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Wenn einem das Wasser bis zum Hals steht. Zur Corona-Pandemie gesellt sich jetzt auch noch eine gigantische Staatsverschuldung.

© imago images/McPHOTO

Global Challenges: Viel hilft nicht immer viel

Sorgen die staatlichen Corona-Rettungspakete für eine galoppierende Inflation? Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Jörg Rocholl

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Prof. Jörg Rocholl PhD, Präsident der Wirtschaftshochschule ESMT in Berlin. Weitere Autoren und Autorinnen sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Sigmar Gabriel, Günther H. Oettinger, Prof. Dr. Volker Perthes,, Prof. Dr. Bert Rürup und Prof. Dr. Renate Schubert.

Zu wenig oder zu viel? Europa hat mit großen Mühen eine Antwort auf die Frage gefunden und im vergangenen Jahr das Corona-Rettungspaket in Höhe von 750 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Die „Sparsamen Vier“ aus Dänemark, den Niederlanden, Österreich und Schweden hielten das Programm für überdimensioniert, anderen Staaten hingegen war es nicht groß genug. Kaum ist die Diskussion abgeklungen, beginnt sie mit Blick über den Atlantik umso intensiver wieder von vorne.

Denn das Volumen des europäischen Rettungspakets mutet gegen die Maßnahme des neuen US-Präsidenten Joe Biden – 1,9 Billionen Dollar zur Stützung der Konjunktur – fast bescheiden an. Schon werden Stimmen laut, das europäische Paket reiche nicht aus und solle erhöht werden. Europa müsse mehr tun, rät etwa Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz.

Viel hilft viel, diesen Eindruck könnte man angesichts der Diskussion gewinnen. Aber so einfach ist es nicht. Der frühere amerikanische Finanzminister Larry Summers und der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds Olivier Blanchard etwa traten in den vergangenen Jahren stets als Verfechter größerer staatlicher Programme und einer höheren Staatsverschuldung auf.

Sorge um überdimensionierte Programme

Nun aber halten sie Bidens Konjunkturprogramm für überdimensioniert, und zwar um glatt eine Billion Dollar. Die beiden Experten treibt die Sorge um, das Programm könne große Schäden anrichten. Auch in anderen Staaten hat es massive Rettungspakete und eine Debatte um deren Für und Wider gegeben.

Wenn also mehr nicht automatisch besser bedeutet, was gilt dann? Unstrittig ist die Notwendigkeit staatlicher Rettungspakete in der Pandemie. Wann, wenn nicht jetzt, sollten Staaten eingreifen, um die extrem getroffene Wirtschaft zu stützen? Unstrittig ist auch, dass bei den Programmen die Devise gilt: Klotzen statt kleckern. Denn der starke wirtschaftliche Abschwung wäre noch stärker gewesen, wenn die Staaten nicht massiv interveniert hätten. Sie wurden in der Krise mehr denn je zum unerlässlichen Stabilitätsanker. In Europa war das Rettungspaket wohl gar der Kitt für die Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union. Denn bei den zuvor angekündigten nationalen Programmen hatten sich tiefe Dissonanzen gezeigt.

Es wurde argumentiert, dass diejenigen Staaten einen großen Vorteil hatten, die mit geringerer Staatsverschuldung in die Krise gingen und daher besonders viel finanzielle Feuerkraft zur Gesundung der Wirtschaft bereitstellen konnten. Die Rettungspakete in Deutschland waren besonders umstritten, schienen sie doch deutlich größer als die im restlichen Europa zu sein. Dabei wurden aber häufig Äpfel mit Birnen verglichen.

Es macht nämlich einen Unterschied, ob ein Staat eine Garantie ausstellt, die nur unter Umständen in Anspruch genommen wird, oder das Geld direkt auszahlt. Genauso ist auf europäischer Ebene von Bedeutung, welche Teile des Hilfspakets als Kredite gewährt und welche als Zuschüsse zur Verfügung gestellt werden. Daher lohnt es sich, nicht nur in Europa genauer hinzuschauen.

Entscheidend sind die Details

Entscheidend ist erstens, was im Einzelnen drinsteckt und nicht, welche Zahl draufsteht. Zweitens ist die Frage von zentraler Bedeutung, für welche inhaltlichen Zwecke die Mittel eingesetzt werden sollen. Gerade an diesem Punkt entzündet sich die Diskussion in den USA. Denn jeder Dollar kann nur einmal ausgegeben werden. So könnte ein groß angelegtes Rettungspaket mit einem Fokus auf die Ankurbelung des privaten Konsums dazu führen, dass keine ausreichenden Mittel mehr für notwendige öffentliche Investitionen in eine moderne und klimafreundliche Infrastruktur zur Verfügung stehen.

Das ist umso verhängnisvoller, als mit dem jetzigen Paket auch diejenigen begünstigt werden, die das zusätzliche Geld nicht unbedingt benötigen, es aber dennoch gerne mitnehmen. In Europa dreht sich die Diskussion vor allem um die Frage, ob die Mittel tatsächlich zukünftige Wachstumsaussichten eröffnen und einen europäischen Mehrwert schaffen – oder ob sie lediglich unabhängig von der Pandemie bestehende Haushaltslöcher stopfen und so bestehende ineffiziente Strukturen verfestigen. Dahinter steht die große Frage der dauerhaften Finanzbeziehungen und damit der Zukunft der Europäischen Union.

Drittens sind die Nebenwirkungen staatlicher Rettungspakete zu betrachten. Larry Summers rechnet vor, dass der gesamte Einkommensverlust aller Amerikanerinnen und Amerikaner monatlich 25 Milliarden Dollar beträgt, die Hilfspakete aber insgesamt 100 Milliarden Dollar pro Monat umfassen. Die Pakete fallen also deutlich größer aus als die tatsächlich entstandenen Einkommensverluste. Es ist zu befürchten, dass die zusätzlichen Mittel unmittelbar in den Konsum fließen und damit die größte Inflation seit Generationen anfachen könnten – eine galoppierende Inflation, die selbst die Notenbanken nicht mehr unter Kontrolle bekommen könnten.

Überlastung der Zentralbanken?

Die schon länger schwelende Frage nach einer möglichen Überlastung der Zentralbanken und ihrer Abhängigkeit von Politik und Kapitalmärkten wird damit noch drängender. Das geschickte Zusammenspiel fiskalischer und geldpolitischer Maßnahmen und der Zeitraum, in dem die Maßnahmen wieder zurückgefahren werden, ist also von zentraler Bedeutung, in Europa wie in den USA.

Damit kommt der Kernpunkt ins Spiel. Kein staatliches Rettungspaket reicht auf Dauer aus, das wirtschaftliche Geschehen zu ersetzen. Die Verluste aus Pandemie und Lockdown sind zu groß, um über lange Zeit von Staaten geschultert werden zu können. Niemand sollte der Illusion erliegen, der Staat könne das alleine schaffen. Er kann es nicht, so wichtig er ist, besonders in der Krise. Kein staatliches Paket ist so wirksam wie eine Rückkehr der Wirtschaft in den Normalbetrieb.

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Wenn also zusätzliches Geld eingesetzt werden sollte, flösse es kurzfristig am besten in einen wirksameren Infektionsschutz und eine bessere Verfügbarkeit und Verteilung von Impfstoffen. Das mag ein Grund dafür sein, dass die Diskussion um die Angemessenheit der Rettungspakete sich derzeit auf Europa und die USA konzentriert – und weniger auf China, wo die Wirtschaft bereits 2020 wieder gewachsen ist und in diesem Jahr an Dynamik gewinnt.

Wir sollten also im Auge behalten, dass es eine Zeit nach der Pandemie gibt. Die Krise geht, aber die Staatsverschuldung bleibt, mit den daraus erwachsenen Folgen für zukünftige Generationen und einen Staat, der eine Entwöhnungskur bei zunehmend abhängigen wirtschaftlichen Akteuren beginnen muss. Und es bleiben die großen Herausforderungen bei Klimawandel, Demografie und Digitalisierung, die jetzt und in Zukunft massive öffentliche Investitionen erfordern.

Zu wenig ist also schlecht, zu viel ist es aber auch. Entscheidend ist die Frage, wie die Mittel investiert werden, ob sie weitere private Investitionen initiieren und eine Perspektive für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum nach der Krise bieten. Diese Frage sollte der zentrale Gradmesser für die Diskussion in Europa und den USA sein.

Jörg Rocholl

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