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Vater (Falilou Seck) und Mutter (Çigdem Teke), bedient von der Haushälterin (Tina Keserovic).

© Birgit Hupfeld

"Geschwister" am Gorki Theater: Eine schrecklich rechte Familie

Eine Villa am Wannsee und ihre Geschichte: Ersan Mondtag erzählt am Gorki Theater in seinem Drama „Geschwister“ von deutschen Kontinuitäten.

Ganz Berlin freut sich auf den Schah und seine schöne Frau. „Ich weiß, dass er ein netter Mann ist, er gefällt mir sehr gut“, verkündet eine Bürgerin bei der Straßenbefragung, die im Radio übertragen wird. Kein Wunder. Die Springer-Presse hat seit Monaten für den Herrscherbesuch getrommelt, hat das herrlich exotische Leben von Reza und Farah Pahlavi detailreich ausgemalt.

Aber halt. Es ist doch nicht die ganze Stadt, die dem lupenreinen Anti-Demokraten entgegen fiebert. Es gibt ja noch die demonstrierenden Student:innen, diese „schmutzigen Halbgescheiten“ und „Kommunisten“, als die sie von der schnarrenden Kommentatorenstimme beschimpft werden. Die Forderung: „Stoppt den Terror der Jungroten jetzt!“ Was sich am 2. Juni 1967 ein Polizist zu Herzen nimmt. Die Folge ist der Tod von Benno Ohnesorg.

Zeitgeschichte aus dem Röhrenradio

Mit diesem Stück Zeitgeschichte aus dem Röhrenradio beginnt am Gorki Theater die Inszenierung „Geschwister“ von Ersan Mondtag. Das von ihm selbst verfasste Stück verhandelt allerdings nicht die folgende 68er-Bewegung, oder das Aufkommen der RAF. Sondern den Konflikt, für den diese Jahre in der bundesrepublikanischen Chronik stehen: Stillschweigen gegen Aufschrei. Weiter-so gegen Kehraus.

Auf der einen Seite kämpft eine Altnazigesellschaft, in der Richter, Professoren, Beamte und Juristen (kein Gendern nötig) sich den Adolf von der Wand gehängt haben und auf ihren Posten sitzen bleiben durften. Auf der anderen verlangt eine nachwachsende Generation nach Antworten, Veränderung, Entmuffung. Gerade von den Protagonist:innen der Bewegung werden diese Jahre gern als Erfolgsgeschichte erzählt. Als Wende hin zur offenen deutschen Gesellschaft. Das allerdings ist eine Lesart, der Ersan Mondtag misstraut. Mit guten Gründen.

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Im Bühnenbild einer hochherrschaftlichen Wannsee-Villa mit Holztäfelung und doppelseitigen Treppenaufgängen (Simon Lesemann) versammelt der Regisseur eine schrecklich rechte Familie, die über die Herkunft ihres Wohlstands – wie über so vieles andere – lieber das feine Tischtuch breitet. Wer früher in dem Haus gewohnt hat? „Das weiß man nicht. Aber das schöne Porzellan, von dem Du isst, stammt von ihnen“, so der Vater (Falilou Seck) zur wissbegierigen Tochter. Die Mutter (Çigdem Teke) schweigt. Keine weiteren Fragen.

Mondtag, der Spezialist für atmosphärischen, am Bilderrepertoire der Horrorfilme geschulten Bühnengrusel, taucht die gesamte Szenerie nebst der tafelnden Eltern und Kinder (mittels beachtlicher Licht- und Schminkkunst) in ein kaltes Schwarzweiß, das die Villa zum Gemäuer macht.

Untote, Gespenster der Vergangenheit sind hier zu besichtigen, die ihre türkeistämmige Haushälterin (Tina Keserovic) mit selbstverständlicher Herablassung behandeln („kein Gespür für Contenance“), sich den Hirschkopf an die Wand hängen und beim 2. Satz der „Eroica“ (von Furtwängler dirigiert) ihre Verstrickungen und Probleme mit teurem Rotwein runterspülen.

Der kleine Sohn Friedrich stottert schwer, die jüngere Tochter Eva Maria (Yanina Cerón) sagt brav zu allem Ja und Amen – nur ihre Schwester Elisabeth (Lea Draeger) ist als studentische Aktivistin im wahrsten Sinne der einzige Lichtblick in dieser dunkeldeutschen Trutzburg. Der Streit, der mit ihr entbrennt, trübt ein bisschen die Stimmung. Doch wie ihre Schwester sagt: „Es hätte so ein schöner Abend werden können. Aber lasst uns das jetzt einfach vergessen.“

[Nächste Vorstellung: So, 26. Juni, 19.30 Uhr, Restkarten verfügbar]

Nach klug gesetztem Zeitsprung lässt Mondtag die mittlerweile erwachsenen Eva Maria und Friedrich wieder aufeinandertreffen (gespielt von Ariane Andereggen und David Bennent). Die Haushälterin (jetzt: Sema Poyraz) hält noch die Stellung, überhaupt hat sich – in Haus und Köpfen – nicht viel verändert. Zwar wird die Villa in einem albtraumhaft-surrealen Einbruch von einer Art Pogrom durchfegt.

Vom Nationalsozialismus zum NSU-Komplex

Aber das lässt sich schnell wieder aufräumen. Nichts passiert. Mondtag, der versiert Gegenwart und Vergangenheit ineinander blendet, zeigt schlüssig die Kontinuitäten der Verdrängung. Die Linie, die vom Nationalsozialismus zum NSU-Komplex führt, zu Halle und Hanau, zu all der fortwirkenden, allzu oft achselzuckend hingenommenen rechten Gewalt.

In einer Rückblende telefoniert der Vater mit einem offensichtlich einflussreichen Freund und lobt ihn für seinen Entwurf zum „EGOWiG“ – jenes real existierende Skandalgesetz, das praktisch Amnestie für die Mordgehilfen der Nazis bedeutete. Und in diese Kategorie fielen damals so gut wie alle, die sich schuldig gemacht hatten. Der Erlass datiert vom Mai 1968.

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