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© Mike Wolff

Graffiti: Eine Dose ist eine Rose ist eine Dose

Phos4 aus Berlin ist ein Graffiti-Star. Am Wochenende holt er Street-Artisten aus aller Welt zum Summerjam-Festival. Profis aus aller Welt geben dann Demonstrationen ihres Könnens, Anfänger haben Gelegenheit, sich auszuprobieren und aneinander zu messen.

Von Maris Hubschmid

Man kann es Ironie des Schicksals nennen: Zum Sprayen hat ihn ausgerechnet ein Polizist animiert. Da war Phos4, wie er sich inzwischen nennt, zwölf Jahre alt und mit seiner Familie an eine S-Bahn-Strecke in Schöneberg gezogen. Die Graffiti auf Zügen und Lärmschutzmauern faszinierten ihn, er zeichnete sie ab und brachte eigene Entwürfe zu Papier. Der Stiefvater erkannte das Talent des Jungen als Erster und bat ihn, seiner alten Citröen-Ente mit etwas Farblack ein neues Gesicht zu verpassen. So sprühte der halbwüchsige Phos4 den Wagen des Polizeibeamten an. Und der war stolz auf ihn. Zumindest bis zur ersten Hausdurchsuchung.

Seither ist viel passiert. Wer heute den Graffiti-Laden Yard 5 in der Friedrichshainer Samariterstraße betritt, ahnt kaum, dass echte Prominenz vor ihm steht: In Kennerkreisen gilt der 34-Jährige, der seinen bürgerlichen Namen nicht nennen mag, als internationale Größe. Kids kopieren seine Styles aus Büchern, tragen T-Shirts mit seinen Motiven. Seine Myspace-Seite www.myspace.com/phosfour zählt seit ihrer Gründung 2007 an die 80.000 Besucher. Phos4 hat die Berliner Graffiti-Szene mit aufgebaut und StreetArt hierzulande populär gemacht.

An diesem Sonnabend lädt er mit seinen Kollegen aus dem Yard 5 zum „Summerjam“-Festival ein. Profis aus aller Welt geben Demonstrationen ihres Könnens, Anfänger haben Gelegenheit, sich auszuprobieren und aneinander zu messen. Bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Buchstaben werden an die Wand projiziert, Fortgeschrittene erfinden Figuren dazu, sogenannte Characters. Zwei amerikanische Graffiti-Legenden werden erwartet: Cope2, der in New York durch seine allgegenwärtigen Sprühbilder auf Zügen und Hausdächern Bekanntheit erwarb, und T-Kid, der sich mit farbenprächtigen Darstellungen seines Künstlernamens profilierte.

Kaum ein Sprayer weiß vom anderen, wie er wirklich heißt. „Das tut nichts zur Sache“, sagt Phos4. Es ist nicht üblich, seinen Namen preiszugeben, für viele, die illegal malen, sogar gefährlich. Illegal malen, damit hat Phos4 frühzeitig aufgehört. Obwohl man ihn nie auf frischer Tat ertappte und es nach besagter Hausdurchsuchung bei einer Verwarnungsstrafe von 24 Stunden Sozialarbeit blieb, die er als Müllsammler auf einem Zeltplatz abarbeitete. Er muss sich nicht in mutprobenartigen Aktionen an exponierten Stellen verewigen, perfektioniert seinen Stil lieber in Ruhe an legalen Orten.

Es gibt unterschiedliche Wege, Ruhm und Anerkennung zu erlangen. „Im Prinzip ist das ja Ego-Befriedigung pur.“ Phos4 ist gern im Team unterwegs, er sagt, „ich bin ein Mannschaftsspieler“. Wenn mehrere Sprayer das gleiche Schlagwort verbreiten, erreichen sie schneller einen höheren Bekanntheitsgrad. Außerdem sei das „nicht anders als beim Fußball: Da kannst du allein noch so toll den Ball hochhalten, erst wenn andere dazukommen, wird’s ein spannendes Spiel.“ Mit ein paar Kumpels gründete Phos4 in den neunziger Jahren die Gruppe SOS-Spirits of Style, bevor er zu den Glorious Five Artists ging, der bekanntesten deutschen Writer-Verbindung. Später rief er eine weitere Crew ins Leben, RTZ, Return To Zero. Die Kürzel schreibt er noch heute unter jedes Piece.

Plätze, an denen das Malen erlaubt ist, gibt es in Berlin nur wenige. Die Behörden bemühen sich nach Kräften, die „verstärkt im Berliner Stadtbild auftretenden großflächigen Farbschmierereien“ (Website des Landeskriminalamts) einzudämmen. Dabei ist Street Art längst gesellschaftsfähig geworden. Sammler wie Brad Pitt blättern sechsstellige Dollarbeträge für ein Werk des britischen Straßenkünstlers Banksy hin, die dafür von Hausfassaden abgenommen werden müssen. Und die Nachfrage nach Fachliteratur und Zubehör steigt. Phos4 behalf sich vor zwanzig Jahren noch mit Sprühdeodorants, um für die Lackdosen an Aufsätze zu gelangen, die das Zeichnen feiner Linien ermöglichen. Mittlerweile existiert eine ganze Industrie, die Sprayer und Maler mit Utensilien beliefert.

Street-Art-Künstler setzen mit ihren Werken Markierungen im Straßenbild. Banksy sieht sich sogar in der Tradition der Kommunikationsguerilla und greift in manifestartigen Texten Werbeagenturen und Stadtplaner an, die aus der Welt einen „hässlichen Ort“ machen. Die Szene ist gut vernetzt. Zwischen Berliner und New Yorker Graffiti-Künstlern gibt es lange schon freundschaftliche Beziehungen. Cope2 und T-Kid, die amerikanischen Stars, treten beim Summerjam auf, ohne dafür ein Honorar zu erhalten. Ihre Flüge werden von Sponsoren bezahlt.

Man muss weder aus dem Ghetto kommen, noch dem Steuerzahler eins auswischen wollen, um sich für Graffiti zu begeistern. Phos4 absolvierte die Mittlere Reife und eine Ausbildung zum Erzieher. „Was einst mit einer Handvoll Leuten begann, da ist eine richtige eigene Gesellschaft draus geworden. Und da gibt es, wie überall, unterschiedlichste Parteien und Motivationen“, sagt er. Auch wenn die Polizei den Begriff Graffiti in ihrem Informationsschreiben unmittelbar mit solchen wie „Tatwerkzeug“, „Begleitkriminalität“, „Rohheitsdelikt“ und „gemeinschädliche Sachbeschädigung“ in Verbindung bringt.

Für den bald zweifachen Familienvater Phos4 ist Graffiti „einfach eine kreative Art, sich auszudrücken“. Wie jede andere Kunst auch. Interessante Kürzel denkt sich übrigens auch die Gegenseite aus. GEGIB steht für „Gemeinsame Ermittlungsgruppe Graffiti in Berlin“, eine Spezialeinheit der Polizei. Zu ihren Aufgaben zählt auch „Präsenz auf den von der Klientel besuchten Veranstaltungen“. Vielleicht trifft man die Beamten ja beim Summerjam in Lunas Strandgarten.

Der Yard 5 Summerjam beginnt am Sonnabend, 11 Uhr, in Lunas Strandgarten, Revaler Straße 34 (Friedrichshain). Infos unter www.yard5.de und bei Yard 5, Samariterstraße 5, Telefon 030 - 420 830 16.

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