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Selbstauslöser. Michael Sturmingers „Wiener Wald“-Inszenierung, mit Angelika Kirchschlager (M.).

© Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

"Geschichten aus dem Wienerwald" in Bregenz: Schnitzeljagd am Bodensee

„Geschichten aus dem Wiener Wald“ ist ein Klassiker auf deutschen Theaterbühnen. Jetzt hat HK Gruber zum Abschied der Ära Pountney bei den Bregenzer Festspielen daraus eine Oper gemacht.

Wer über den Bodensee nach Bregenz schippert, von Friedrichshafen etwa, dem schwinden unmerklich die Sinne. Wenn der bauchige Dampfer sich aus dem Hafenbecken schiebt, in die endlose Weichheit des Sees, lösen sich Konturen auf zwischen Himmel und Wasser. Dann und wann markiert ein lautlos ziehender Zeppelin eine Linie, die längst nicht mehr zu spüren ist. Wer hier auf einem schattigen Plätzchen an Deck Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“, 1931 in Berlin uraufgeführt, aus der Tasche zieht und sein Volksstück zwischen den traumwandelnden Passagieren liest, wird geflutet von Musik. Ja, dieses Drama ist eigentlich eine Oper, mit all seinen präzisen Walzereinsätzen, abbrechenden Klavierstunden, Glockengeläut – und vor allem: dieser auskomponierten Stille, in der das Unheimliche vollends Besitz von der Szene ergreift.

Nur noch ein Anleger, und der Hafen von Bregenz ist erreicht. Steuerbord schiebt sich die Seebühne ins Bild mit ihren drei gewaltigen Höllenhunden, die darauf warten, Papageno durch die „Zauberflöte“ zu hetzen. Doch eröffnet werden die 69. Bregenzer Festspiele mit einer Uraufführung im Festspielhaus. David Pountney, der scheidende Intendant, wollte dem Wiener Komponisten HK Gruber eine Opera buffa für sein Festival abjagen, nachdem er dessen herrlich schwarzen „Frankenstein!!“ gehört hatte. Doch Gruber, der auch ein knarzender Chansonnier sowie ein befeuernder Dirigent ist, träumte bereits davon, die „Geschichten aus dem Wiener Wald“ in Musik zu setzen. Pountney hoffte noch, den Komponisten auf einen lebenden Autor zu schubsen. Doch HC Artmann, dessen düstere Reime Gruber so unvergleichlich in ätzende und dazu auch noch unterhaltsame Klänge spannte, ist tot.

Horváth also. Gruber, dessen Humor Ausdruck von unbändiger Neugier ist, vor allem auf das Scheusal Mensch, musste erst einmal einen Landungssteg bauen, um sich tatsächlich ans Komponieren zu wagen. In der allgemeinen Dreigroschenoper-Euphorie träumte wohl auch Horváth von einem Schauspiel mit Musik und einer Partitur von Kurt Weill. Hier könnte Gruber, der ein wunderbarer Weill-Interpret ist, festmachen. Und Pountney, sein virtuos zwischen Populärem und Anspruch jonglierender Intendant, hätte ihn da sicher nicht ausgebremst. Doch alle, die auf ein schmissiges Songspiel am See hofften, gehen leer aus. In seinem 72. Jahr erliegt HK Gruber der Versuchung, Horváth und die große Oper zu verkuppeln.

„Alle meine Stücke sind Tragödien – sie werden nur komisch, weil sie unheimlich sind. Das Unheimliche muss da sein“, fordert Horváth von seinen Regisseuren. Das wäre eigentlich das verbindende Bregenzer Band, denn Gruber weiß genau, was gruselig ist, hinter welcher Gemütlichkeit der Abgrund lauert. Die „schäbige Lebensfreude“, die Eisler in der Wiener Musik erkannte, ist ganz sein Terrain. Nur bestellen will er es diesmal nicht, vielleicht, weil es ihm gar zu einfach erscheint. Und so macht es Gruber kompliziert: sich, den zu jeder Schandtat bereiten Musikern der Wiener Symphoniker, seinen Sängern und nicht zuletzt dem Publikum.

Das Drama um Marianne (Ilse Eerens), die die arrangierte Ehe mit dem Fleischhauer Oskar (Jörg Schneider) nicht will, die auszubrechen sucht, auch wenn sie nicht weiß, wie, der mit Niedertracht so zugesetzt wird, bis der fette Schlachter sie am Ende wegtragen kann wie ein zu mager geratenes Stück Vieh: Bei Gruber beginnt das mit einem faustgeballten Vorspiel, das Alban Berg und Igor Strawinsky zusammenquetscht. Dramatik wird beschworen, wo langsam Gift durchsickern müsste. Und dann: Wie umgehen mit den kostbaren Horváth-Dialogen, die so ausgehört sind, die der Autor in einer Art Kunsthochdeutsch serviert wissen wollte? Ineinander verschränkte Ensembles zeigen zunächst noch Wirkung, illustrieren die Isolation inmitten einer gut durchfeuchteten Donau-Badegesellschaft.

Von den großen Sänger-Schauspieler-Persönlichkeiten Lotte Lenya, Ernst Busch oder Helene Weigel hat Gruber gelernt: Die Musik beginnt mit dem Sprechen. Als Chansonnier beherzigt er das mit jedem Atemzug. Nur sein Opernpersonal verstrickt sich in Kämpfe mit dem immer wieder undurchdringlichen Orchestersatz, flieht in opernhafte Floskeln, was absurd wirkt in Kombination mit Horváths Text. Selbst erfahrene Bühnentiere wie Angelika Kirchschlager als lüstern-hysterische Trafikantin Valerie oder Albert Pesendorfer als bigotter Vater Zauberkönig kommen da vorschnell an ihre Grenzen. Alles ächzt unter dem Anspruch, und die Uraufführungsregie von Michael Sturminger, der auch das Libretto einrichtete, macht es nur noch schwieriger: keine Distanz, kein Aufbrechen, braves Weitermachen.

„In jeder Dialogszene wandelt sich eine Person. Bitte nachlesen! Dass das bisher nicht herausgekommen ist, liegt an den Aufführungen. Aber auch am Publikum“, stellt Horváth in der „Gebrauchsanweisung“ zu seinen Stücken klar. Er hätte es schon ertragen, das Singspiel zu bekommen, von dem er einst zu träumen wagte. Mit Melodien, die verfolgen, Rhythmen, die jagen, von Szene zu Szene. Und der unheimlichen Stille, die folgt. Ehrfurcht allein ist schließlich auch keine Lösung: Büchners „Woyzeck“ haben sowohl Alban Berg als auch Tom Waits in Musiktheater verwandelt. Beides hat Klasse. Nur alles auf einmal ist selbst von einem HK Gruber zu viel verlangt. Eine Figur immerhin lässt erahnen, wohin die Reise in den Wiener Wald hätte gehen können: Anja Silja stellt als Großmutter eine grauenvoll präsente Alte auf die Festspielbühne, die gar nicht daran denkt, jemals wieder ihre Zither aus der Hand zu legen. Bosheit und Musik, hier wird’s Ereignis, während über den nächtlichen See stürmische Böen ziehen, die den Applaus schnell mit sich nehmen.

HK Gruber ganz in seinem satirischen Element schwimmend, das gibt es Gott sei Dank auch noch zu erleben in Bregenz: mit der Oper um die goldlockige Sau Gloria von Jaxtberg. Die verliebt sich – in einen Metzger. „So mancher Traum von Prinzen und Fürsten endet am Ende in Pr(rr)essack und Wür(rr)sten!“ Tierische Menschenkenntnis, lustvoll durch den musikalischen Fleischwolf gedreht.

"Geschichten aus dem Wiener Wald" wieder am 27. Juli und 3. August, „Gloria von Jaxtberg“ am 31. Juli und 2. August, www.bregenzerfestspiele.com

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