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Die Schatzsuche in „Uncharted: The Lost Legacy“ führt durch wilde Landschaften.

© Naughty Dog

Gender in Videospielen: Raus aus der Rolle

Weniger Klischee, mehr Abenteuer: In der Welt der Videospiele verändern sich die starren Geschlechterbilder. Das zeigt sich auch bei dem neuen Spiel „Uncharted: The Lost Legacy“.

Zwei Frauen am Abgrund. Weitläufige Hügel und reißende Bäche erstrecken sich unter ihnen. Chloe Frazer und Nadine Ross heißen die beiden, sie sind die Protagonistinnen des neuen Videospiels „Uncharted: The Lost Legacy“. Das ist eine Besonderheit. Frauen in Hauptrollen gibt es nicht oft. Die Geschlechterdarstellung in Videospielen orientiert sich oft an veralteten Rollenmustern. Nur selten werden Geschichten erzählt, die die starre Binarität brechen. Doch seit einiger Zeit tut sich was.

Was sich auch an der Geschichte der „Uncharted“-Reihe ablesen lässt. Das erste Spiel erschien 2007, Nathan Drake hieß der Protagonist. Mit ihm durchschritten die Spieler ein Abenteuer, das stark an die „Indiana Jones“-Filme erinnert. Ein charismatischer Held, patent, leicht chauvinistisch, ist auf der Suche nach den großen Schätzen dieser Welt. Auf der Reise bekämpft er fiese Schergen, erklimmt Berge, flirtet mit Frauen und bekommt schlussendlich das, was er wollte: Schatz, Ansehen und Frau.

Protagonist Nathan wurde durch zwei Frauen ersetzt

Doch spätestens mit dem vierten Teil der Serie war dieser Held kaum wiederzuerkennen. Es erschien im letzten Jahr und zeigte einen deutlich reflektierteren, gebrochenen Helden. Vom Alltag eingeholt, gefangen in einem Allerweltsjob, wird er von seinem Bruder um Hilfe gebeten. Der braucht dringend Geld – in Form eines Schatzes. Nathan Drake wird in seinem finalen Abenteuer zur Schatzsuche gezwungen. Begleitet wird diese Suche von Schuldgefühlen. Denn er hat seine Frau hintergangen. Sie weiß nichts von der gefährlichen Reise.

Der neue Teil „Uncharted: The Lost Legacy“ ist nun eine weitere dieser Schatzgeschichten. Allerdings ohne Nathan. An seine Stelle sind zwei Heldinnen getreten, wobei sich allerdings nur Chloe steuern lässt. Zwei Frauen bringen eine Geschichte zu ihrem Ende, die von einem Mann begonnen wurde.

Alte Rollenbilder, neueste Grafik

Geschlecht ist performativ, heißt es bei der Philosophin Judith Butler. Unser gesellschaftliches Geschlecht entsteht erst durch wiederholte performative Akte, es wird so für uns lesbar. Geschlecht ist also immer im Prozess des Werdens, niemals des Seins. Videospiele sind ein perfektes Medium, um diese Performativität darzustellen. Denn auch Spiele sind nicht, sie werden. Erst wenn die Spieler Entscheidungen treffen, die Spielfigur durch die virtuelle Welt steuern, erst dann wird das Spiel lebendig. Und mit ihm leben die Charaktere. Die Spieler geben den Input, die Figuren bewegen sich, treten in den Dialog mit anderen Figuren, sie formen sich durch die Spieler.

Doch sind der Performativität durch die Programmierung Grenzen gesetzt und so zeigen sich in Videospielen oft veraltete Vorstellungen hinter moderner Grafik. Frauen werden in Spielen gerne auf Nebenschauplätze verwiesen. Sie dienen dem männlichen Protagonisten als Antrieb etwa, wenn eine hilflose Frau zu retten ist. Oder aber sie sind Objekte der männlichen Begierde, treten nur im Kontext einer männlichen Agenda auf. Dabei sind sie selten adäquat gekleidet. Statt etwa in einem Fantasy-Rollenspiel ordentlich gerüstet zu sein, tragen sie einen gepanzerten Bikini.

Chloe und Nadine sind die Heldinnen von „Uncharted: The Lost Legacy“.
Chloe und Nadine sind die Heldinnen von „Uncharted: The Lost Legacy“.

© Naughty Dog

Derweil liefern die männlichen Helden oftmals die perfekte Machtfantasie für ein angenommenes männliches Publikum. Sie sind muskelbepackt, waffenstarrend, gefühlskalt. Während Frauen also oft sexualisiert dargestellt werden, sind die nackten Oberkörper der Männer eine ölige Projektionsfläche für die unendlichen Möglichkeiten des männlichen Geschlechts. So wird beiden Geschlechtern Unrecht getan. Unrealistische Körperbilder, einengende Rollenbilder.

Doch nun ist da dieser Bruch. In den letzten Jahren sind diverse Spiele erschienen, die ganz unterschiedliche Geschichten erzählen, vielfältige Bilder zeichnen von dem, was Mann und Frau sein können. In „Hellblade: Senua’s Sacrifice“ übernehmen die Spieler beispielsweise die Rolle einer nordischen Kriegerin, die ihren Geliebten aus der Unterwelt zu retten versucht. Dabei ist eigentlich sie die Verlorene. Sie hört Stimmen. Der Kampf gegen die Unterwelt ist eigentlich ein Kampf gegen die eigene Zerrissenheit, die eigene Trauer.

„Horizon: Zero Dawn“ wiederum erzählt von einer zukünftigen Welt, in der die Steinzeit wiedergekehrt ist – jedoch mit mechatronischen Dinosauriern. Wieso die Welt einst untergegangen ist, diese Frage möchte die Protagonistin Aloy beantworten. Aufgezogen wurde sie allein von ihrem Stiefvater, beide leben sie ausgestoßen von ihrem Stamm, der allein von den ältesten Frauen geführt wird. „Horizon“ verbindet matriarchalische Diskurse mit der Götterdämmerung.

"Uncharted" kommt bei Frauen gut an

In „Uncharted: The Lost Legacy“ dämmert den Protagonistinnen selbst, dass sie auch mit überkommen Rollenbildern zu kämpfen haben. „Es gibt nicht viele von uns Frauen in diesem Geschäft“ heißt es in einem eingeworfenen Dialog – was sich auch auf das Videospiel-Geschäft beziehen lässt. Dennoch sind die beiden keine bloßen Schablonen, die von einem Mann ausgemalt werden. Sie sind zwei Frauen, die ihr eigenes Narrativ haben. Im neuen „Uncharted“ sind sie als Hauptfiguren selbstverständlich, was den Machern bereits viel positives Feedback von Spielerinnen eingebracht hat.

„Es ist nur eine aktive Kriegszone, nichts, mit dem du nicht umgehen könntest“, sagt Chloe am Anfang zu sich selbst. Und sie hat recht, denn mit Krieg und Gewalt müssen Videospiel-Figuren tatsächlich noch immer sehr oft umgehen. Sie sind fester Bestandteil der Spielmechaniken, ohne Konflikt funktionieren viele Videospiele nicht. Und an den Rändern dieser Konflikte enden auch oftmals die Charakterentwicklungen. Denn ein Nathan Drake kann noch so differenziert dargestellt werden. Wenn auf ein nachdenkliches Gespräch über das Beziehungsleben eine Schießerei mit mehreren Toten folgt, wird die Dissonanz deutlich, die in vielen Videospielen mitschwingt – über Geschlechtergrenzen hinweg.

Doch zeigen Spiele wie „Hellblade“ bereits, dass auch diese Dissonanz produktiv umgesetzt werden kann. Dass Videospiele Erfahrungen bieten können, die über ein Knöpfchen-drücken-Gegner-tot weit hinausgehen. Und so kann man wohl nur erahnen, in welche Richtungen sich Videospiele noch entwickeln werden. Wie sehr sich dieses Medium wohl noch ausdifferenzieren wird, nicht nur in der Darstellung von Geschlechtern.

Zwei Frauen stehen also am Abgrund. Doch wenn man genau hinsieht, erkennt man: Der Abgrund ist nur eine Herausforderung.

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