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Ballettmeister und Volksbühnen-Legende. Der österreichische Choreograf Johann Kresnik ist gestorben.

© Imago

Gestorbener Choreograf: Zeige deine Wunde

Er provozierte, scheiterte und triumphierte. Zum Tod des Tanztheatermeisters Johann Kresnik.

Er war ein Träumer, Tänzer und Täter. Wenn das Wort Visionär auf einen Künstler je zutrifft, dann auf Johann Kresnik. Sicher, die Königin des modernen Tanztheaters hieß Pina Bausch. Doch ihr wilderer, explizit politischer, weniger graziöser, aber emphatisch furioser Gegenpol war der jetzt mit 79 Jahren in Klagenfurt an einer Herzschwäche gestorbene Tanzmeister Johann Kresnik.

Den Begriff „choreographisches Theater“, den er wie kein anderer auch während seines Jahrzehnts bis 2002 als Tanztheaterchef an Frank Castorfs Berliner Volksbühne ins Bewusstsein rückte, hat Kresnik schon seit den 1970er Jahren geprägt. Wer kann so vergessen, wie J. K. 1995 in seinem Tanzstück „Ernst Jünger“ eine uniformierte kriegerische Heerschar von jungen Männern und teilweise barbrüstigen Frauen mit scheppernden Blechtöpfen (gleich Helmen und Armeegeschirren) in einem akustischen Orkan gegen die Volksbühnenrampe anmarschieren ließ und Jüngers einstige „Stahlgewitter“ in einen Theaterdonner sondergleichen verwandelt hatte.

Wobei man diesen persönlich zu großer Herzlichkeit fähigen gebürtigen Kärntner im ersten Anblick und Auftritt wohl nicht dem Tanz oder gar ursprünglich dem Ballett zugerechnet hätte. Kresnik war ein untersetzter Kraftkerl, eher der Typ Fußballtrainer oder Autoschlosser. Tatsächlich wurde der Tanzmeister 1939 im damals großdeutschen Österreich als Bergbauernsohn geboren und machte zuerst eine Lehre als Werkzeugmacher. Mit drei Jahren soll er erlebt haben, wie slowenische Partisanen seinen zur Wehrmacht eingezogenen Vater erschossen. Nachhaltigen Einfluss auf den jungen Johann hatte später dann sein der Kommunistischen Partei angehöriger Stiefvater.

In Bremen fiel er dem Talentefischer Kurt Hübner auf

Gewalt, Kriegsschrecken, Politik und utopische Hoffnungen – sie haben Kresnik ähnlich wie seinen Freund Heiner Müller früh geprägt. Der Einberufung zum österreichischen Bundesheer hat er sich als (ästhetisch) militanter Pazifist mit dem Wechsel nach Deutschland entzogen. Noch in Graz war Kresnik mit dem örtlichen Theater als Hospitant in Berührung gekommen, als sein Debüt gilt eine Rolle als Eunuch im Ballett „Scheherazade“. In Bremen fiel er Anfang der 1960er Jahre dem Talentefischer Kurt Hübner auf, der ihn dort neben dem neuen Regiestar Peter Zadek und dessen Pop-Art-Bühnenbildner Wilfried Minks arbeiten ließ. Schon da waren Grenzüberschreitungen weg vom klassischen Ballett angelegt, obwohl Kresnik sich auch bei Meistern wie John Cranko und in New York bei George Balanchine weiterbildete.

Doch schon seine ersten eigenen Choreografien haben Signale gesetzt: 1967 in Köln ließ er in seinem Stück „O seila pei“ Fantasien schizophrener Dichter verkörpern, und 1968 reagierte er auf das Berliner Attentat auf Rudi Dutschke mit dem Tanzabend „Paradies?“ Später freilich sind die Fragezeichen bei Kresnik eher unausgesprochenen Ausrufezeichen gewichen. Seine Stücke ohne Worte, aber mit Musiken aus aller Welt, mit starken Bühnenbildern und heftigen Rhythmen schrien, klagten an, verdammten.

Dabei assoziierte Kresnik immer häufiger Motive aus realen Biografien und Werken. Nicht nur Hassfiguren wie Ernst Jünger tauchten in seinen Arbeiten in Bremen, Berlin, Heidelberg, Bonn oder Wien auf, auch mit ihren wirkungsvollen Namens-Titeln: „Ulrike Meinhof“, Sylvia Plath“ (über die durch Selbstmord geendete amerikanische Poetin), „Rosa Luxemburg“, „Pasolini“, „Picasso“ oder „Frida Kahlo“. Gerade für die mexikanische Malerin des körperlichen Schmerzes und früher Versehrung fand Kresnik 1992 in Bremen enorme Bilder, tanzend und schwirrrend zwischen Alpträumen und Wunschvisionen, zwischen Politik und aus der Malerei in gestische Poesie übersetzten Szenen. Mit Hannelore Kohl, der er nach ihrem Selbstmord in Bonn einen Abend widmete, war das schon schwieriger.

Ein Schock fürs Publikum, doch die letzte Aufführung war ein Triumph

Manche Künstler werden im Alter jedoch nicht formvollendeter. Johann Kresnik, der Formensprenger, hatte seinen Bewunderern 2015, als scheiternder Heimkehrer, den hierauf endgültigen Abschied von Berlin und der Volksbühne eher leicht gemacht. Das lag an seinem frei nach Pasolinis De-Sade-Film gefertigten Stück „Die120 Tage von Sodom“. Weil es um faschistische Machogreuel und sexuelle Gewaltfantasien gehen sollte, wurde es zu einer Mischung aus Blut, Schweiß und Urin, neben vielen lachhaften oder abgeschmackten Beliebigkeiten war’s eine schon vor allen MeToo-Debatten schwer erträgliche, oft sehr krude Ausbeutung nackter Körper, vor allem von jungen Frauen. Seitdem hatte man von Kresnik, der sich nach Österreich zurückgezogen hatte, trotz weiterer Arbeiten etwa in der Pina-Bausch-Stadt Wuppertal eher wenig gehört.

Nun aber der plötzliche Tod – nachdem er vor vier Wochen in Wien noch voll offenbar frischer Energien das „Impuls“-Tanzfestival eröffnet hat: mit einer Rekonstruktion seines schon 1988 in Heidelberg uraufgeführten, in den Szenenbildern des Wiener Malerfreunds Gottfried Helnwein komponierten Tanzstücks „Macbeth“. Diese ganz freie Adaption der shakepearischen Figur gehört bis heute zu den Meisterwerken. In einem klinisch hellen Raum voller Blutbahnen tanzt ein sehr kleiner Mörderkönig als grausames, grausam verstörtes Kind in viel zu großen Stiefeln durch eine Alptraumwelt und endet in einer Badewanne. Gereinigt durch den eigenen Tod. Aber es war das Bild auch des toten Politikers Barschel in der Wanne eines Genfer Hotelzimmers. Ein Schock für das Publikum. Doch die später auch beim Berliner Theatertreffen umjubelte Aufführung war ein Triumph. Eine offene Wunde, ein vieldeutiges Wunder.

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