, dass das Publikum – durch das Angebot sanft geleitet – selbst eigene Schneisen des Erkennens durchs Programm schlagen kann. Dies gelang in Graz glänzend. Etwa wenn die mit ihrem Dokumentarfilm "Waldheims Walzer" eingeladene Ruth Beckerman bei einem Podiumsgespräch zum 1968 gegründeten Wiener Filmkollektiv "Filmladen" argumentative und atmosphärische Brücken vom damaligen Aktivismus zur heutigen politischen Entwicklung baute.

Oder in einer Sektion, die unter dem Titel "Kein schöner Land" den Blick programmatisch von der Hauptstadt in die Provinz richtete und unter anderem die Neubegutachtung etwa von Tourismus-Seligkeiten à la "Im weißen Rössl" anbot. Ihren Höhepunkt fand sie aber in Egon Humers "Postadresse: 2640 Schlöglmühl" aus dem Jahre 1990, einer dokumentarischen Sozialstudie über die Schließung einer Papiermühle Mitte der 1980er Jahre, die in ihrer präzisen Gestaltung den Anfang jener durch soziale Grausamkeiten provozierten mentalen Verwerfungen zeigt, unter deren Folgen wir heute leiden.

Grandiose Ergänzung zu diesem Schlüsselfilm ist das gemeinsam mit dem Steirischen Herbst betriebene Projekt der Inszenierung von Elfriede Jelineks Großroman "Die Kinder der Toten" als Super-8-Zombiefilm durch das Nature Theater of Oklahoma, angesiedelt an seinem Handlungsort im steirischen Mürztal und gespielt von den dortigen Einheimischen und anderen Laien. In Graz gab es ein bejubeltes Making-of dieser Dreharbeiten mit dem Titel "Die Untoten von Neuberg" in der Regie von Ulrich A. Reiterer, das die von Großstädtern so oft als dumpfbackig geschmähte Provinz in lebendigstem kollektiven Übermut strahlen ließ.

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