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Die russische Sopranistin Julia Lezhneva verwandelt Mozarts Arien in Kleinode der Ausdruckskunst.

© Simon Fowler/Decca

Giovanni Antonini im Berliner Konzerthaus: Schönheit und Schrecken

Giovanni Antonini animiert das Konzerthausorchester zu einer ungemein plastischen Pastorale, und die Sopranistin Julia Lezhneva bezaubert das Publikum.

Jeder Ton eine Welt. Es sind nur zwei der zu Mozarts Zeiten beliebten Konzertarien, aber Julia Lezhneva macht daraus Kleinode der Ausdruckskunst. Die russische Sängerin überrascht das Publikum im Konzerthaus mit immer neuen Wendungen, vom Schmerzensschrei aus Liebeskummer in „Ch’io mi scordi di te?“ bis zum quecksilbrig spöttischen Lachen, in das sie die Koloraturen von „Voi avete un cor fedele“ verwandelt.

Ihre gleißende Höhe, ihr glühendes Piano, eruptiver Zorn, bange Seufzer, Keckheit, Trotz: Es ist die Selbstbeschwichtigung und Selbstermächtigung einer Frau, die Lezhneva mit ihrem souverän-geschmeidigen Sopran aus Mozarts Melodie-Schönheiten herausmodelliert. Dazu Daniel Lebharts einfühlsames Klavierspiel, eine kongeniale Partnerschaft.

Ein vorweihnachtlicher Abend ohne Weihnachtsmusik. Das Konzerthausorchester unter Leitung von Giovanni Antonini hebt das utopische Potential nicht nur der Mozart’schen Miniaturen, sondern auch der Pastorale – und als barockem Vorläufer von Ludwig van Beethovens 6. Symphonie auch der drei Sätze aus Jean-Féry Rebels Suite „Les élements“. Am Anfang war die Erde wüst und leer.

Die dissonanten Septakkorde von Rebels Eröffnungssatz mit dem Titel „Le chaos“, die zackigen Streicherfiguren, schroffen Tremoli und stockenden, jeden Flow verweigernden Phrasen gemahnen zugleich an das apokalyptische Ende des Planeten – wer dächte da nicht an den Klimawandel.

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Auch die Idylle der Sicilienne, die Bordunquinten und Dorftänze der Tambourins I und II nehmen Beethoven gleichsam vorweg, eine ungemein plastische Pastorale. Antonini, der langjährige Leiter des Barockensembles „Il Giardino Armonico“, dirigiert die Sechste mit hohem Körpereinsatz. Wenn er knietief in die Hocke geht und mit wedelnden Armen seinerseits die Elemente entfesselt, Klangfarben aufblühen lässt, mitreißende Crescendi evoziert und dem Holzbläser-Vogelgesang in der „Szene am Bach“ alle Zeit der Welt lässt, lockt er in jedem einzelnen Mitglied des Konzerthausorchesters den Vollblutmusiker hervor.

Beethovens Lautmalereien werden dabei nicht zu Effekten verkürzt. Noch das Gewitter bleibt eingebettet in einen organischen, stetigen Puls, ein mal expressives, mal fein nuanciertes Landschaftspanorama. Schönheit und Schock, die Macht der Liebe, die Zerstörungsgefahr – es ist wie bei Julia Lezhnevas Gesang. Wie gesagt, ein utopischer Abend.

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