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Kultur: Götz Friedrich: Der Menschenerkenner

Die Gelegenheit ist günstig, eine Binsenweisheit auszusprechen, die in den letzten Jahren in Vergessenheit geraten ist: Ohne Götz Friedrich wäre Oper in Deutschland nicht das, was sie ist. Wie kaum ein anderer Regisseur hat der heute vor 70 Jahren in Naumburg an der Saale geborene Juristensohn die Nachkriegsgeschichte des deutschen Musiktheaters geprägt.

Die Gelegenheit ist günstig, eine Binsenweisheit auszusprechen, die in den letzten Jahren in Vergessenheit geraten ist: Ohne Götz Friedrich wäre Oper in Deutschland nicht das, was sie ist. Wie kaum ein anderer Regisseur hat der heute vor 70 Jahren in Naumburg an der Saale geborene Juristensohn die Nachkriegsgeschichte des deutschen Musiktheaters geprägt. Seine Arbeiten haben einer ganzen Generation klar gemacht, was das Publikum von zeitgemäßen Opernaufführungen erwarten darf. Und weil unter seinen Zuschauern manche waren, die später selber Regisseure wurden, hat Friedrichs Stil selbst dahin ausgestrahlt, wo er persönlich nie inszeniert hat. Bis in die tiefste Provinz hinein gelten seine Qualitätsmaßstäbe.

Was Worte nicht leisten

Sie durchzusetzen, war ein langer Kampf: Als Friedrich 1972 mit dem "Tannhäuser" in Bayreuth debütierte, tobte das Festspielhaus - vor Entrüstung. Ein Buh-Gewitter ging auf den Regisseur nieder, Franz Josef Strauß verließ demonstrativ den Staatsempfang. Dabei hatte Friedrich nichts anderes getan, als das Werk genau zu lesen und seine Analyse optisch umzusetzen. Er zeigte Tannhäuser als Wahrheitsfanatiker, der an einer verlogenen Gesellschaft zugrunde geht - in klarenBildern: Schließlich geht es ihm darum zu vermitteln, warum Menschen auf der Bühne singen: "Doch nur, um auszudrücken, was Worte nicht leisten können, um Grenzen zu überschreiten und in Bezirke vorzudringen, wo wir anders als nur logisch denken."

Die Unbeirrbarkeit, mit der Götz Friedrich in mittlerweile über 160 Inszenierungen seine Ideen unters Opernvolk bringt, hat er von seinem großen Lehrmeister, dem Gründer der Komischen Oper, Walter Felsenstein. Als 23-Jähriger war Friedrich zum Berliner Team gestoßen, hier wurde er zum "Kriminalisten des Theaters" ausgebildet, lernte, Werke nach ihren tiefsten Schichten zu befragen. Mit Feuereifer arbeitete er sich bis zum Oberspielleiter hoch und machte mit eigenen Inszenierungen, wie dem legendären 1971-er "Don Quichotte" von Massenet, nachdrücklich auf sich aufmerksam.

1973 aber kehrte er von einem Gastspiel in Stockholm nicht nach Ostberlin zurück. Ob es eher das Bedürfnis war, sich vom Übervater zu lösen, wie sein Regisseurskollege Harry Kupfer vermutet, oder ob ihm ein Weiterarbeiten unter DDR-Bedingungen unmöglich schien, kann letztlich nur Friedrich selber beantworten. Im "Westen" jedenfalls empfing man ihn mit offenen Armen: Er wurde Chefregisseur in Hamburg, vier Jahre später auch Principal Producer am Londoner Opernhaus, inszenierte an allen bedeutenden Bühnen - bis der Berliner Senat ihm 1981 die Leitung der Deutschen Oper antrug. Damals eine mutige Entscheidung. Götz Friedrich bedankte sich auf seine Weise und brachte als erste Chefarbeit jenes Werk heraus, das 1931 am Ende der kurzen Blütezeit der Kroll-Oper gestanden hatte: Leos Janaceks "Aus einem Totenhaus".

Dass seine Regierungszeit an der Deutschen Oper letztlich 20 Jahre dauern würde, hat auch Friedrich nicht geahnt. In den ersten Jahren ist er zweifellos an dem Haus gewachsen, inzwischen ist er mit ihm geradezu verwachsen. Die Deutsche Oper ist Götz Friedrich. In der Bismarckstraße ist sein künstlerisches Zuhause, hier hat er viele seiner Meisterinzenierungen zur Premierenreife gebracht, allen voran seine Berliner Version von Wagners "Ring des Nibelungen" (1984/85), die immer noch zu den bedeutendsten Interpretationen des Vierteilers gehört. Aber auch mit seinen Deutungen von "Aida", "Eugen Onegin", "La Bohème", "Cosi fan tutte" oder "Porgy und Bess" - um nur einige zu nennen -, hat er sich als hoch musikalischer Analytiker und sensibler Detailarbeiter ausgewiesen, als Menschenerkenner, der sich in die Figuren hineindenkt und ihre inneren Kämpfe optisch umzusetzen vermag. Mag dabei seine Symbolsprache - gerade bei seiner Spezialität, den inszenierten Ouvertüren - heute oftmals überdeutlich wirken - sie war doch nötig, um die auf Kulinarik versessenen Opernkonsumenten wachzurütteln. Wie gut ihm das gelungen ist, zeigt, dass die meisten Zuschauer inzwischen bereit sind, auch viel feinere Nuancen wahrzunehmen.

Als Hausherr nimmt sich Götz Friedrich das Recht, seine Freunde einzuladen, Regisseure, die ähnlich denken wie er: Vor allem Günter Krämer, John Dew und Hans Neuenfels setzen Kontrapunkte zu seiner Arbeit, ohne seine Position in Frage zu stellen. Schwerer tut er sich da schon mit den Dirigenten. Unvergessen ist die "Sache Sinopoli": Obwohl ein Fünf-Jahres-Vertrag bereits unterschrieben war, machte der italienische Dirigent 1990 einen Rückzieher. Sein Nachfolger Rafael Frühbeck de Burgos waltete glücklos, und auch mit dem aktuellen Generalmusikdirektor Christian Thielemann gibt es immer wieder Reibungen.

Sein Metier bleibt die Kunst

Den schwersten Schlag seiner Karriere aber musste Götz Friedrich im Frühjahr 1998 hinnehmen, als der so genannte "Defizit-Skandal" die Berliner Kulturszene erschütterte: Obwohl das 19-Millionen-Mark-Loch im Haushalt der Deutschen Oper letztlich nicht auf "managementbedingte Fehlern" zurückzuführen war, blieb sein Ruf als Theaterlenker nachhaltig beschädigt. Götz Friedrich ist eben kein Mann, mit dem man über Geld streitet. Sein Metier ist immer die Kunst geblieben, sein Hauptberuf der des Regisseurs. Doch mit einem Restzeit-Manager lässt sich heute kein großes Haus mehr führen. Darum ist es richtig, dass Götz Friedrich im Sommer 2001 die Hausschlüssel an Udo Zimmermann übergibt - wenn es ihm zweifellos auch schwer fallen wird. Doch es wird ihm damit eine Bürde von den Schultern genommen, die ihn in letzter Zeit zu erdrücken drohte. Die Befreiung vom Schreibtischjob des Intendanten wird dem ungebrochen Arbeitshungrigen hoffentlich die Kraft geben, seine Lieblingswerke weiterhin immer wieder neu zu befragen. Denn einer wie Götz Friedrich lernt nie aus.

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