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Der RIAS-Kammerchor.

© Matthias Heyde

„Goetia“ im Boulez Saal: Zauberschrift der Dämonen

Triumphal: Im Pierre Boulez Saal bereiten der RIAS-Kammerchor und das Michelangelo String Quartet „Goetia“ von Lera Auerbach einen Uraufführungserfolg.

Sie singen wie die Engel, doch sie verstehen sich auch auf deren düstere Gegenspieler: Im Pierre Boulez Saal bereitet der einmal mehr von Denis Comtet glänzend instruierte RIAS-Kammerchor, klangschön-sensibel unterstützt vom Michelangelo String Quartet und umsichtig geleitet Kaspars Putniņš, dem Werk „Goetia“ von Lera Auerbach einen triumphalen Uraufführungserfolg. Die russisch-amerikanische Komponistin stellt sich damit einem kaum weniger riskanten Unterfangen als der Vertonung des Telefonbuchs. Denn die „Ars Gotia“ als Teil der „Clavicula Salomonis“ („Schlüsselchen Salomos“) aus dem 17. Jahrhundert ist eine Namensliste von 72 Dämonen, deren Anrufung sie dem Propheten dienstbar macht. Bereits 2016 hob der Nederlands Kamerkoor das Gegenstück, die „72 Angels“ aus der Taufe, und seinem Siegeszug durch sechs europäische Städte ist wohl zu verdanken, dass neben dem deutschen und dem niederländischen Chor auch die Cracow Singers, die Zürcher Singakademie und Wien Modern das neue Werk in Auftrag gaben.

„In umbra lucis“ ist der Untertitel des Werkes, und als Schatten des himmlischen Lichts können sich die Dämonen hier nicht nur zu einem schwarzgefiederten „Catalogue d'oiseaux“ versammeln. Ohnehin gelten sie in heidnischen Mythologien eher als gottähnliche Gestalten. Die Anrufung von „Agares“ über „Baal“, „Marax“ oder „Purson“ bis „Zepal“ erscheint denn auch mehr als ein Ritual mit meditativen, leidenschaftlichen, sanften oder grotesken Zügen. Ohnehin hat die Komponistin, wie zum Schutz, diesen 72 kurzen Abschnitten ein „Präludium“ aus dem 90. Psalm vorangestellt, nach dem der Gläubige von den Engeln „über Löwen und Ottern“ getragen wird. Mendelssohn vertonte Teile daraus in seinem „Elias“, und Anklänge an die großen geistlichen Werke enthält auch der Dur- Moll-Mix, dem der Chor sanft flehende Vollstimmigkeit verleiht. Dem fügt Auerbach orientalisierende Elemente hinzu: grundierende Quintklänge, übermäßige Tonschritte wie die „Zigeunerterz“ oder trommelähnliche, vom Streicherpizzikato erzeugte Rhythmen.

Die Soli von Anja Petersen, Viktoria Wilson, Waltraud Heinrich, Susanne Langner, Minsub Hong und Matthias Lutze sorgen immer wieder für Akzente, emotionale Intensität und Stimmsensationen, etwa in sehr kehligem Gesang. Doch auch gelegentliche „Gags“ wie Singen mit geschlossenen Lippen, geheimnisvolles Zischen oder plötzliches Schluchzen können nicht verhindern, dass in 80 Minuten Dauer quälende Eintönigkeit modulationsloser Melancholie entsteht - auf allerhöchstem Niveau wiedergegeben und somit nicht ohne Wirkung.

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