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Kultur: Gegen die Tür

Vom Bolzplatz auf die Bühne: Beim Festiwalla spielen Jugendtheater aus sozialen Brennpunkten im Haus der Kulturen

Schublade auf. Die 22-jährige Asma Zaher ist gläubige Muslima, trägt ein Kopftuch und wohnt im Wedding – eine Migrantin im Brennpunktbezirk. Schublade zu. Den Rest ergänzt das vorurteilsfreudige Gehirn ganz von selbst: Sie wird unterdrückt, hat keinen Ausbildungsplatz und spricht ihre Muttersprache besser als Deutsch. Doch Asma Zaher wehrt sich gegen die stereotypen Zuschreibungen . „Ich bin emanzipiert“, sagt die angehende Erzieherin selbstbewusst, „aber im Rahmen meines Glaubens.“ Gemeinsam mit anderen Jugendlichen hat sie ein Manifest verfasst. Darin fordern sie die Bereitschaft zum Austausch, eine Plattform zur Selbstdarstellung und Zugang zu kreativen Ausbildungsberufen und dem Kulturbetrieb. Ihr Motto: „KulTür auf!“

Die Bühne eroberten sie sich zunächst im Jugendtheater Büro Berlin, einem soziokulturellen Projekt der Initiative Grenzen-Los. Im backsteinroten Anbau der Reformationskirche im Westen Moabits werden die Jugendlichen in Schauspiel, Regie oder Veranstaltungstechnik angeleitet, damit sie ihre eigenen Geschichten verhandeln können. Ein Ort mit dem lebendig-abgerockten Charme eines Jugendzentrums. Pfeile aus Klebeband an den Wänden weisen den Weg in den dritten Stock, hier und da sind Türen im Treppenhaus durch Sperrholz ersetzt. Im Theatersaal im Erdgeschoss stehen dicht gedrängt weiße Kirchenbänke, Schaumstoffmatratzen stapeln sich meterhoch an der Wand. Derzeit wird hier täglich geprobt, denn die Jugendlichen bespielen erstmals ein etabliertes Haus. Festiwalla heißt das Jugendtheaterfestival der Initiative aus Moabit, das vom 20. bis zum 22. Oktober im Haus der Kulturen der Welt stattfindet.

Auf dem Programm stehen 45 Veranstaltungen, darunter eine Hip-Hop-Show des Outreach-Jugendprojekts, das Musical „Wege zur Freiheit“ der Hector-Peterson-Oberschule oder der Film „Faust in da City“ der StreetUniverCity Berlin. Dazu Workshops zu Schattenfreestyle oder antimuslimischem Rassismus. Die Jugendlichen haben Zeitfenster für Islamgebete eingebaut. Das Jugendtheater Büro zeigt fünf eigene Bühnenwerke. Zu den Regisseurinnen gehört Saira Amjad. In ihrem Stück „Ick gloob, ick bin im falschen Film“ geht es um Vorurteile wie die von Professor Sarabuschkowszin, der alle nur in Schubladen steckt. Damit wurde auch Saira schon früh konfrontiert, wenn andere Kinder ihren Vater als Terroristen beschimpften, weil er aus Pakistan stammt. Mittlerweile ist sie 22 Jahre alt und arbeitet in einem Kindergarten, aber Vorurteile begleiten sie weiterhin. „Man steht schon unter Druck“, findet sie, „weil die Politik sagt: ‚Ihr Jugendlichen könnt nichts, ihr macht nichts und hockt auf der Straße.’ Man will denen ja zeigen, dass es nicht so ist, aber sobald man einen Fehler macht, heißt es wieder: ‚Ja, siehst du, genauso seid ihr und nicht anders.’“

Das JugendtheaterBüro hat sich die gesellschaftliche Teilhabe und berufliche Orientierung von Jugendlichen aus schwierigen sozialen Verhältnissen zum Ziel gesetzt. „Wir fördern auf dem Bolzplatz“, sagt der künstlerische Leiter Ahmed Shah, auch wenn es nicht um die ersten Schritte auf dem Weg in den Fußballhimmel, sondern um Talentförderung in Sachen Theater geht. Er wehrt sich dagegen, die Kunst seiner Schützlinge als Kiezkultur abzutun und betont: „Wir sind weder Maßnahme noch Therapie. Wir machen Kunst!“ Sie wollen Zugang zu den etablierten Bühnen, aber gehören ihre Stücke da auch hin?

Die Kulturpädagogin Uta Plate schätzt das offene Haus in Moabit und die Integrationsleistung, die dort erbracht wird. Sie leitet ein Jugendtheaterprojekt an der Schaubühne und kann die Sehnsucht der Jugendlichen nach den großen Bühnen verstehen. „Das hat etwas mit der Hierarchisierung der Orte zu tun. Damit, ernst genommen zu werden, möglichst viele erreichen zu wollen, nicht nur das Publikum des Jugendtheaters in Moabit.“ Sie glaubt an die Vielfalt und Wechselwirkung der Szenen. Dennoch könne man die Jugendarbeit nicht mit dem normalen Theaterbetrieb vergleichen. Schließlich hätten die einen eine Ausbildung und bekämen Geld für das, was die anderen neben der Schule betreiben würden. „Problematisch ist, daraus Qualitätsmerkmale abzuleiten. Denn aufregenden Fußball gibt es nicht nur von Real Madrid, sondern auch um die Ecke.“

„Gaza-Monologe“ heißt das Stück, das Uta Plate im Rahmen des Festivals zusammen mit der Regisseurin Lydia Ziemke und verschiedenen Jugendtheaterclubs auf die Bühne bringt. Es basiert auf Texten von Jugendlichen aus dem Gazastreifen über ihre Ängste, Gewalterfahrungen und Träume. Auch Asma Zaher, deren Eltern aus Palästina stammen, spielt mit. Ahmed Shah hat selbst schon vor Ort gearbeitet. Das Freedom Theater des israelisch-arabischen Regisseurs Juliano Mer Khamis im Flüchtlingslager Jenin diente als Inspiration für die Gründung des Jugendtheater Büros – im kleinen Probenraum hängt ein Poster von ihm. Mer Khamis wurde im April vor seinem Theater im Westjordanland ermordet. Die Berliner Jugendlichen haben ihn mehrere Male getroffen und veranstalten einen Gedenkabend, an dem Mitglieder des Freedom Theaters zu Gast sein werden.

„Keiner hat mich gefragt!“ ist der Titel des ersten Theaterstücks von Asma Zaher, mit dem sie im Kiez schon für Wirbel gesorgt hat. Der Text stammt von ihr, Regie führt sie selbst. „Stimmt nicht! Gibt es hier nicht!“, schallte es ihr entgegen, weil sie auf der Bühne die Zwangsheirat und die Unterdrückung einer muslimischen Frau durch Familie und Gesellschaft darstellte. Eltern nahmen ihre schauspielernden Töchter nach der Aufführung aus der Theatergruppe heraus. „Gibt es doch!“, antwortet Asma, die sich grundsätzlich gegen Verallgemeinerungen, also genauso gegen die Stigmatisierung von „Kopftuchmädchen“ oder „Hausfrauen“ wehrt. „Ich bin für Frauenpower“, auch wenn das für viele im Widerspruch zu ihrem Kopftuch steht, das hat für sie nichts mit Bevormundung zu tun. Für das Festival hat sie im Mädchentreff „Beraberce“, was so viel heißt wie Miteinander, neue Schauspielerinnen akquiriert.

Das Programm trägt die Handschrift der Jugendlichen vom Theaterbüro – das sind erst einmal gute Voraussetzungen. Thematische Schwerpunkte wie Vorurteile, Migration und die Benachteiligung von Jugendlichen beschreiben die Realität, in der sie aufwachsen. Die Theaterarbeit gibt ihnen die Möglichkeit, alternative Gesellschaftsmodelle zu entwickeln und auf der Bühne zu erproben. Ebenso ihr kreatives Talent. Auch wenn nicht jeder, der auf dem Bolzplatz kickt, später auch im Stadion landet: Dass das JugendtheaterBüro das Haus der Kulturen der Welt als Veranstaltungsort gewonnen hat, zeugt vom Selbstbewusstsein der Jugendlichen. Das ist wiederum keine schlechte Voraussetzung dafür, sich Gehör zu verschaffen – zumal auf dem großen Parkett.

Haus der Kulturen der Welt,

John-Foster-Dulles-Allee 10,

20. bis 22. Oktober. Eintritt frei

Cara Wuchold

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