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In seinem Element beim Lucerne Festival: Der verstorbene Dirigent Claudio Abbado.

© Eddy Risch/dpa

Gedenken an den Dirigenten Claudio Abbado: "Es war unsere goldene Zeit"

Vor über einem Jahr starb der Dirigent Claudio Abbado. In Sils Maria kamen Freunde und Wegbegleiter zusammen, um an ihn und sein Erbe zu erinnern.

So hört sich Musizieren unter Freunden an. Selten ist Bachs Zweites Brandenburgisches Konzert mit so unbändiger Lebensfreude aufgeführt worden. Der Trompeter Reinhold Friedrich, der Oboist Lucas Macías Navarro und der Flötist Emmanuel Pahud ließen in der Offenen Kirche in Sils Maria die Funken sprühen, gemeinsam mit ihnen vertrauten Streichern und Eriko Takezawa am Cembalo. Während das Lucerne Festival Orchestra vor einem Neubeginn unter dem künftigen Chef Riccardo Chailly steht, lebt die Erinnerung an seinen Gründer Claudio Abbado in der von ihm hoch geschätzten Kammermusik fort.

Auf Initiative der Bratschistin Diemut Poppen kommen in einer neuen Konzertreihe Solisten zusammen, die dem Mailänder Dirigenten in Luzern und an anderen Orten über lange Jahre künstlerisch und menschlich eng verbunden waren. "Claudio Abbado hat mich noch zu Lebzeiten und später wiederholt im Traum darum gebeten", sagt sie. Kurz vor Weihnachten wurde vergangenes Jahr in der Jesus-Christus-Kirche in Dahlem erstmals "Kammermusik für Claudio" gespielt, knapp ein Jahr nach Abbados Tod im Januar 2014.

In der Stille hörte er den Schnee fallen

Anstelle der tiefen Trauer, die bei dem Berliner Konzert allgegenwärtig war, spürte man in der kleinen Kirche im ostschweizerischen Engadin vor allem die Dankbarkeit, mit der Abbados Freunde das Andenken an ihren Mentor wachhalten wollen. Emmanuel Pahud, inzwischen seit mehr als 20 Jahren bei den Berliner Philharmonikern, wirkte bereits im Sommer 1998 beim Engadin Festival an einer Aufführung der Brandenburgischen Konzerte unter seinem damaligen Chef Abbado mit, ebenso wie die Violinistin Maja Avramović. "Wie viele andere Philharmoniker kam ich nach Abbados Amtsantritt 1989 in das Orchester", erinnert sich Pahud. "Mit ihm haben wir gelernt, zusammen zu musizieren. Es war unsere 'goldene Zeit' .

Flötist Emmanuel Pahud
Auch Flötist Emmanuel Pahud war in Sils Maria dabei.

© Marco Caselli Nirmal

Kurz vor dem Konzert in Sils Maria trafen sich Musiker und Freunde im kleinen Kreis an Abbados Grab im Fextal. In diese abgeschiedene Berglandschaft auf 2000 Metern Höhe, weit abseits von Autolärm und Alltagspflichten, zog sich der Dirigent wochenlang zurück, um in einem alten Bauernhaus Partituren zu studieren und wandern zu gehen. Im Winter, so erzählte er, höre er dort in der Stille den Schnee fallen.

"Claudio Abbado wollte nie viele Worte verlieren, deshalb soll auch jetzt vor allem die Musik sprechen", sagte Diemut Poppen sichtlich bewegt, bevor sie in der winzigen Bergkirche in Fex Crasta mit Fresken aus dem frühen 16. Jahrhundert Bachs Präludium D-moll spielte. Nahe dem schlichten Grab in der Kirchhofsmauer, das mit Blumen und bunten Steinen geschmückt war, ließ Friedrich "Predàh" , ein Abbado gewidmetes neues Werk des italienischen Komponisten Luca Lombardi erklingen. Mit Claude Debussys Solo-Stück "Syrinx " weihte Pahud dann eine Sitzbank ein, ein Brauch, mit dem in der Region Verstorbene geehrt werden. Einen kurzen Fußmarsch von der Kirche steht die rustikale Holzbank vor einer atemberaubenden Bergkulisse. Kein Name ist darauf zu lesen, sondern ein Gedicht von Abbados Lieblingsdichter Hölderlin, dem er in seiner Berliner Zeit einen seiner Themenzyklen gewidmet hatte.

Kammermusik für Claudio soll es wieder geben

Auf engen Pfaden, die von Arven- und Lärchenbäumen gesäumt werden, spazierte der stille Gast im Fextal gelegentlich zum Waldhaus Sils, einem imposanten, schlossähnlichen Hotel mit Jahrhundertwende-Charme. Wo bereits Albert Einstein, Hermann Hesse, Richard Strauss und Theodor Adorno logierten, musiziert seit Jahrzehnten ein hauseigenes Trio für die Gäste. Im großen Salon, wo Abbado so gern Tee trank, habe er mit ihm sogar über ein Konzert seines Orchestra Mozart beim Engadin Festival sprechen können, verrät Intendant Jan Schultsz. Dazu sollte es aber nicht mehr kommen.

Obwohl der Dirigent in den letzten Jahren nicht mehr im Engadin auftrat, ist er dort vielen Menschen in Erinnerung geblieben. Vor dem Kammerkonzert, bei dem alle Mitwirkenden auf ihre Gage verzichteten, seien um die 500 Kartenbestellungen eingegangen, erzählt Schultsz. Doch nur ein Bruchteil der Interessierten habe in der Kirche Platz finden können. Diemut Poppen hat unterdessen bereits Pläne für weitere Konzerte. In die Jesus-Christus-Kirche, in der Abbado und sein Vorgänger Herbert von Karajan wegen der guten Akustik CDs mit den Philharmonikern einspielten, soll Anfang November 2016 wieder "Kammermusik für Claudio" erklingen.

Dank der Musiker wird er in Erinnerung bleiben

In Italien, wo Abbado nicht nur als Künstler, sondern auch wegen seines sozialen Engagements verehrt wird, hat das Festival Musica sull'Acqua in diesem Sommer an seine Liebe zur Natur erinnert. Seit zehn Jahren holt der künstlerische Leiter Francesco Senese, der auch als Geiger im Lucerne Festival Orchestra spielt, Freunde zu Kammerkonzerten an den Comer See. Nachwuchsförderung wird bei ihm ebenfalls großgeschrieben.

Ausnahmsweise einmal in Mailand, wo sich Abbado vor Jahren vergeblich für 90.000 neue Bäume einsetzte und jetzt die Expo für ökologische Nachhaltigkeit wirbt, erlebten Festivalbesucher kürzlich in dem ehemaligen Fabrikgebäude Hangar Bicocca die Uraufführung von "Concerto per alberi". In dem gleichnamige Bilderbuch von Laëtitia Devernay klettert ein Dirigent im Wald auf einen Baum, hebt den Taktstock und lässt Blätter zu der Musik wie Vogelschwärme durch die Lüfte fliegen. Abbado habe dieses Buch sehr geliebt und kurz vor seinem Tod den Mitgliedern des Orchestra Mozart geschenkt, sagt Senese. Komponiert wurde das Musikstück von dem venezolanischen Perkussionisten Félix Mendoza, einem Zögling der von Abbado unterstützten Jugendorchesterbewegung "El Sistema".

Auch die Fabrikhalle in Mailand wurde passenderweise in einen Wald verwandelt. An der Aufführung, für die der amerikanische Pantomime Tony Lopresti eine Choreografie geschrieben hat, beteiligten sich das Jugendorchester des Festivals und ein Kinder-Streicherensemble aus L'Aquila. In der Stadt in den Abruzzen hatten Abbado und das Orchestra Mozart nach dem verheerenden Erdbeben 2009 einen neuen Konzertsaal eingeweiht. Nicht nur wegen seiner herausragenden Konzerte wird Claudio Abbado der Welt in Erinnerung bleiben, sondern auch dank der Musiker, die sein künstlerisches Erbe mit neuem Leben erfüllen.

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