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Der Münchener Schriftsteller Georg M. Oswald

© Peter von Felbert/Piper Verlag

Georg M. Oswalds neuer Roman "Vorleben": Böse Leere braucht gute Füllungen

Sex, Rache und Rock: Georg M. Oswald erzählt in seinem Roman „Vorleben“ von einer mysteriösen Partnerschaft.

Es beginnt mit einer Amour fou, einer rauschhaften Liebesbeziehung zwischen der Journalistin Sophia und dem Cellisten Daniel. Beide haben Sehnsucht nach einem Leben, das im Hier und Jetzt stattfindet, und das Glück, vor allem im Bett, währt immerhin „drei atemlose Monate“. Weil Georg M. Oswalds Roman „Vorleben" (Piper, München 2020.215 S., 22 €.) heißt, ahnt man früh, dass es bald weniger um den Sex und mehr um den Sinn, weniger um die Gegenwart und mehr um die Vergangenheit geht.

Was der Erzähler im inneren Monolog seiner Heldin auf den Punkt bringt: „Klar, Ficken macht Spaß, aber irgendwann kommt man dann eben doch an den Punkt, an dem es sich zu fragen lohnt, was das Ganze soll.“

Sophia soll einen Artikel über das Orchester schreiben, für das Daniel spielt. Weil sie wenig von klassischer Musik versteht, versucht sie ihre Unkenntnis mit Charme und entwaffnender Ehrlichkeit wettzumachen. Dabei hat sie Skrupel, den Job überhaupt zu Ende zu bringen. Ohnehin steht es mit Sophias Selbstbewusstsein nicht zum Besten, denn als Journalistin ist sie gescheitert.

Was Daniel nicht stört, er rät ihr gar, sich als Schriftstellerin zu versuchen. Dieser Mann, der in seiner Großzügigkeit ziemlich unheimlich erscheint, baut seine Freundin auf, treibt sie an, unterstützt sie – wenn er denn nicht gerade auf Konzertreise ist. Oft ist Sophia allein in der schönen Dachgeschosswohnung im Münchner Glockenbachviertel, und in der Einsamkeit wachsen die Selbstzweifel.

Sie waren noch nicht lange zusammen, als Sophia bei Daniel eingezogen ist. Sie fühlt sich unwohl in der leeren Wohnung, zumal es ein geheimnisvolles Zimmer gibt, das für sie eigentlich tabu ist.

Dieser Roman wird im Roman selbst mitgeschrieben

Ausgangslage und Figurenkonstellation sind recht konventionell erzählt. Aber Oswald gelingt es zu Beginn, die Entwicklung von Neugier über Skepsis zum Misstrauen in einer Beziehung anschaulich zu erzählen.

Ein Grund für den Niedergang der Liebe ist das ökonomische, berufliche, psychische und sozial-kulturelle Ungleichgewicht in der Partnerschaft, die eben keine ist.

Sophia und Daniel begegnen sich nicht auf Augenhöhe: Er ist reich und berühmt, sie hingegen noch auf der Suche nach einer beruflichen Identität. Guter Sex kann helfen, solche Asymmetrien auszublenden. Aber der Blick auf das, was nicht stimmt, wird umso schärfer, wenn auf die Frage, was das Ganze soll, eben keine Antwort gefunden wird.

Mag Sophias Beitrag fürs Programmheft des Orchesters auch keine Glanzleistung sein, ihr journalistisches Können stellt sie dennoch unter Beweis: mit einer Recherche über die Vergangenheit ihres ominösen Lovers. Anfangs spielte Daniels Vorleben keine Rolle, zu dem auch eine gescheiterte Ehe und ein gemeinsames Kind gehört.

Der Kontakt zu Tochter und Ex-Frau gestaltet sich schwierig, aber das kommt in den besten Familien vor, und aus einer solchen scheint der weltberühmte Cellist zu kommen. Merkwürdigerweise sind die Eltern etwas zu stolz auf ihren Sohn, außerdem behandeln sie ihn immer noch wie einen kleinen Jungen.

Biederes Sprachhandwerk

Sophias Argwohn verstärkt sich, als sie in Daniels Unterlagen Fotos von einer jungen Frau findet, die vor Jahrzehnten ermordet wurde. Sie beginnt eine detektivische Suche und stößt auf Ungeheuerliches. Ihre Liebe schlägt in Angst und Hass gleichermaßen um. Ist ihr Freund ein Killer? Sophia aber akzeptiert nicht länger die inferiore Rolle, sondern tritt nun als Rachegöttin auf.

Oswalds Kriminalstory ist auch das Porträt eines gentrifizierten Münchner Innenstadtbezirks. Das Glockenbachviertel ist heute ein reiseführerbekannter Ausgehbezirk, mit angesagten Bars und gehobenen Restaurants. Kaum vorstellbar, dass dort früher mal randständige Leute gelebt haben, drogensüchtige Spinner oder Stripperinnen, die in Oswalds Geschichte eine wichtige Rolle spielen.

Es scheint, als habe der Schriftsteller selbst bemerkt, dass Handlung und Helden zwar einigermaßen ordentlich entwickelt, aber doch so wenig originell sind, dass es noch einer weiteren Reflexionsebene bedarf: Sophia schreibt nämlich zugleich ihren ersten Roman, der wiederum von ihren Erlebnissen mit Daniel und dessen Vergangenheit handelt.

Die Frage ist: Geht das auf? Gewinnt Oswalds Roman durch dieses innerliterarische Spannungsverhältnis an Qualität? Leider bleibt es beim biederen Sprachhandwerk, was keineswegs nur der Erzählanlage geschuldet ist. Selbst als Debüt einer mittelmäßigen Journalistin wirkt „Vorleben“ seltsam ambitionslos.

Dieser Unterhaltungsroman verstimmt, weil er zu oft ausformuliert, was ohnehin schon mehrfach erklärt wurde. So liest man überflüssige Sätze wie diesen: „Hinter dem Daniel, den sie kannte, lag eine Vergangenheit, die ziemlich sicher ganz anders aussah, als sie vermutet hatte.“

Ach, wirklich? Wer hätte das gedacht. „Vorleben“ ist ein Roman, der fast jede Leerstelle füllt und sich nicht mal ein offenes Ende gönnt. Er schließt wie eine mittelmäßige „Tatort“-Folge: mit einem verbalen Showdown und einem Suizid, der als Strafe für verjährte Verfehlungen zu interpretieren ist. Fragt sich nur: Was soll das Ganze?

Carsten Otte

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