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En garde. Gerhard Köpf weiß auch als Schriftsteller das Florett zu führen.

© privat

Gerhard Köpf zum 70.: Magier aus dem Allgäu

Für einen Augenblick die Zeit anhalten: Gerhard Köpfs Romane heben die Grenzen zwischen Imagination und Wirklichkeit auf. Eine Würdigung zum 70.

Vor gut dreißig Jahren war sein Name in aller Munde. Gerhard Köpfs erster Roman „Innerfern“ (1983) galt als Sensation. Er erzählt – aus unterschiedlichen Perspektiven und mit zahllosen Anspielungen auf namhafte Autoren der europäischen Literatur – von der Suche nach der Künstlerin Karlina Piloti, in deren offenkundigem Wahnsinn die „schimmernde Verlockung des Möglichen“ aufscheint. Reales Vorbild war die geheimnisvolle Dichterin Ilse Schneider-Lengyel, in deren Haus am Allgäuer Bannwaldsee die erste Tagung der Gruppe 47 stattgefunden hatte.

Die ebenfalls in einem magisch-realen Allgäu angesiedelten, die Grenzen zwischen Imagination und Wirklichkeit souverän aufhebenden Romane „Die Strecke“ (1985) und „Die Erbengemeinschaft“ (1987) wurden als große deutsche Erzählkunst gefeiert. Noch der von Märchen, Grotesken und Kalendergeschichten übervolle, die westdeutsche Nachkriegsgeschichte raffiniert-vertrackt schildernde vierte Roman „Eulensehen“ (1989) fand einige Aufmerksamkeit. Danach fand der aus Pfronten im Ostallgäu stammende Erzähler Köpf, der über viele Jahre ein zweites Leben als akademisch bestallter Literaturwissenschaftler führte und sich dabei zusehends auf Fragen der Psychopathologie verlegte, immer weniger Beachtung. Und das, obwohl er nach wie vor lesenswerte Prosabände vorlegte, die Novelle „Ein alter Herr“ (2006) oder „Als Gottes Atem leiser ging“ (2010), eine Hommage an das alte Künstler-Schwabing und den skurrilen Grafen Eduard von Keyserling, obwohl er kluge Essays schrieb, in denen er sich als Verächter einer als geist-, manieren- und stillos empfundenen Gegenwart profilierte.

Erzählen, was nicht vergessen werden soll

Nun aber ist, nach dem Allgäuer Panoptikum „Das Dorf der 13 Dörfer“ (2017), im Wiener Braumüller Verlag nicht nur eine leicht überarbeitete Fassung von „Innerfern“ erschienen, sondern auch der schon im Titel darauf Bezug nehmenden Roman „Außerfern“. Er spielt im frühen 19. Jahrhundert in und um Reutte in Tirol, also im „Außerfern“, und erzählt allerlei nicht unbedingt amüsante Schnurren aus dem Leben des mädchenhaften Jünglings Marandjosef, der oder die sich als Dieb und Betrüger durch heute fast unvorstellbar harte Zeiten schlägt. Am Ende lässt er seine oder ihre Lebenserinnerungen von einem Zillertaler Tierpräparator in die eigene Haut binden.

Im Vorwort heißt es rückblickend: „Es ist mir in meinen Büchern stets um das zu tun gewesen, was nicht vergessen werden soll und sich in den Biografien jener Menschen ausdrückt, an die ich erinnern möchte. Das Erzählen ihrer Geschichten gilt mir bis heute als meine Möglichkeit, die verstreichende Zeit einen Augenblick lang anzuhalten und dem großen Vergessen zu trotzen, das auf uns alle wartet.“ Der Literaturbetrieb wird sich wohl weiterhin schwer tun mit diesem sperrigen Münchner Autor, dem man zu seinem 70. Geburtstag am heutigen Mittwoch vor allem möglichst viele neue Leserinnen und Leser wünscht.

Klaus Hübner

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