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Das Motto von Jair Bolsonaro lautet: Wir dürfen mit unserem Land machen, was wir wollen.

© dpa/Ralf Hirschberger

Gesetze und Moral beim Klimaschutz: Wem gehört Amazonien?

Wenn Brasiliens Präsident Bolsonaro den Regenwald abholzen lässt, beharrt er auf der Souveränität seines Landes. Juristisch hat er damit nicht ganz Unrecht.

Von Caroline Fetscher

Er gibt sich aus als der Mann, der endlich hinsieht. Vor der Uno in New York versicherte Jair Bolsonaro: „Brasilien hat jetzt einen Präsidenten, der sich um jene kümmert, die schon da waren, ehe die Portugiesen kamen.“ Seine Rede vor der Generalversammlung forderte Respekt für jene Indigenen mit ihren „eigenen Kulturen, Traditionen und Weltauffassungen“. Sie wollten nicht in Armut gedrängt werden, „während sie auf den reichsten Böden der Welt“ leben.

Vehement wehrte sich Bolsonaro gegen das weltweite Entsetzen angesichts der brennenden Tropenwälder in seinem Land, wo Tausende Hektar Amazoniens in Flammen standen. Brandrodungen sollen Platz schaffen für Plantagen und den Zugang zu Bodenschätzen, und nichts sei legitimer als das, beteuerte der Populist in seiner Rede vom 24. September, gerichtet auch an die Adresse der Anhängerschaft von Greta Thunberg, die am Tag zuvor vor der Uno ihr „How dare you!“ gerufen hatte.

Bolsonaros Worte hallen nach, nicht nur bei Klimaschützern. „Unglücklicherweise“, hatte er geklagt, „bestehen einige Leute innerhalb wie außerhalb von Brasilien darauf, unsere Eingeborenen wie Höhlenbewohner zu halten und zu behandeln.“ Sein Land sei keine Kolonie, hatte er schon Emmanuel Macron entgegengeschleudert, als der zum Schutz der Regenwälder aufrief.

Retter von Indigenen und Wirtschaft

Bolsonaro vertritt sein Anliegen mit allen Mitteln, auch gängige Wendungen der Postcolonial Studies und der Identity Politics hat er gelernt, und seine Signale aus den Tropen verkünden: Hier kommt der Retter der Indigenen und nebenbei auch der Wirtschaft und der Frommen im Land. Mit dem zweiten Vornamen gaben die Eltern Bolsonaro ihrem Sohn Jair Messias, geboren 1955, ein mächtiges Programm mit auf den Weg, dem er auf fragwürdige Weise gerecht zu werden sucht.

Störend empfindet Brasiliens Staatsoberhaupt dabei radikale Umweltaktivisten, ignorante Wissenschaftler und impertinente fremdländische Politiker. Er sieht eine Art weltweite Verschwörung der Wald- und Wetterretter am Werk, die den „Lügen der Medien“ folgen, „mit kolonialistischer Haltung".

Amazonien, zürnte Bolsonaro in New York, sei so gut wie unberührt. Im Übrigen hätten auch andere Länder wie etwa Deutschland einen Großteil ihrer Wälder abgeholzt. Wald oder Wohlstand, das sei hier die Frage. „Es ist eine Fehlannahme, dass Amazonien ein Erbe der Menschheit ist“, zeterte der Mann, „es ist eine Fehlannahme der Wissenschaftler, zu behaupten, unsere Wälder seien die Lunge der Welt.“ Es gebe, beharrte Bolsonaro, kein abstraktes globales Interesse. Ihm geht es um Souveränität. Kurz: Wir dürfen mit unserem Land machen, was wir wollen.

Komplexe Fragen des Völkerrechts

Bei aller Perfidie und Durchsichtigkeit der Argumente, so einfach ist die Causa nicht. Zwar wenden sich eine Reihe indigener Gruppen gegen die Vereinnahmung durch Bolsonaro, etwa die Xingu, deren Clanchefs sich empören: „Não representa o Xingu!“ Er repräsentiere nicht die Xingu, verkündeten sie in einem offenen Brief. Andere Gruppen sähen sich gern als potenzielle Konzessionäre im selektiven Nutzholzeinschlag oder Nutznießer von Sojaplantagen für den Viehfutterexport.

Bolsonaros Ansinnen verknüpft zwei Diskurse, den postkolonialen und den juristischen, und beide sind nicht neu. So entzündete etwa der Greenpeace-Protest gegen das Massenschlachten von Robbenbabys für die Pelzindustrie schon vor Jahrzehnten die ethisch heikle Frage nach der Legitimität traditioneller Jagd der Inuit auf die schneeweißen Tiere. Ähnliches galt für die althergebrachte Waljagd der Japaner und den Grindwalfang der Färöer Inseln im Nordatlantik.

Die völkerrechtlichen Fragen, die Bolsonaros Herr-im-Haus-Behauptungen aufwerfen, sind hochkomplex. Wenn er erklärt, in seinem Garten nach Belieben Bäume fällen und Cashcrops anpflanzen zu dürfen, hat er nicht unrecht. Eine Weltdemokratie, die das Anrecht auf Schutz von Ökosystemen regeln könnte, existiert nicht. Eine internationale Ökodiktatur wäre grotesk, politisch und praktisch undenkbar.

Internationale Regelwerke sind kaum hinreichend

Wem aber gehört das alles, Boden, Wasser, Wälder, Atmosphäre? Wer darf verfügen über die Erde, die Wohnstätte der Gattung Mensch? Ob sie als physikalischer Himmelskörper, als Planet im Sonnensystem erkannt wird oder als Schöpfung einer weltenlenkenden Größe gilt, die Frage bleibt dieselbe: Wer besitzt die Erde mit ihren Ressourcen? Bei der Antwortsuche schlagen sofort alte Alarmsirenen an: Na wer wohl? Die Territorialstaaten, die grenzziehenden hegemonialen Mächte, die globalisierten Konzerne mit ihrer Gier nach Profitmaximierung. Weg mit der universalistischen Frage, sie entpolitisiert nur!

Tut sie das? Ist sie nicht eher hochpolitisch und heikel? Was, wenn die ökologische Intaktheit von Teilgebieten eines Staates für viele andere Staaten existenzielle Relevanz hat? Wenn Waldareale abgefackelt werden, die Bedeutung für das Weltklima haben? Wenn ein Nuklearunfall atomaren Fallout über Nachbarländer regnen lässt? Oder die Industrie eines Landes Flüsse verseucht, die weiterfließen durch Anrainerstaaten? Gibt es hier Grenzen der staatlichen Souveränität? Darf jeder Staat die Axt an seine „eigene“ Natur legen, auch wenn das regionale und globale Ökosysteme bedroht?

Noch sind solche Fragen kaum hinreichend in internationalen rechtlichen Regelwerken kodifiziert. In der Charta der Vereinten Nationen regelt Kapitel VII „Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen“. Bekannt ist Kapitel VII als „responsibility to protect“, die völkerrechtliche Verantwortung, Schutz zu bieten. Zur Not darf der Sicherheitsrat Interventionen beschließen, etwa wenn eine Regierung ethnische Minderheiten attackiert. Ein Pendant dazu, wodurch die Global Commons, also Gemeingüter, vor Schaden geschützt würden, gibt es nicht.

Flora und Fauna sind meist eine nationale Angelegenheit

Völkerrechtliche Abkommen zur Natur entstanden bisher nur für außerstaatliche Territorien, etwa für den Weltpark Antarktis, den Greenpeace und andere von wirtschaftlicher und militärischer Nutzung freihalten wollten. Nach Jahren der Vorarbeit trat 1998 das Antarktis-Protokoll in Kraft. Doch daran, dass das Packeis schmilzt, wirken weltweit alle mit, die CO2 emittieren.

Ein Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen wurde 25 Jahre lang verhandelt und regelt seit 1994 unter anderem den Meeresbergbau. Die International Seabed Authority mit Sitz in Jamaica überwacht das Abkommen. Aber wer ist verantwortlich für die Tausende von Tonnen Plastikmüll, die auf hoher See außerhalb nationalstaatlicher Hoheitsgewässer zirkulieren? Auch der Erdtrabant Mond genießt internationalen Schutz vor Ausbeutung, als Teil der „Übereinkunft zu Aktivitäten von Staaten auf dem Mond und anderen Himmelskörpern“.

Aber Wälder, Böden, Pflanzen, Fauna? Deren Schutz ist weitgehend nationale Angelegenheit. Millionen Bäume der Erde filtern Kohlenstoffdioxid aus der Luft, und Filter fallen weg, wo immer Bäume fallen. Rund sieben Millionen Hektar Wald, meist Tropenwald, gehen im Jahr verloren, je einmal die Fläche von Bayern. Zwar sollte das Pariser Klimaabkommen von 2015 greifen , um Waldvernichter zu bremsen. Darin haben die Nationalstaaten zur Reduktion von CO2- Emissionen waldpolitische Ziele ausgewiesen, an die sie gebunden sind. Doch kann jeder Staat, wie die USA es taten, das Abkommen aufkündigen. Druck kann durch Sanktionen und Handelspolitik ausgeübt werden, doch mit starken Ökonomien legt sich nicht jeder an.

Auf dem Weg zum ökologischen Kosmopolitismus

Rein auf Wälder ausgerichtet ist das Klimaschutzprogramm „REDD+“, es will gerade ärmeren Ländern helfen, Waldverluste zu verringern. Umweltschützer kritisieren, dass das globale Problem auf die Schwächsten abgewälzt werden soll, viele halten es, wie der BUND, für keine gute Idee. Solche postkolonialen Argumente kennt man nicht nur in Brasilien, sondern auch im Kongobecken, in Zentralafrika, dem anderen großen Lungenflügel des Globus.

Die eine große globale Aufsichtsbehörde als Allheilmittel kann und wird es nicht geben, das wissen Experten wie Marcel Dorsch, wissenschaftlicher Referent im Beirat Globale Umweltveränderungen der Bundesregierung. Forscher wie er setzen für die Global Commons auf vernetzte Lösungen. „Beim ökologischen Erbe der Menschheit“, erklärt Dorsch, „kommt es auch für Wälder und Artenvielfalt auf polyzentrische Perspektiven an.“

Internationaler und transnationaler Umgang mit Komplexität erfordere ein diversifiziertes Geflecht von Abkommen und Verpflichtungen, „das viele Bänder knüpft“. Ökologischer Kosmopolitismus muss auf die Weise den Kosmos selber spiegeln: ein Riesennetzwerk aus kleineren Netzwerken, so dicht geflochten, dass es, von der Antarktis bis zum Amazonas, von Sibirien bis zum Kongo, unhintergehbar wird.

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