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Kämpferisch: Ken Loach, Gewinner der Goldenen Palme

© REUTERS

Goldene Palme für Ken Loach in Cannes: Der alte Mann und das Gehtnichtmehr

Ken Loach gewinnt für "I, Daniel Blake" die Goldene Palme bei den Filmfestspielen von Cannes. Die deutsche Favoritin Maren Ade geht dagegen leer aus.

Am Ende der überlangen Palmen-Zeremonie und auch eines merkwürdig länglich geratenen Festivals wurde es wohl Zeit für den Predigerton. So mahnt Ken Loach, der Überraschungssieger des Abends, nicht nur salbungsvoll, dass Cannes „stark bleiben“ möge, schließlich sei es „wichtig für die Zukunft des Kinos“, sondern er wird auch massiv politisch. Unsere Welt sei an einem „gefährlichen Punkt“ angelangt, an dem die rechtsgerichteten Kräfte von allgemeiner „Verzweiflung“ zu profitieren drohten. Und aus der Geschichte sei doch geläufig, „wozu das führt“. 

Dass der große, mittlerweile fast 80-jährige linke Kämpe des Kinos weitgehend recht hat - wer wollte das bestreiten. Im Denken und im Handeln ist er so aufrecht wie der Zimmermann Daniel Blake, der Held seines gleichnamigen Films, der angesichts langer Krankschreibung und fast unmöglicher Rückkehr auf einen festen Arbeitsplatz aus dem sozialen Netz zu fallen droht - und trotzdem den Kopf oben hält und sogar noch die Kraft hat, anderen zu helfen. Doch auch hier ein salbungsvolles Finale: Als Blake, zermürbt durch erfolglose Behördengänge, dahinstirbt, hinterlässt er bei seinem Begräbnis ein Manifest der Menschenwürde, das eine Freundin unter Tränen verliest. Und Abspann.

 Die Jury setzt nicht auf Filmkunst. Das ist riskant.

Soviel Pathos war nie bei Ken Loach, also muss es der Welt wirklich sehr schlecht gehen. Eigentlich habe er mit dem letzten Film aufhören wollen, sagte er dieser Tage in einem Interview, aber die schlimmen Verhältnisse zwängen ihn zum Weitermachen. Ein derart linearer Glaube an das Kino als Waffe zum Guten imponiert, befremdet aber auch, als Symptom eines nicht (film-)kunstkompatiblen Sendungsbewusstseins. Dass Loach nun seine zweite Goldene Palme nach „The Wind That Shakes the Barley“ 2006 gewann, steht dazu leider nicht im Widerspruch. 

Diese Jury unter dem „Mad Max“-Regisseur George Miller - und mit den Regisseuren Lászlo Nemes und Arnaud Desplechin, den Schauspielern Mads Mikkelsen, Donald Sutherland, Kirsten Dunst und Valeria Golino, der Sängerin Vanessa Paradis und der iranischen Produzentin Katayoon Shahabi - hat konsequent auf die inhaltliche Erschütterung durch Themen, nicht auf große Filmkunst gesetzt. Kann man machen, allerdings landet man dann bald beim Gesinnungskino. Sollte das jene kreative Filmwelt sein, für die Cannes laut dem Loach-Appell „stark bleiben“ muss? Was für ein fatales Missverständnis.

Dieses nach wie vor uneinholbar wichtigste Filmfestival der Welt hat sein Profil durch konsequentes Setzen auf auch ästhetisch irritierende, provokante Filme erworben - und speist so die globalen Kinoprogramme übers Jahr mit überlebensnotwendigem Sauerstoff jenseits puren Entertainments. Auch hält Cannes einen Begriff von Film hoch, den die „siebente Kunst“ weiterhin verdient. Nun geht es, nach dem absonderlichen Votum dieses 69. Jahrgangs, noch mehr darum, dieses entscheidende Merkmal zu bewahren.

Xavier Dolan erhielt den Grand Prix für seinen Film "Juste la fin du monde" (It's Only the End of the World)
Xavier Dolan erhielt den Grand Prix für seinen Film "Juste la fin du monde" (It's Only the End of the World)

© REUTERS

Abseits der Palme für Loach hat sich die Jury zwar durchaus teils an respektable Filme wie jene von Asghar Farhadi oder Cristian Mungiu gehalten, die herausragenden Titel unter den 21 Konkurrenten aber kühl übersehen. Auch mag es aus deutscher Perspektive verdächtig scheinen, die Jury für die Nichtachtung von Maren Ades „Toni Erdmann“ postwendend selber mit minderer Achtung zu strafen - aber überhaupt kein Preis für einen Film, der die internationalen Kritiker ebenso hingerissen hat wie das Publikum und seit den ersten Festivaltagen einhellig als Favorit galt? Die Berliner Produzenten mögen sich damit trösten, dass „Toni Erdmann“ seit seiner ersten Vorführung ein Top-Erfolg auf dem Filmmarkt wurde, aber bitter bleibt dieses Missverhältnis doch.

Hätte Maren Ades Film nicht doch einen Preis verdient?

Und wie steht es um Jim Jarmuschs wunderbar zartes und luzides Meisterwerk „Paterson“, das vom sanften Leben eines dichtenden Busfahrers in New Jersey erzählt? War das pure Thema des Films womöglich nicht bedeutend genug für eine cineastisch staatstragende Ehrung, ungeachtet seiner kompositorischen und schauspielerischen Finesse? Und war die höchst originell erfundene und von Peter Simonischek und Sandra Hüller so komisch wie anrührend gespielte Wiederannäherung eines Vaters und seiner erwachsenen Tochter nicht einen klitzekleinen Preis wert, zumal über alle globalisierungsbedingte Entfremdungsgrenzen hinweg? 

So schrill ist selten ein Festival von Cannes zu Ende gegangen, dissonant auch die Schluss-Gala. Zu viel Pathos, zu viele Tränen, und zwischendurch eine musikalische Darbietung mit Big Band und Gesang, bei der - absolut unironisch - kein Ton richtig getroffen schien. Auch 'ne Kunst.

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