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„Die Nachbarin war Armenierin. Aber sie wollte nicht darüber sprechen.“ Maxim Gorkin-Intendantin Shermin Langhoff veranstaltet zum 100. Jahrestag ein besonderes Osterfest.

© dpa

Gorki-Intendantin Shermin Langhoff im Interview: „Berlin muss ein Möglichkeitsraum bleiben“

Was kann die Kunst angesichts der Flüchtlingskrise ganz praktisch leisten? Shermin Langhoff, Intendantin des Gorki-Theaters, über eine neue Willkommenskultur - und den Berliner Kulturetat.

Shermin Langhoff, in Deutschland brennen Flüchtlingsunterkünfte, ein Mob marschiert auf – gehen wir finsteren Zeiten entgegen?
Man muss nur mit der Ringbahnlinie S 41 fahren, um Zeuge zu werden, wie Kinder anderer Herkunft angepinkelt werden, oder nach Nauen fahren, wo eine unbewohnte Asylunterkunft mit Molotowcocktails angegriffen wird. Da lohnt sich ein genauer Blick, warum wir in aufgeklärten Zeiten, in Zeiten des Wohlstands, dieser Barbarei anheimfallen.

Man könnte in Pessimismus verfallen.
Man muss auch einen Optimismus wahren. Auf der anderen Seite gibt es sehr viele Menschen, die genau jetzt agieren, reagieren. Mit der sogenannten Flüchtlingskrise geht ja auch eine neue soziale Bewegung einher, die viele Aspekte kritisch befragt, die wir ohnehin seit Langem verhandeln: ob Gentrifizierung oder andere Ausschlussmechanismen einer Gesellschaft. Es tritt ja vieles zutage, was bereits länger geschwelt hat. Es gibt ja auch eine Kontinuität von rassistischem Denken in der sächsischen Schweiz.

Als Anfang der neunziger Jahre eine solche Welle von Fremdenhass hochkam, ging damit nicht zuletzt der migrantische Aufbruch in der Kunst einher. Welche Fragen beschäftigen das Gorki-Theater jetzt?
Mölln, Solingen, Hoyerswerda – diese Anschläge waren tatsächlich für viele Künstlerinnen und Künstler, nicht zuletzt für mich, Initialzündungen. Unfassbar, dass so etwas wieder eine Alltäglichkeit geworden ist. Die Frage, die wir uns stellen und die viele Verantwortliche auch in Politik und Medien sich stellen sollten, lautet im Kern: Wie können wir zivilisiert leben in einer heterogenen Gesellschaft? Zugespitzt: Welche neue Gesellschaft brauchen wir? Das wird uns auch in unserer Eröffnungspremiere „The Situation“ von Yael Ronen beschäftigen.

Ronen ist die Konflikt-Spezialistin des Hauses. Womit befasst sie sich?
Das Stück hat sich zu einer Geschichte über Menschen entwickelt, die nach Berlin gekommen sind mit ganz verschiedenen Erwartungen, Hoffnungen und anderem Gepäck. Die meisten aus Israel und Palästina, einige aus Syrien. Da stehen Kolleginnen und Kollegen, die erst vor wenigen Wochen oder Monaten zugewandert sind, neben den anderen auf der Bühne, die quasi Erste-Klasse-Flüchtlinge sind, die also mit Visum und Arbeitserlaubnis aus Israel kamen. Worum es uns nicht geht, ist, in paternalistischer Weise Flüchtlinge auf die Bühne zu stellen, die ihre Geschichte erzählen.

Solche Projekte nehmen ja auch überhand.
Wobei ich über die gerade aufflammenden Debatten, ob nicht zu viele Flüchtlinge auf der Bühne stehen, nur staunen kann. Das halte ich für makaber. Es spielen immer noch 80 bis 90 Prozent der 143 Theater in Deutschland Repertoire, letztlich sind es doch wenige Bühnen, die sich mit dokumentarischem Material und den entsprechenden Protagonisten beschäftigen. Die Art und Weise, wie die jeweilige Inszenierung mit den von Flucht Betroffenen umgeht, ist dabei freilich entscheidend.

Braucht es nicht mehr konkrete Hilfe als Kunstprojekte?
Wir haben als Künstler einen Möglichkeitsraum, um über das rein Pragmatische hinauszudenken. Das würde ich nicht unterschätzen. Es kann nicht nur darum gehen, wo wir Zelte aufstellen. Dass Druck auf die Politik ausgeübt werden muss, dass wir alle leer stehenden Räume in Berlin nutzen sollten, steht außer Frage. Was wir als Theater ganz praktisch leisten können und leisten, ist Visa-Anträge zu stellen, Arbeitserlaubnisse einzuholen, eben Hürden nicht zu scheuen als Institution. Wir können Flüchtlingsfamilien in Stücke einladen, mit Einführungsworkshops. Wir können den Refugee Impulse Club und andere Eigeninitiativen unterstützen. All das geschieht am Gorki.

Flucht, Migration – die ewigen Menschheitsthemen?
Wie auch Ausschlüsse und Genozide. Nüblings Arbeit ist das Herzstück unseres 2. Berliner Herbstsalons, mit dem wir diesmal die Gegenwart und das Thema Flucht in den Fokus nehmen. „In unserem Namen“ wird eine zweiwöchige Installation und bespielt die große Bühne sowie den Zuschauerraum. Der Raum hat ja in der Vergangenheit eine Nationalversammlung beherbergt, die sich auch schon Gedanken gemacht hat, wie die Gesellschaft neu aufgestellt werden sollte.

Da steht das Gorki vor keiner geringen Aufgabe. Entsprechend sollte es ausgestattet sein. Nun wird der Kulturetat Berlins deutlich angehoben, auch Sie bekommen mehr Geld, 1,6 Millionen mehr 2017. Zufrieden?
Grundsätzlich ist es toll, dass nächstes Jahr 22 Millionen mehr für die Kultur eingeplant sind. Und dass die Mittel für die freie Szene entscheidend angehoben werden. Was das Gorki betrifft, kann ich aber nicht restlos zufrieden sein. Weil ein entscheidender Teil der Mittel, eine knappe Million, in den Tarifausgleich und die Miete für das Haus fließt, das ja nicht mehr dem Land Berlin gehört.

Für die Kunst bleibt wieder nichts übrig?
Immerhin können wir nun einen Repertoirebetrieb stemmen, ohne Drittmittel einwerben zu müssen. Da ist ein strukturelles Defizit ausgeglichen worden, das seit einem Jahrzehnt bestand und schon von meinem Vorgänger Armin Petras beklagt wurde. Aber wir können weiterhin das Studio nicht finanzieren, das nur noch bis 2017 aus Lottomitteln unterstützt wird. Einen Ort, an dem genau jene Nachwuchsförderung stattfindet, die stets gefordert wird und die sich alle Institutionen eigentlich wünschen..

Ärgert es Sie da nicht, dass der künftige Volksbühnen-Intendant Chris Dercon allein zur Vorbereitung seiner Intendanz 2,9 Millionen bekommen soll?
Natürlich kann man sich die Mittelverteilung für die Sprechtheater noch mal im Einzelnen genauer anschauen, auch die für die Volksbühne. Allerdings ist dieses Thema für mich komplett überschattet durch Bert Neumanns Tod. Was die Volksbühne betrifft, bin ich ein großer Fan der Arbeiten von Castorf, Pollesch und Fritsch, weil dieser utopische Ort mich überhaupt zum Theater gebracht hat. Weshalb ich René Pollesch und den Rest der Bande auch eingeladen habe, ans Gorki zu kommen und ihr Ost-Schild hier anzuschrauben.

In Zukunft dürfte es in der Berliner Kultur trotzdem vermehrt um die Frage gehen: Politische Arbeit? Oder Schaufensterkunst für Airbnb-Touristen?
Ich erlebe die Dinge komplexer. Ein Humboldt-Forum kann heute nicht mehr in den Ethnologien des vorigen Jahrhunderts verharren, sondern muss sich aus postkolonialer Perspektive mit der diversifizierten Stadtgesellschaft, auch einer diversifizierten touristischen Gesellschaft auseinandersetzen. Das ist so, und das wird erkannt. Wir dürfen uns aber nicht auf die Mitte und die Leuchttürme beschränken: Wir müssen dafür sorgen, dass Berlin ein Möglichkeitsraum bleibt und eine Willkommenskultur bietet. Auch in der Ringbahn und in Nauen.

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