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Im Bann von Joyce. Wolfgang Koeppen (1906 – 1996).

© Ursula Düren/dpa

Gespräche mit Wolfgang Koeppen: Unendlich viel Hoffnung, nur nicht für mich

Arbeit am Mythos: Ein Band versammelt Gespräche und Interviews des Schriftstellers Wolfgang Koeppen.

Von Gregor Dotzauer

Das Wort von der Prokrastination war noch nicht in aller Munde, als man über Wolfgang Koeppens literarisches Verstummen den Kopf zu schütteln begann. Doch erklärt es wirklich, was ihn jahrzehntelang über seine Romane lieber sprechen ließ, als sie zu schreiben? Koeppens beredtes Schweigen hatte sicher damit zu tun, dass er hoffte, als Erzähler nicht vergessen zu werden. Wahrscheinlich verteidigte er sich auch gegen die Erwartungen seiner Gönner, allen voran seines langjährigen Verlegers Siegfried Unseld, der ihn mit steigendem Widerwillen durchfütterte. Vielleicht glaubte er auch, durch öffentliche Autosuggestion den Kampf mit seinen widerspenstigen Stoffen doch noch zu gewinnen.

Unterm Strich ist es aber auch nicht falsch, ihn einer guten alten Faulheit zu zeihen, die er mitunter sogar eingestand. So erkannte der Germanist Jörg Döring bei Koeppen ein bereitwilliges Zurückschrecken vor allem, was sich nicht eruptiv und unter Bezug auf Erlebtes bewältigen ließ. Groß angelegte Fiktionen entstehen anders.

Behauptungswillen zwischen Selbstschutz und Selbstbetrug

Von den 770 Seiten zuverlässig kommentierter „Gespräche und Interviews“, die den Schlussstein einer noch nicht vollständig erschienenen 16-bändigen Werkausgabe bilden, entfallen jedenfalls 754 auf Begegnungen, die erst nach der Veröffentlichung von Koeppens letztem Romans „Der Tod in Rom“ im Jahr 1954 stattfanden. Da war er 48 Jahre alt. Schon deshalb sind sie mehr als eine Beigabe: Sie zeugen von einem Behauptungswillen irgendwo zwischen Selbstschutz und Selbstbetrug, dem schon deshalb Werkcharakter gebührt, weil Koeppen den Transkripten durch Umarbeitungen nicht selten einen schriftlichen Gestus verlieh.

Die große Form hatte er mit seiner „Trilogie des Scheiterns“ hinter sich gelassen. Was 1951 mit „Tauben im Gras“ begonnen hatte und 1953 mit dem im Bonner Politikmilieu spielenden Roman „Das Treibhaus“ seine Fortsetzung fand, wurde von kleineren Formen abgelöst. Zu Lebzeiten erschienen nur noch exzellente Reiseprosa, Texte fürs Fernsehen, Essays und Reportagen sowie die bruchstückhafte Erzählung „Jugend“ (als digitale Edition mustergültig aufbereitet unter www.koeppen-jugend.de). Koeppens Tod 1996 im Alter von 89 Jahren förderte nur weitere Fragmente zutage, darunter den Mitte der 1930er Jahre im zeitweiligen holländischen Exil entstandenen Romanentwurf „Die Jawang-Gesellschaft“.

Erinnerung und Fabulierlust lassen sich bei ihm nur schwer trennen

Die dennoch ansehnlichen Textberge – vieles soll verloren gegangen sein – gehen nach Koeppens frühen Jahren als Theaterdramaturg in Würzburg nicht zuletzt auf seine durch Herbert Ihering vermittelte Zeit als Redakteur beim „Berliner Börsen-Courier“ vom Herbst 1932 bis zur Auflösung durch die Nazis zurück. Für den Herbst ist überdies ein Band mit UFA-Drehbüchern angekündigt. Koeppen blieb als Gesprächspartner also schon durch seine Zeitzeugenschaft interessant. In den Interviews formuliert er seine Erfahrungen, soweit er sich in sein melancholisches Herz schauen lässt, in immer neuen Varianten. Die unvermeidlichen Wiederholungen haben insofern ihren Reiz, als sich nie entscheiden lässt, wo er im wachsenden Dunkel der Erinnerung an der Konstruktion einer endgültigen Fassung arbeitete und wo die Fabulierlust mit ihm durchging.

Gegenüber dem Gesprächsband „Einer der schreibt“, den Herausgeber Hans-Ulrich Treichel 1995 veröffentlichte, ist der Umfang dieser Ausgabe um zwei Drittel angewachsen. Chronologisch setzt sie 1952 mit einem Interview zum Zeitroman ein, und sie endet nach einer Petitesse von Volker Hage zu Koeppens 85. Geburtstag mit dem ein Jahr zuvor mit Gunnar Müller-Waldeck geführten Gespräch über die Geburtsstadt Greifswald.

Er lebte mehr als Schriftsteller denn als Mensch

Enthalten ist auch das hier über 100 Seiten umfassende Gespräch, das sein großer Förderer Marcel Reich-Ranicki 1985 für die ZDF-Reihe „Zeugen des Jahrhunderts“ mit ihm führte. Es leuchtet insbesondere die Biografie aus, stößt bei der Frage, wie Koeppen denn die Kriegsjahre wirtschaftlich überlebte, wieder nur auf taube Ohren. Andere Frager richten ihr Interesse stärker auf Koeppens Bildungsgeschichte und bekommen immer wieder von Neuem die Vorbilder James Joyce und William Faulkner ausgemalt.

Man muss über Koeppens sonstige Verhältnisse, insbesondere das 2009 in einem Briefband dokumentierte Seelendrama mit seiner 21 Jahre jüngeren Frau Marion, nichts wissen, um aus diesen Gesprächen das ganze zweifelhafte Glück einer ernsthaften Schriftstellerexistenz kennenzulernen – das Aufgehen mit Haut und Haar, das schon im bloßen Schreibenwollen liegen kann, und das Eingehülltsein in eine dröhnende Einsamkeit, die selbst das Gelingen mit sich bringt.

„Der Schriftsteller“, erklärte er Hanne Kulessa, „kommt dazu, mehr als Schriftsteller denn als Mensch zu leben.“ Er sei zugleich kontaktarm und kontaktsüchtig: „ein Beobachter, ein Voyeur“. Als junger Mann, gesteht er Tilman Urbach nicht ohne einen Rest Selbststilisierung, habe er überdies einem von Max Brod kolportierten Wort Franz Kafkas vertraut: „Es ist unendlich viel Hoffnung in der Welt.“ Dessen zweiten Teil – „Nur nicht für die eigene Person“ – habe er lange ignoriert. Er kam nicht umhin, sich auch mit ihm anzufreunden.

Wolfgang Koeppen: Gespräche und Interviews. Hg. von Hans-Ulrich Treichel. Werke, Band 16. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 770 Seiten, 48 €.

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