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Winkelzüge. Skulpturen von Gerold Miller in der Galerie Mehdi Chouakri.

©  Jan Windszus

Gerold Miller in der Galerie Chouakri: Parkhausfarbe im Altbau

Auch Mehdi Chouakri ist mit seiner Galerie in den Westen gezogen. Da kann er die Skulpturen von Gerold Miller gleich zweimal zeigen.

Man reibt sich verdutzt die Augen, zumindest einen Moment lang. Okay, Mehdi Chouakri hat also wie so viele Galeristen Mitte den Rücken gekehrt und sich auf den gar nicht so langen Weg in den Berliner Westen gemacht. Er habe etwas mit dem rauen, brutalistischen Charme der fünfziger, sechziger, siebziger Jahre im Sinn gehabt, ein umgenutztes Industriegebäude vielleicht. Solche Architektur spricht viele Galeristen an. Sie haben sie zum Beispiel in der Potsdamer Straße gefunden, auf dem ehemaligen TagesspiegelGelände. Aber wie in aller Welt konnte es dazu kommen, dass Mehdi Chouakri nun in zwei Gründerzeit-Altbauten gelandet ist, am Wilmersdorfer Fasanenplatz und in der Charlottenburger Bleibtreustraße? Bürgerlicher geht es kaum.

Da lacht Chouakri – früher hätte man gesagt: verschmitzt. Das macht er überhaupt die ganze Zeit. Es hatte etwas mit Timing zu tun, mit einem auslaufenden Mietvertrag in der Invalidenstraße, mit Möglichkeiten und Kontakten. Unter der Adresse in der Bleibtreustraße residierte bis vor drei Jahren Hans-Peter Jochum mit seiner Design-Galerie. Er ist ein paar Häuser weiter gezogen, eine Hand hatte er aber noch auf der Immobilie und konnte sie nun an Mehdi Chouakri weitervermitteln. Man kennt sich halt.

Die Nachbarschaft an den beiden neuen Standorten könnte kaum besser sein. Das war Chouakri wichtig. Paris habe Saint-Germain, London die Bond Street, meint er, Berlin dagegen verfüge nicht über das eine, definitive Kunstquartier. Aber in der Bleibtreustraße sitzt mit Max Hetzler immerhin einer der führenden Galeristen der Stadt. Und im Haus am Fasanenplatz (wo Chouakri zum Gallery Weekend im April mit Charlotte Posenenske eröffnete), in dem einst Heinrich Mann wohnte, haben auch die Galerien Fahnemann und Klaus Gerrit Friese ihre Adresse. Und was das raue Ambiente angeht – das lässt sich herstellen. Mit Neonröhren an der Decke und Parkhausfarbe auf dem Boden. Eine Nachbarin habe sich gleich beschwert, dass es bei ihm so ungemütlich aussehe. Ein größeres Kompliment hätte sie Chouakri ihm kaum machen können.

Zwei Ausstellungsräume, zehn Gehminuten voneinander entfernt

Tatsächlich sind die Eingriffe, die Architektin Johanna Meyer-Grohbrügge vorgenommen hat, so einfach wie subtil. Sie gestaltete auch den Berliner Standort der Julia Stoschek Collection in der Leipziger Straße, im früheren tschechischen Kulturzentrum der DDR. Mit dem von Chouakri angestrebten speziellen Charme kennt sie sich aus. Vor allem haben die beiden Mauerwerk, Beton- und Stahlträger freigelegt, Zeugnisse der nachgründerzeitlichen Veränderungen. In der Bleibtreustraße fand sich Chouakri hingegen mit dem Vorgefundenen ab, nur die obligaten Neonröhren wurden an die Decke geschraubt.

Zwei Ausstellungsräume, zwei Orte, zehn Gehminuten voneinander entfernt – das legt die parallele Bespielung mit zwei nicht notwendig aufeinander bezogenen Künstlern nahe, wie das der neue Nachbar Max Hetzler (in der Bleibtreu- und der Goethestraße) regelmäßig praktiziert. Mehdi Chouakri zeigt am Fasanenplatz: Gerold Miller. In der Bleibtreustraße: Gerold Miller. Allerdings gibt es zwei Ausstellungstitel, „amplificateur d’espace“ (Fasanenstraße) und „capteur d’instant“ (Bleibtreustraße) – Mehdi Chouakri ist gebürtiger Franzose.

Gerold Miller, Jahrgang 1961, würde man nicht unbedingt in die Konzeptkunstschublade einsortieren, geht aber als Bildhauer sehr konzeptuell vor. So sind die unterschiedlichen Ausstellungskonzepte an den beiden Orten sofort augen- und sinnfällig. Die „Verstärker“ genannten, an den geometrischen Minimalismus eines John McCracken erinnernden, frei stehenden Aluminium-Skulpturen (Bleibtreustraße) hatte Miller schon vorher im Repertoire: Es ist immer die gleiche L-Form mit zusätzlicher Stütze, wobei die nüchterne Beschreibung der Schönheit und Eleganz der Proportionen in keiner Weise Rechnung trägt. Miller variiert sie im Maßstab und in der Oberflächenbehandlung, drei der Skulpturen sind spiegelpoliert, eine ist mattschwarz lackiert (Preise zwischen 19 500 und 39 000 Euro).

Herzstück der Schau ist Hommage an Malewitsch

Miller lässt sie auch in bunten Versionen herstellen, aber hier bei Chouakri beschränkt er sich auf Schwarz, Weiß und die Aluminium-Farbe. Das schärft den Blick für Form und Materialität. Auf den Gegensatz zwischen der kalten Perfektion von Millers Kunst (eine Fachfrau aus der Autoindustrie habe den Lackierungen einmal Rolls-Royce-Qualität attestiert) und der kalkulierten Rohheit der Galeriearchitektur angesprochen, lacht Chouakri.

Was die beiden Ausstellungen unterscheidet: Am Fasanenplatz stehen allein die von Johanna Meyer-Grohbrügge in den Raum gestellten Wände frei, an die Miller seine Arbeiten der Serien „Monoform“, „section“ und „set“ gehängt hat. „set 410“ und „set 411“ (je 21 500 Euro) – in Hard-Edge-Manier, also mit messerscharfen Grenzen teils hochglänzend, teils mattschwarz lackierte Edelstahlflachware im Gemäldemaß von 85 mal 68 mal 4,5 Zentimetern – verhalten sich zueinander wie Positiv und Negativ: Miller und Chouakri haben sie auf die zwei Seiten einer Wandscheibe gehängt.

Das Herzstück der Schau ist eine Hommage an Malewitsch: ein hälftig schwarz und weiß lackiertes Aluminiumquadrat, übereck gekippt und angeschnitten („section“, für 130 000 Euro an eine süddeutsche Sammlung verkauft). Sein stolzes Maß von 253 mal 338 mal 12,8 Zentimetern dürfte das Maximum dessen definieren, was Chouakri in seinen neuen Räumen mit jeweils knapp 50 Quadratmetern zeigen kann. Am Ende ist ein Ladenlokal in einem Altbau eben doch keine Industriehalle. Aber auf die Größe komme es nicht an, auch nicht bei der Kunst. Mehdi Chouakri lacht noch einmal verschmitzt.

„Gerold Miller: capteur d’instant“: Galerie Mehdi Chouakri, Bleibtreustr. 41. „amplificateur d’espace“: Galerie Mehdi Chouakri, Fasanenstraße 61. Bis 2.8.

Jens Müller

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