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Er ist müde. Fabian Hinrichs in „Geht es dir gut?“ in der Berliner Volksbühne.

© Thomas Aurin

„Geht es dir gut?“ in der Berliner Volksbühne: Was für eine (Selbst-)Befreiung!

Ein Abend, der unter sämtliche Publikumshäute fährt: Das beglückende Stück „Geht es dir gut?“ in der Berliner Volksbühne mit Fabian Hinrichs.

Nächste Vorstellungen am 26. März sowie am 2., 14. und 25. April

„Geht es dir gut?“ – „Hast du Nachrichten geschaut?“ – „1,5 Meter. 1,5 Grad. 2 mal 1,5 Atomkoffer. Ich meine, was soll eigentlich noch kommen?“. Solche Sätze sind es, die Fabian Hinrichs abendfüllend in Berliner Volksbühne hineinruft. Oder besser: mit denen er sie anruft. Die Volksbühne ist riesig, das weiß man (vor allem, weil daran schon so viele gescheitert sind). Aber an diesem Abend wirkt sie schlichtweg unendlich – und der Schauspieler, das menschliche Maß, noch kleiner als winzig, noch verlorener als lost.

Es wird zurzeit ja viel debattiert darüber, was das Theater soll – und ob es überhaupt etwas kann – angesichts der Katastrophen unserer Tage. Wie soll das denn gehen, dramatische Sinnstiftung zu Klimadesaster, Pandemie und Krieg; zu 1,5 Metern, 1,5 Grad und 2 mal 1,5 Atomkoffern? René Pollesch und Fabian Hinrichs geben darauf in ihrem neuen gemeinsamen Abend „Geht es dir gut?“ unglaublicherweise eine Antwort! Sie besteht darin, derart klar und ehrlich die eigene Verzweiflung offenzulegen, dass diese Verzweiflung gar nicht anders kann als unter mutmaßlich sämtliche Publikumshäute zu fahren.

Was wiederum nur deshalb gelingt, weil Text wie Inszenierung das Kunststück schaffen, die armselige kleine Indiviuumstrostlosigkeit luzide mit der großen gesellschaftlichen Depression in eins zu führen und umgekehrt. Also: „Was soll denn eigentlich noch kommen? Es kann doch nur noch ein Meteorit kommen. Außerirdische. Es kann doch höchstens noch Gott persönlich zu uns sprechen. Oder du kommst zu mir zurück.“  

Eine gigantische Litanei der Erschöpfung

Der erste Teil des Anderthalbstünders ist eine einzige gigantische Litanei der Erschöpfung. „Ich bin müdeeee!“, spricht Hinrichs immer wieder in die Volksbühnen-Unendlichkeit hinein, und er tut es in diesem ihm eigenen liturgischen Singsang-Sound, der mit jeder Silbe zielsicher ins Mark trifft und gleichzeitig sämtliche Fluchtmöglichkeiten ins Pathos verstellt, jedwede Einkuschelei in den Selbstbetroffenheitsrausch verunmöglicht. Es ist fast eine Austreibung, die Pollsch und Hinrichs hier unternehmen, wenn der „Schrott“ zur Sprache kommt, „den ich hier gerade inhaltlich verzapfe“; wenn davon die Rede ist, dass man doch schon seit zwei Jahren nicht mehr wisse, was man sage.

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Nicht, dass man solche Sätze nicht schon öfter gehört hätte in Pollesch-Stücken. Es gibt aber Abende – und die traten zuletzt recht häufig auf –, an denen sie sehr safe daherkommen, sich vor sich selbst in eine gewisse Koketterie flüchten. Jetzt, bei Hinrichs, klingen sie völlig nackt und schonungslos. Dass man sich – und hier ist sie endlich wieder, eine dieser wirklich guten alten Volksbühnentraditionen –, bei der Status-quo-Analyse hier grundsätzlich mitmeint, dass also an relativ führender Position immer auch der Volksbühnen-Intendant René Pollesch über sich selbst spricht, der das Haus noch nicht in Gang zu bringen geschafft hat seit seinem Amtsantritt, gehört zu den Punkten, die den Abend wirklich groß machen. 

So könnte das doch eigentlich gehen!

Allerdings wäre Pollesch nicht Pollesch – und die Volksbühne nicht die Volksbühne, die hier seit langer Zeit endlich mal wieder beglückend zeigt, was sie kann –, wenn es irgendwann nicht auch noch ziemlich lustig würde innerhalb der Globaltragödie. Denn klar: Worauf verfällt man, wenn man „drinnen vor der Tür“ tiefer und tiefer in die Depression rutscht? Eskapismus! Flucht! Exit! Punktgenau lässt die Bühnenbildnerin Katrin Brack eine silberne Rakete landen im gigantischen Volksbühnenhalbrund. Sogar ein Taxi fährt ein. Aber es hilft nichts: Die Choristinnen und Choristen der Afrikan Voices und der Bulgarian Voices Berlin, die Hinrichs bis dato gutwillig sekundiert hatten in seiner Erschöpfungslitanei, lassen ihn einfach stehen draußen vor der (Raketen-)Tür. Sie fliegen ohne ihn ab.

Das Taxi steht noch da. Und aus ihm klettern die jungen Breakdancer der Flying Academy. Und was jetzt mit ihnen die Bühne überrollt, was diese kollektive Hinrichs-Pollesch-Gesellschafts-Erschöpfung geradezu wegfegt, ist ein derartiger Energiestoß, ein so ungebrochener Vitalitätsrausch, dass nicht nur der sacht und selbstironisch an der Seite mitwippende Hinrichs das Gefühl haben dürfte, dass es ja vielleicht irgendwie doch noch ein Morgen gibt. Was für eine (Selbst-)Befreiung!   

Später, nach dem ersten (jubelnden) Applaus, singen und musizieren – vom Weltraumtrip quasi zurück auf der Volksbühnen-Erde – erst die Afrikan Voices, dann die Bulgarian Voices Berlin. Und ja: So könnte das doch eigentlich gehen! Warum sollte das denn nicht funktionieren – an der Volksbühne, und überhaupt?!

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