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Frühlingsgefühle im Herbst des Lebens. Judy Winter, Michael Altmann.

© Imago

Kultur: Goldene Zeiten

Uraufführung von „Spätlese“ mit Judy Winter im Theater am Kurfürstendamm

Daran erkennt man den echten Privattheater-Prinzipal. Auf die Frage, was er sich zum Geburtstag wünsche, antwortet er: ein Bühnenstück. Und weil er immer sparsam denken muss, inszeniert er das Werk dann auch gleich noch selber. Am Samstag feierte Jürgen Wölffer seinen 75., am Sonntag fand in seinem Theater am Kurfürstendamm die Uraufführung von „Spätlese“ statt. Folke Braband, selber ein erfahrener Boulevard-Regisseur, hat Wölffer eine charmante Komödie geschenkt, in der es – passend zum Anlass - ums Älterwerden geht. Eine lockere Szenenfolge aus der Seniorenresidenz „Abendrot“, in der sich Josefine, Maria und Agnes den Herbst des Lebens zu vergolden versuchen.

Bei aller gebotenen Screwball-Turbulenz ist Brabands Stück eine sensibel beobachtete Milieustudie - mit witzigen Wortspielen und ein paar richtig schön sarkastischen Spitzen für Judy Winter. Die Rolle der Ex-Schauspielerin Josefine ist der grande dame des Unterhaltungstheaters natürlich auf den Leib geschrieben. In dem neogotischen Wintergarten, den Julia Hattstein als Ambiente erdacht hat, darf sie nach Herzenslust chargieren, Klassiker-Zitate abfeuern und extravagante Kostüme vorführen. Ein Golden Girl, bei dem längst nur noch Bronze ist, was glänzt. Anrührender, weil seelisch verschatteter, allerdings sind ihre Mitinsassinnen gezeichnet, Hannelore Cremer als vereinsamte Maria, die sich eine heile Familie erschwindelt, und Chariklia Baxevanos als bezaubernd vertrottelte Alzheimer-Agnes.

Früher wollten Boulevardstücke dem kleinen Mann oft beweisen, dass „die da oben“ ebenso charakterschwach sind wie wir alle. Brabands „Spätlese“ zeigt jetzt nicht nur rüstige, schlagfertige Seniorinnen, die sich immer noch mit denselben Beziehungsproblemen herumschlagen wie ihre Enkel - sondern vor allem auch alte Damen, die ganz selbstverständlich Ausländer und Schwule in ihre Lebensabendgesellschaft integrieren. Cool. Frederik Hanssen

Weitere Aufführungen bis 11. Dezember.

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