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Trio mit Gästen. Von links: Pianist Michael Wollny, Akkordeonist Vincent Peirani, Sopransaxofonist Emile Parisien, Bassist Christian Weber und Drummer Eric Schaefer.

© Christer Elnes

Geburtstagskonzert Michael Wollny: Wo der Wal schnaubt

Eine Jazzkarriere im Blitzrückblick: Der Pianist Michael Wollny feiert in der Philharmonie seinen 40. Geburtstag

Von Gregor Dotzauer

In einer idealen Welt ließe sich die Fremdheit zwischen Guillaume de Machaut und Prince, George Gershwin und Wolfgang Rihm mit einem Fingerschnipps auslöschen. Das wäre kein Plädoyer für unhistorisches Denken oder die Leugnung kultureller Differenz. Vielmehr würde gerade die Einsicht in die zeitliche und räumliche Bedingtheit von Musik die Ohren für das große Eine öffnen, das aus allen Richtungen umspielt wird. Aber auch im hiesigen Jammertal kann man es in der Kunst, die verschiedensten Einflüsse zu verschmelzen, ziemlich weit bringen.

Michael Wollnys Klavierspiel ist nicht zuletzt deshalb ein Faszinosum, weil es sich neben den vier genannten Musikern über alle Genregrenzen hinweg unzählige andere anverwandelt hat: Björk und Hindemith, Schubert und Skrjabin, Thelonious Monk und Keith Jarrett. Das Ergebnis ist in jenem weiten Sinne Jazz, in dem von einer derart atmenden, mit improvisierten Passagen durchsetzten Musik überhaupt nur als Jazz gesprochen werden kann. Einem Jazz, der sich auch in den auskomponierten und durcharrangierten Stücken so beweglich und lebendig hält, dass seinem Glühen selbst eine Art Greatest-Hits-Format, wie er es jetzt in der restlos ausverkauften Philharmonie in einem Konzert zu seinem 40. Geburtstag erprobte, nichts anhaben kann.

Wie wenig selbstverständlich das ist, zeigt sich sofort, wenn ein rein klassisch ausgebildetes Orchester wie das Norwegian Wind Ensemble, das eigentlich Det Norske Blåseensemble heißt, neben seiner Leidenschaft für Alte Musik neuerdings den Sprung ins Spontane sucht. „The Whiteness of the Whale“ heißt die Kompositionsskizze, die Wollny im Verbund mit den Norwegern und seinem fantastischen Trio, dem Schlagzeuger Eric Schaefer und dem Kontrabassisten Christian Weber, aus fragilen Anfängen in ein tosendes, unter heftigen Trommelschlägen erzitterndes Etwas verwandelt, bevor der blechglänzende Moby Dick wieder in ruhigere Gewässer eintaucht.

Det Norske Blåseensemble unter der Leitung von Geir Lysne, unterstützt von einem Kontrabassisten und einem opulent armierten Perkussionisten, schafft massiven Klanggrund und Kräuselung an der Oberfläche, Fläche und blitzendes Fragment. Die im Halbrund aufgestellten Musiker stoßen sich aus dem Stegreif zu rasch beschleunigenden Domino-Effekten an, instrumentale Untergruppen verbünden sich zu signalhaften Einwürfen.

Doch obwohl im Miteinander ein funkelndes Stück Musik entsteht, trennt Wollnys Trio und das Ensemble eine gar nicht so unsichtbare Demarkationslinie. Von der ganzen Körperspannung und Ausdrucksgestik her begegnen sich hier zwei Haltungen, unter denen es der zuchtvoll kontrollierten sehr viel schwerer fällt, sich spontan zu verausgaben, als es der bis zur unwillkürlichen Zuckung reichenden Improvisatorennatur gelingt, sich tonliche Disziplin zu verordnen.

Man muss das nicht romantisieren, weil die Grenzen jeder Musik zugleich deren Möglichkeiten bergen. Im Übrigen ist längst nicht ausgemacht, welche Gruppe am gesündesten lebt. Ob Michael Wollny das linke Bein anwinkelt und scheinbar minutenlang in der Luft hängen lässt oder der französische Sopransaxofonist Emile Parisien später charlestonartige Tänze vollführt, die seine instrumentalen Kaskaden nur bedingt spiegeln: Bei aller Entspanntheit, die sie sich grundsätzlich leisten, winkt auch da die Gefahr von Krampf und Aussicht auf den Orthopäden. Ergonomisch vorbildlich und von den Schulterblättern aufwärts auch bei heftigen Attacken nicht aus der Ruhe zu bringen sitzt nur Eric Schaefer hinter seinem Schlagzeug.

Die motorischen Ticks lassen sich von einem eigenwilligen Klangverständnis jedenfalls nicht trennen. Noch persönlicher als Parisien, der mit 35 Jahren jüngste Musiker des Abends, durch das Tenorsaxofon allerdings auch mit einem ganz anderen Fundament ausgestattet, der Auftritt des 85-jährigen Heinz Sauer. Wie er im Duo mit Wollny aus dem Thema von Gershwins „Summertime“ und „Nothing Compares 2 U“ eine erst in feinsten Obertönen kreischende, in großen Bögen um die Melodie schleichende und dann oktaventief bis ins Grunzen abstürzende Klangskulptur hinstellt, ist von unverwechselbarem Zauber. Wer wie Wollny von Beginn an mit solchen Musikern gespielt hat, weiß, was es heißt, an einem Personalstil zu arbeiten.

In mehreren Blöcken ließ Wollny so wichtige Stationen seines musikalischen Lebens Revue passieren: angefangen mit einer Solo-Hommage an seinen Würzburger Lehrer Chris Beier über das Duo mit dem Akkordeonisten Vincent Peirani und das mit dem Posaunisten Nils Landgren bis zur Trioarbeit und deren Erweiterung durch Solisten. Davon ließ sich auch das nicht unbedingt jazzaffine oder in zeitgenössischer Musik erfahrene Publikum begeistern, das Wollny allerdings nur in wenigen geräuschhaften Momenten herausforderte. Die Jugend ist dahin. Jetzt kann die Altersradikalität beginnen.

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