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Geschichte der freien Musikszene: Rebellen des Jazz

Lustvoll, stilbildend und durchgeknallt: Die Akademie der Künste würdigt den musikalischen Undergrounds seit 1968 mit einer Ausstellung.

Ob alle Mitglieder der Band zum Auftritt bei den Berliner Jazztagen 1968 einen schwarzen Anzug tragen würden, konnte und wollte der Saxofonist Peter Brötzmann nicht garantieren. Da nahm die Festivalleitung die Einladung zurück. Brötzmann und Bassist Jost Gebers organisierten daraufhin ihr eigenes Festival, das „Total Music Meeting“. Kurze Zeit später gründeten sie das Independent-Plattenlabel Free Music Production (FMP). Heute gilt FMP als prägende, international einflussreiche Plattform für musikalische Experimente, ein Flaggschiff der freien Musik. Manche sagen sogar: die wichtigste kulturpolitische Hervorbringung WestBerlins.

Eine Ausstellung in der Akademie der Künste versucht nun, den Werdegang des 2010 geschlossenen Labels abzubilden. Eine Initiative gleichgesinnter Improvisationsmusiker, die gegen das Jazz-Establishment rebellierten, ganz im Geist von 1968. Parallel dazu zeigt die Ausstellung „Notes from the underground“ die Aktivitäten der alternativen Musikszene in sozialistischen osteuropäischen Ländern während der letzten beiden Jahrzehnte der kommunistischen Herrschaft.

Nie gezeigtes Material zu sehen

Das Foto am Beginn der Ausstellung taugt zur Legendenbildung. Brötzmanns Gesicht mit massivem Schnauzer am linken Bildrand. Rechts steht lässig mit Anzug und Rauschebart Peter Kowald, dahinter weitere FMP-Gründungsmitglieder in dunklen Mänteln. Das Foto wurde 1972 vor der Akademie der Künste aufgenommen, eine Institution, die FMP über all die Jahre unterstützt hat.

In der Halle, in der jetzt die Plakate und die nie gezeigten Videos und Fotoaufnahmen ausgestellt sind, fanden ab 1969 etliche, teils skandalbehaftete Free-Jazz-Konzerte und Improvisations-Workshops statt. Bei FMP wurden von Anfang an alle Auftritte konsequent fotografiert, Plakate wurden archiviert, VHS-Mittschnitte angefertigt, die nun im Digitalformat vorliegen.

Die Schau startet mit der Gründungsgeschichte: Gebers und Brötzmann wollten mehr Autonomie für Musiker. Außerhalb des regulären Konsumbetriebs wollten sie die Produktion und den Vertrieb von Schallplatten selbst in die Hand nehmen, eigene Konzertformate entwickeln. Die Ausstellung zeigt etliche der Manifeste, die das zunächst als Kollektiv organisierte Label veröffentlicht hat, dazu unzählige Ausstellungsplakate, Interviews, Schwarz-Weiß-Aufnahmen mit den Heroen der US-Jazzszene, die mit FMP auftraten, wie Pharoah Sanders, Don Cherry und Sonny Sharrock.

Zensur und Mangel als kreativer Motor

1988 brachte FMP den Pianisten und Free Jazz-Pionier Cecil Taylor erstmals in Berlin mit europäischen Musikern zusammen. Dieser legendäre Besuch samt der elfteiligen Box „Cecil Taylor in Berlin 88“, die alle Schallplattenpreise gewann, ist ebenfalls Teil der Ausstellung. Neben den internationalen Kontakten war FMP das erste westliche Label, das Jazzmusiker aus der DDR sowohl mit Konzerten in Ost- als auch in West-Berlin aufnahm.

Ausstellungskurator Markus Müller hat sich redlich bemüht, auch den Einfluss der Frauen im Bereich der freien Musik zu thematisieren. So gibt es beispielsweise einige Konzertfotos der Feminist Improvising Group, einer Truppe von fünf Frauen, die mit kabarettistischen Konzerten die Rollenbilder auf die Schippe nahmen. Vom Publikum geliebt, wurde das Ensemble von den männlichen Musikerkollegen harsch kritisiert, gibt Markus Müller zu. Die mit Trouvaillen gespickte Schau zeigt auf mehreren Wänden die komplette Tonträgerproduktion von FMP, an die 500 Plattencover. Liebhaber des Jazz dürften spätestens hier auf die Knie gehen. Auch die Zusammenarbeit mit den Malern der Jungen Wilden ist Thema. A. R. Penck, Martin Kippenberger, Albert und Markus Oehlen, aber auch Choreografinnen wie Pina Bausch haben mit FMP gearbeitet.

Auch in den Ostblockländern haben experimentelle Musiker, bildende Künstler und Performer lustvoll improvisiert. Zensur und Mangel waren der Motor für allerhand grandiose, stilbildende Ideen. Die Schau „Notes from the Underground“ zeigt Undergroundkunst aus der Punk-, New-Wave- und Prog-Rock-Ära der siebziger und achtziger Jahre, aus der Tschechoslowakei, dem Baltikum, aus Russland und Polen.

Angenehm durchgeknallt

Die Ausstellung wurde erstmals im Kunstmuseum in Lodz gezeigt und nun für Berlin adaptiert. Akademiemitglied Angela Lammert hat dafür gesorgt, dass Verbindungslinien zu Ostberliner Künstlern sichtbar werden, auch zu weiblichen Protagonistinnen wie Cornelia Schleime und Else Gabriel. So ist etwa der schäbige Kühlschrank-Medienturm aus der Performance „Allez! Arrest“ zu sehen, eine Aktion, bei der sich Else Gabriel mit ihren Kollegen Micha Brendel und Rainer Görß in der Leipziger Galerie des heutigen Erfolgsgaleristen Judy Lybke einquartierte und vom Publikum beim Dilletantisieren beobachten ließ.

Die Ausstellung wirkt angenehm durchgeknallt. Auf einem leicht erhöhten Steg ist eine Reihe von verrückten, selbst gebastelten Instrumenten aufgereiht. Ein Schlagzeug mit Fell und vertrocknetem Gürteltier. Punkrocker der achtziger Jahre wie die ungarische Band mit dem schrillen Namen Galoppierende Leichenbeschauer sahen ihre Musik als schamanistische Handlung. Auch viele andere, wie die Ost-Berliner Band Ornament & Verbrechen, begeisterten sich für den Primitivismus und bastelten Instrumente aus alten Schuhsohlen, Gartenschläuchen und Auspuffrohren.

Manche kamen ins Gefängnis

Gelungen ist auch das Kapitel, in dem dargestellt wird, wie Künstler ihre eigenen Medien improvisierten, indem sie Fernsehstudios enterten, Klangskulpturen erfanden, Plattencover und Kassetten bastelten. Es wirkt kreativ, es sieht nach Spaß aus – und es ist lang her. Manche, wie die Mitglieder der tschechischen Band The Plastic People of the Universe, kamen auch ins Gefängnis.

Auch wenn man grade im gentrifizierten Berlin die Musealisierung der Off-Szene fürchten könnte – alles bleibt in dieser Schau lebendig. Zum einen weil sehr viele Video- und Tondokumente zu sehen und zu hören sind. Zum anderen stehen begleitend zu den Ausstellungen rund 35 Podiumsdiskussionen und Konzerte auf dem Programm, bei denen Musiker und Künstler aller Generationen aufeinandertreffen. Man wird live erleben, wie der Underground von gestern mit dem von heute verschmilzt. Mal sehen, ob auch schwarze Anzüge im Spiel sind.

Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, bis 6. 5.; Di–So 11–19 Uhr, am 16.3.: Film und Gespräch „Verwandlungen – ein Experimentalfilm-Triptychon“, 20 Uhr

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