zum Hauptinhalt
Nina Stemme findet als Brünnhilde ganz am Ende doch noch zu sich selbst.

© Bernd Uhlig/Deutsche Oper

„Götterdämmerung“ an der Deutschen Oper: Auf die Takte getackerte Nebelkerzen

Starregisseur Stefan Herheim inszeniert Wagners „Götterdämmerung“ an der Deutschen Oper Berlin mit mörderischem Materialaufwand und wenig Erkenntnisgewinn.

Wer sich zur „Götterdämmerung“ aufmacht, weiß, dass es eine lange Reise werden wird. Schließlich muss eine ganze Welt untergehen und dabei nebenher die Hoffnung auf eine neue geboren werden, eine, in der das ewige Wagner-Dilemma Macht oder Liebe endlich anders verhandelt werden kann.

Auf dem Weg dorthin müssen hehrste Schwüre gebrochen, Helden gemordet und die Götter gestürzt werden. Dann holt sich das Feuer die Reste einer brutal gescheiterten Welt, gelegt von der letzten Liebenden, und der Rhein tritt über die Ufer. Schwamm drüber und ein paar Takte unvergleichliche Musik dazu, die einen neuen Tag nach sechseinhalb Stunden Opernbesuch zumindest möglich erscheinen lassen.

Koffer als schroffe Felslandschaft

Das alles ist für Regisseure ein Leckerbissen, wenn sie denn ernsthaft zubeißen wollen. Stefan Herheim zeigt mit der „Götterdämmerung“ den letzten Teil seiner „Ring“-Tetralogie an der Deutschen Oper Berlin. Im „Rheingold“ begann sie damit, dass eine Gruppe Geflüchteter die Koffer absetzt und rund um einen Flügel auf der leeren Bühne beschließt, ein bisschen Musiktheater zu spielen.

Mittlerweile schleppt niemand mehr Gepäck umher, die Koffer bilden wie versteinert so etwas wie eine schroffe Felslandschaft, die kurz ins Bild geschoben wird. Und hereingeschoben wird eine Menge in Herheims „Götterdämmerung“, etwa das Foyer des gerade 60-jährigen Opernhauses samt Sekttheke und kinetischer Kunst an der holzvertäfelten Wand.

Im gedoppelten Foyer steht ein Publikum, wie man es sich für Imagekampagnen wünscht, jung, irgendwie divers, athletisch biegsam und auch in Feinrippunterwäsche noch ansehnlich. Diese Gruppe gerät plötzlich unter „Götterdämmerungs“-Einfluss, zieht sich aus und gibt eurythmische Kommentare zum Geschehen ab, die sich besonders in einem Züngeln der Arme ausdrücken.

Liegt es am Sekt, der in der Deutschen Oper ausgeschenkt wird? Immerhin umspült er auch großzügig die Intrige, die Siegfried den Tod bringen wird. Ob hier ein Rausch-Experiment gerade aus dem Ruder läuft oder die auf verlorenem Posten handelnden Personen schlicht etwas in die Hand brauchen, wird man nicht wirklich klären können. Das Publikum soll sich wohl angesprochen fühlen und wird daran durch zwischenzeitliches Einschalten des Saallichts auch noch mal unauffällig erinnert.

Was könnte die Rolle des Publikums bei diesem schwer- und wenig sinnfälligen Kulissengeschiebe sein? Je länger der Abend währt, desto stärker wächst der Gedanke, dass Herheim damit eigentlich nur den offenen Widerstand gegen sein ausgehöhltes, trübes Wagner-Theater gemeint haben kann.

Der Starregisseur hatte ja davon gesprochen, dass man an der Deutschen Oper den Tod der Kunstform Oper feiern wolle. Wer hier also ruhig sitzenbleibt, während die Bühnenmaschinerie mal wieder majestätisch knarzt, macht sich quasi mitschuldig. Ein Ballettabend musste jüngst abgesagt werden, weil Herheim nach Jahren der Vorbereitung einfach nicht fertig werden konnte mit der „Götterdämmerung“. Mörderischer Materialaufwand ohne jede gedankliche Schärfe – wo so etwas anscheinend unhinterfragt möglich ist, dämmert ein großes Opernhaus nur noch vor sich hin.

[Weitere Vorstellungen am 17., 24. und 31.10., Siegfried-Premiere am 12.11. im Rahmen des ersten Ring-Zyklus]

Die Augen zu schließen, hilft da nicht weiter, denn dass in dieser „Götterdämmerung“ etwas ganz und gar nicht stimmt, hört man auch. Generalmusikdirektor Sir Donald Runnicles hat sich angesichts der wirren Bühnenzustände auf einen Zen-Posten zurückgezogen und will selbst gar nichts mehr interpretieren, sondern lieber das Werk sprechen lassen, wie er im Programmheft verrät.

Nun spricht so eine gewaltige Partitur leider nicht einfach so, auch wenn das natürlich praktisch wäre. Für die Emanzipation von Herheims auf die Takte getackerten Nebelkerzen zahlen Runnicles und sein Orchester einen hohen Preis. Nichts erscheint mehr pointiert, alles ist nur noch eine unübersehbare musikalische Tiefebene. Dass Sänger:innen bei dieser Aussicht verzweifeln und fürchten müssen, das Ziel nicht bei Kräften zu erreichen, ist die logische Folge.

Nicht ohne Grund ist es eine Nebenrolle mit einem kurzen, aber zu Herzen gehenden Auftritt, die am Ende stürmisch gefeiert wird. Okka von der Damerau begehrt als Waltraute auf gegen das zähe Schicksal, und ihr Gesang ist geformt und erfüllt von Trauer und Angst. Bei ihr bildet sich endlich die so schmerzhaft vermisste Einheit von musikalischdramatischem Ausdruck, wird überhaupt erst klar, warum hier eigentlich gesungen wird.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Krise live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können. ]

Ansonsten gibt es viel Deklamation ohne jede Syntax. Begegnungen von Sinn und Gesang sind selten und reine Glückssache. Gänzlich ohne Fortune bleibt die Besetzung von Gidon Saks, der sich zwar mit „beginnender Indisposition“ ansagen lässt, davon abgesehen aber überhaupt nicht die Stimmlage, Statur und Schwärze für den sinistren Heldenmörder Hagen mitbringt.

Thomas Lehman gelingt es, seinem überforderten, schwächlichen König Gunther Momente einer aalglatten Verzweiflung zu schenken. Und ganz am Ende findet Nina Stemme als Brünnhilde doch noch zu sich. Unbeirrt von Herheims obsessiven Tuchspielereien um sie herum steht sie da und gießt ihr Herz aus, ein letztes Mal.

Man hört, dass sie diese Rolle schon lange und auch nicht mehr ewig singt. Ganz im Gegensatz zu Siegfried: Clay Hilley ist ein noch junger Heldentenor mit unbeschwerten Höhen-Anlagen, die tatsächlich aufhorchen lassen, mit Durchhaltevermögen und szenischer Unempfindlichkeit. Ihn möchte man einmal wieder hören, nachdem er dort geprobt hat, wo es für ihn auch etwas zu lernen gibt.

Eine Raumpflegerin fegt die Bühne

Nun fehlt nur noch ein Teil und der neue „Ring“ der Deutschen Oper wird geschlossen sein. „Siegfried“ erlebt seine Premiere erst während der ersten Aufführung des Zyklus im November. Drei komplette Durchgänge wird es in dieser Saison geben, für alle sind Tickets nur im Paket zu Preisen zwischen 200 und 840 Euro zu haben.

Das ist eine Ansage und trotzdem nur ein kleiner Tropfen angesichts der ausufernden Kosten des Herheim-Unterfangens. Es zu verdauen, wird die Deutsche Oper noch eine Menge Kraft kosten. 52 Mal wurde die „Götterdämmerung“ des Götz-Friedrich-Rings gespielt, in den beiden Pausen von Bayreuther Ausmaßen spekuliert man darüber, wie lange sich wohl dieser Nachfolger im Spielplan halten wird.

Was können wir hoffen? Noch liegt „Siegfried“ vor uns, die märchenhafte Jugend eines Helden und das Erwachen der Liebe in einem Universum aus Hass und Gier. Wagner unterbrach seine Arbeit am „Ring“ für zwölf Jahre und vollendete „Siegfried“ dann gereifter, tiefer, wärmer. Ob das Eindruck macht auf Stefan Herheim und sein Team? Wie ihr „Ring“ endet, wissen wir nun.

Eine Raumpflegerin fegt die Bühne, die wie im „Rheingold“ wieder wüst und leer ist, bis auf einen Flügel und Koffer am Horizont. „Die Suche nach mythischer Heimat aus einem revolutionären Impuls stetiger gesellschaftlicher Reorganisation dauert bis heute an“, schreibt die Dramaturgie der Deutschen Oper dazu. Es gab eine Zeit, da hat man diese Heimat an der Bismarckstraße gesucht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false