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Leuchten im All. Das Bild „To the Moon and Back“ (2018) lädt zur Rundreise.

© Galerie Tanja Wagner

Gemälde von Grit Richter: Die Welt umarmen

Kühne Formen der Fantasie: Die Galerie Tanja Wagner zeigt mit „The Space Between Us“ humorvolle Gemälde der Dresdner Künstlerin Grit Richter.

Ein roter Kringel war im vergangenen Winter das Signet von Grit Richter. Abends leuchtete er aus dem Fenster des Museums Gunzenhauser, das zu den Kunstsammlungen Chemnitz gehört. Der lapidare halbe Kreis erwies sich als Zeichen mit Strahlkraft vom zweiten Stock bis auf die Straße, wo das tiefe Rot der Neonarbeit mit den Rücklichtern der Autos verschmolz.

„Danke für alles“ hieß ähnlich beiläufig die Ausstellung selbst. Und dennoch bleibt einem Richters Arrangement von 2017 gegenwärtig, weil ihre Setzungen so ungeheuer präzise waren: Im Museum formten sie ein Raumbild aus Malerei, gebleichten Stoffen, bunten Neonröhren und kleinen, mit dunkel pigmentiertem Gips gegossenen Skulpturen, deren Formsprache an die Objekte der geometrischen Moderne erinnerte. Bloß dass die Künstlerin, Jahrgang 1977, die Güsse wie aufgeblasene Kissen wirken ließ.

Humor ist ein wichtiger Faktor in Richters Repertoire. Intuition ein anderer: Auch wenn er im Kanon der Kunstgeschichte wenig gilt, weil er nach Emotion klingt statt nach Reflektion. Wie überholt diese Zweiteilung ist, macht Richters Werk (Preise: 2000-15000 Euro)auch jetzt in der Galerie Tanja Wagner klar. „The Space Between Us“, der Titel ihrer Ausstellung, führt Bilder aus den vergangenen drei Jahren vor. Diesmal setzt sie ganz auf deren Wirkung und verzichtet auf dreidimensionale Objekte oder Details wie jenen weichen, aus ganzen und halben Rechtecken genähten Vorhang, der 2013 während ihrer ersten Schau bei der Berliner Galeristin hing. Und der natürlich auf jene Zeit anspielte, die Künstlerinnen selbst noch im fortschrittlichen Bauhaus in die Web- oder Knüpfklassen verwies.

Autonome Wesensform, geboren aus konstruktiven Elementen

Das Handwerkliche, Intuitive als weibliche Sphäre, Konzeptkunst als männlich konnotierte Domäne. Grit Richter biegt diese lang kultivierte Behauptung ganz wörtlich zurecht. Die krummen Kreise und Kreuze ihrer Neonarbeiten erinnern an Arbeiten von Heroen wie Bruce Nauman oder Dan Flavin, die farbiges Licht in ihrem Werk verwendet haben. In der jetzigen Ausstellung macht die Künstlerin daraus einen kleinen, durchhängenden Regenbogen aus Glas, der wie eine kleine, ironische Verbeugung wirkt. Außerdem erkennt man ihn unschwer als Detail eines anderen Richter-Bildes wieder: „Whish you were Here“ suggeriert ein trauriges Gesicht, zwei kleine, gemalte Regenbogen wirken wie Augenlider im geschlossenen Zustand. Dabei besteht die Komposition aus kaum mehr als einer geschwungenen Linie in Blau- Orange und jenen nach unten weisenden Halbbögen. Hier offenbart sich das Potenzial der Malerin zur vieldeutigen Gestaltung mit einem vermeintlich reduzierten Vokabular. „The Space Between Us“ benennt diese Zone der Möglichkeiten. Eine imaginäre Sphäre zwischen Sender und Empfänger, die alles sein kann – Weite, Fülle oder Leere. Grit Richter lässt ihre amorphen – nicht wirklich geometrischen, aber auch nicht eindeutig abstrakten – Körper auf den Leinwänden schweben. Sie werden zur autonomen Wesensform, geboren aus den konstruktiven Elementen Dreieck, Kugel und (eher voluminöser Wurm als) sich krümmende Linie. „Im Entstehungsprozess interessieren mich formale Klarheit und Reduktion genauso wie die Lust am Spielerischen“, meint Richter. Eben dieses Spielerische weist zurück auf die Fähigkeiten des Betrachters, sich aus willkürlichen Arrangements wie im Bild „Forever now“ eine interplanetarische Konstellation im All zurechtzufantasieren. Oder in der Faltung von „Das Leben eben“, einem 2018 entstandenen Gemälde von fast zwei Metern Höhe, ein Antlitz zu sehen. Bloß weil die Künstlerin zwei Punkte als Augen mitten in die silbergraue Fläche gesetzt hat.

Ärmchen fliegen durch ein schwarzes Universum

Grit Richter verfolgt eine Absicht, ohne strategisch zu denken. Es geht um die „Rückführung des Abstrakten ins Dingliche, um so eine Projektionsfläche zu schaffen, in der die abstrakte Form inhaltliche Zuordnungen erfährt“. Sie provoziert Verknüpfungen, die im diffusen Erkennen verharren dürfen, ohne dass man sie konkretisieren muss: Wer gäbe schon gern zu, dass er sich vor der monumentalen Arbeit „To the Moon and back“ an kindliche Sympathieträger wie die Comicfigur Barbapapa erinnert fühlt.

Es geht auch gar nicht um Modelle oder Symbole, mit denen sich Wirklichkeit beschreiben ließe. Ein Bild wie „Sometimes I feel so Disconnected“, auf dem zwei dünne Arme das ganze Motiv zu umarmen trachten, mag diesen Anschein erwecken. Doch die Interpretation greift zu kurz, denn die Ärmchen fliegen durch ein schwarzes Universum zwischen Bällen, die – vielleicht – Mond und Erde verkörpern. „Basierend auf der Annahme, dass wir alle eine kollektive emotionale Struktur teilen, versuche ich Assoziationsräume zu schaffen, die der Ungreifbarkeit innerer Systeme eine Gestalt verleihen“, so Richter.

Wer wissen will, was in ihm steckt, sieht sich vor ihren Bildern mit einer kühnen Antwort konfrontiert.

Galerie Tanja Wagner, Pohlstr. 64; bis 1.8., Di–Sa 11–18 Uhr

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