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Der Dichter Ulf Stolterfoht imaginiert Martin Luther als Kraftlackel und Sprachprotz.

© dpa/Uwe Anspach

Gedichte von Ulf Stolterfoht: Martin Luther als Battle-Rapper

Mein Beat ist massig und mein Schreiben klassig: Der dichtende Wortverdreher Ulf Stolterfoht wildert wieder in fremden Textwelten.

Es gibt Dichter, die versenken sich in Selbst und Seele und kommen von solchen Tauchgängen mit frischem Versfang zurück. Ganz anders der 1963 in Stuttgart geborene und seit Langem in Berlin lebende Ulf Stolterfoht. Der studierte Linguist lässt beim Dichten den Deckel auf der Seele. Stattdessen streift er als Jäger und Sammler durch fremde Textwelten und Wortschätze, mit Vorliebe all jene Biotope der Sprache, in denen Insiderwissen, Materialbeherrschung und Professionalisierung ihre eigenen Vokabulare hervorgebracht haben.

Solche „Fachsprachen“ nutzt Stolterfoht, verschiebt dabei aber die Sinn-Kontexte, woraus sich oft komische Wirkungen ergeben. Seit er vor zwanzig Jahren mit dem Band „Fachsprachen I-IX“ debütierte, hat sich das Projekt als eines der ergiebigsten Konzepte der neueren deutschsprachigen Lyrik erwiesen. Jetzt ist der mittlerweile fünfte Band mit dem Titel „Fachsprachen XXXVII-XLV“ erschienen (Kookbooks, Berlin 2019. 104 S., 19,90 €). In ihm gibt es einen Text mit dem Titel „nkl – neue konfessionelle Lyrik“, an dem die Methode deutlich wird.

Die architektonische Terminologie zur Beschreibung von Sakralbauten verwendet Stolterfoht darin parodistisch für die Charakterisierung eines Gedichts: „durch den eher ungünstigen standort auf einer linken seite ist das ge- / dicht nicht genau geostet, sondern leicht nach norden verschwenkt. / seine maximale strophe in höhe der querarme beträgt 25 cm. (…) von der südlichen sakristei besteht ein zugang in die an- / grenzende avantgarde.“ Der prächtige Kirchenbau und die schlichte Erscheinung des Gedichts: Da ergeben sich Kontrastwirkungen wie von selbst.

Die Gedichte eignen sich zum vergnüglichen Vorlesen

Zu den Fachsprachen gehören auch literarische Stile und Genres. Die Persiflage einer isländischen Saga bietet der Dichterwettstreit mit dem Titel „der große holmgang in strophen oder saga von gunnlaug schlangenzunge und brueti dem nämlichen“. In diesem Langgedicht im scheinbar hohen Ton geht es um zwei Krieger, die um eine Frau konkurrieren, ihren Kampf oder „Holmgang“ aber nicht mit Schwertern, sondern mit Versen austragen. Der Höhepunkt des Bandes sind jedoch die 18 Gedichte des Zyklus „Brettschneider 1914“. Ein Pastiche auf den Expressionismus: Dichten am Abgrund des Juli 1914.

Als Sprach-Baukasten für seine subtilen Parodien benutzt Stolterfoht hier die legendäre Lyrik-Anthologie „Menschheitsdämmerung“ von Kurt Pinthus, eine Leistungsschau der deutschen Expressionisten,. Neun Autoren der Anthologie stehen ihm Modell: Gottfried Benn wird zu Frieder Schauffelen, Else Lasker-Schüler zu Margarete Kurz, Franz Werfel zu Anton Homolka, Ludwig Rubiner zu Alma Zech-Bonetti. Man bedichtet sich gegenseitig und trifft sich zum Räsonieren im Brettschneider, einer Stuttgarter Stehbierhalle. Das Dschungelhafte, Ur-Animalische, Großhirnferne, das Benn und Lasker-Schüler zelebrierten, wird von Stolterfoht wunderbar veralbert: „ich führe olm und molch im wappen. lurch wäre hier / zu viel gesagt – er litte schon zu sehr“. Aus Gottfried Benns Zeile „Es ist so schön an deinem Blut“ wird bei Frieder Schauffelen ein euphorisches „Es ist so warm an deiner Scham“. So vertrackt und hintergründig Stolterfohts Gedichte aber sind – sie eignen sich zum lauten, vergnüglichen Vorlesen.

Der Dichter Ulf Stolterfoht, geboren 1963 in Stuttgart.
Der Dichter Ulf Stolterfoht, geboren 1963 in Stuttgart.

© picture-alliance/ dpa/Rolf Haid

Meist werden die Texte in Neuner-Gruppen gebündelt. Neun Gedichte nehmen ihren Ausgangspunkt mit je einer Formulierung des Dichters Hans Arp, neun weitere bilden eine Hommage auf Johann Peter Hebel. Das Versmaß ist rhythmisch aufgelockert, auch wenn die Strophen streng abgemessen sind, bevorzugt in Sechszeilern. Reime gibt es reichlich, nur stehen sie nicht am Versende, sondern sind ins Innere der Gedichte eingewandert und pflanzen sich dort munter fort – als würde die Sprache selbst unter einer Art Replikationszwang stehen.

Der Reformator als Polterer vorm Herrn

Die meisten Gedichte sind als Auftragsarbeiten entstanden. Bei einem Erlebnislyriker erschiene das merkwürdig; ein Textkonstrukteur wie Stolterfoht dagegen kann offenbar gut nach Termin und vorgegebenem Thema arbeiten. Denn wie heißt es an einer Stelle: „gedichte zeigen wenig Neigung sich von allein zu bilden“, es braucht den „sanften Zwang“.

Das vierteilige Poem „sola scriptura“ etwa verfasste Stolterfoht 2015 für einen Tagungsband über „Luthers Sprache aus dem Geist der Übersetzung“. Er war um eine lyrische Stellungnahme zu Luthers „Sendbrief vom Dolmetschen“ gebeten worden. In dieser wütenden Rechtfertigungsschrift gegenüber den Kritikern seiner Bibelübersetzung im Speziellen und dem papsthörigen Katholizismus im Allgemeinen erweist sich der Reformator als Polterer vor dem Herrn. Und so präsentiert Stolterfoht ihn denn auch als Kraftlackel und Sprachprotz, als Battle-Rapper an der Schwelle zur Neuzeit. „Mein Beat ist massig und mein Schreiben gut / klassig“, tönt dieser Luther selbstherrlich, um dann die Papisten zu dissen: „ich kann prima psalmen aus- / legen – darin sind die papisten schlecht, ich kann verlässlich / dolmetschen – sie können es nicht. ich dichte – sie sind narrative Wichte“.

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