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Der chinesische Künstler Ai Weiwei

© epd

Gastprofessur an der UdK: Riesiges Interesse an Ai Weiweis Berlin-Premiere

Vor rappelvollem Saal tritt Ai Weiwei seine Gastprofessur an der Berliner UdK an. Am Begrüßungsabend erlebte das Publikum einen ebenso scheuen wie schlagfertigen Künstler.

Von Caroline Fetscher

Auch wenn man viel Erfahrung mit der Kunst habe, definieren könne man sie nicht, sagt Ai Weiwei auf den Wunsch, er möge eine  Definition geben. „Das ist wie mit dem Sex. Da habe ich auch viel Erfahrung, will ihn aber dennoch nicht definieren.“ Sagt Ai Weiwei.

Er erntet erfreutes Lachen aus dem Saal. Im Grunde, so der Eindruck, mag er überhaupt nicht gern vor mehr als tausend Leuten irgendetwas aus dem Stegreif definieren müssen. Schon gar nicht sein Fach, seine Sache, die Kunst. Die entsteht im Kopf und im Atelier, in freier Kommunikation mit der Welt, lässt sich die Botschaft lesen. Unter Druck und auf dem Präsentierteller, was soll man da sagen.

Ai Weiwei, Konzeptkünstler, Filmemacher, Regimekritiker, Umweltaktivist, saß 2011 an einem unbekannten Ort in Haft, als er zum Mitglied der Berliner Akademie der Künste ernannt wurde. Chinas Behörden warfen ihm unter anderem Steuerhinterziehung vor. Nach zwei Monaten Gefängnis durfte er vier Jahre lang nicht ausreisen.

Jetzt wird der 59-Jährige für drei Jahre in Berlin lehren und arbeiten, an der Universität der Künste (UdK). Hier tritt Chinas bekanntester Gegenwartskünstler die für ihn von der Einstein-Stiftung finanzierte Gastprofessur an. Seit 2011 war sie, in der Hoffnung auf sein Erscheinen, für ihn offengehalten worden.

Jetzt ist er da, jetzt wird er begrüßt. Am späten Sonntagnachmittag hatte die Fakultät für Ai – der erste Name ist in China der Familienname - ein Podium arrangiert: „Im Gespräch mit Ai Weiwei“. Um „die Kunst des Lehrens von Kunst“ werde es gehen, versprach Martin Rennert, Präsident der UdK in deren rappelvollem Konzertsaal am Bahnhof Zoo dem Publikum. 1250 Plätze soll der Saal haben (und ca. 16.000 weitere Menschen schauen per Livestream im Netz zu). Vor dem Eingang parken Polizeiwagen, ein paar Sicherheitsleute kümmern sich um den Schutz von Diplomaten, in den ersten Reihen tummeln sich muntere Berliner Kulturgrößen.

Ai Weiweis Geschichte aus dem Umerziehungslager

Am liebsten, so schien es, hätten sie gleich alle mit ihm auf dem Podium gesessen, die glücklichen Berliner Interims-Kollegen des weltberühmten Chinesen. Flankiert ist dieser von einem Kommunikationstheoretiker, einer Videokünstlerin, einem Philosophieprofessor und einem Choreographen und Tänzer. Neben sich hat er noch den sympathischen Dolmetscher sitzen, der Englisch und Chinesisch in sein Ohr flüstert. Ai selber spricht an dem Abend Englisch. Zur Kunst des Lehrens von Kunst kommt es dann kaum, doch die vier Impulsgeber auf der Bühne haben sich rührende Mühe damit gemacht, Ai Weiweis Lebensstationen wie in aktuellen Talkshows mit kleinen  Einspielern und per Powerpoint auf eine Großleinwand projizierten Fotografien symbolisch zu bebildern. Zugleich haben sie einige der abgebildeten Gegenstände physisch dabei, und pflanzen sie vor dem verwunderten Künstler auf. – einen kleinen Globus als Zitat für das Thema Reduktion oder Fülle, weniger oder mehr, zwei Getränkedosen in Anspielung auf Andy Warhol und Ai Weiweis Jahrzehnt als junger Mann in New York, wo er in dem Maler Sean Scully seinen ersten Lehrer fand. Ein Foto von Scully als junger Mann erscheint auf der Leinwand. Dann wird ein Ziegelstein vor ihn gestellt, ein hellroter Baustein. Was ihm das bedeute, was er dazu berichten könne? Ai, immer höflich und freundlich, erzählt wie erwartet die Geschichte davon, dass er im Alter von zehn solche Bauziegel hergestellt hat – in dem Laogai, dem Umerziehungslager, wo sein Vater Ai Qing während der verordneten  „Kulturrevolution“ in der Verbannung lebte, ein Schriftsteller, der Chinas Führung nicht passte. Der Vater war damals so alt wie Ai Weiwei heute, und körperliche Arbeit nicht gewohnt. 400 Steine pro Tag habe jeder dort produzieren müssen. Einen Teil der Arbeit hatte der Sohn damals für den Vater übernommen – und tut es auf seine Weise wohl bis heute. Daher kenne er alles, den Schlamm, den Staub, das Schleppen, das Brennen der Steine, das Abkühlenlassen, alles. Architektur habe er gar nicht studieren müssen, Häuserbauen sei ihm so von der Hand gegangen. „Etwa sechzig Häuser habe ich gebaut.“

Ai Weiwei ist dankbar für die Chance in Berlin zu sein

Als erstes baute er sein eigenes Studio. Doch so minimalistisch sein Studio auch sei, funktional und klein, er habe auch ein großer Lagerhaus für seine Arbeiten und das Material, räumt der Künstler ein – soviel zu „weniger ist mehr“. Das Foto einer Ziegelwand aus unregelmäßigen Steinen und Fehlbränden erscheint auf der Leinwand: Die Innenmauer seines Studios in Beijing. Aus dem Erleben von Verbannung und Marginalisierung hat Ai Weiwei eine produktive Umkehrung gemacht, aus dem Zwang, Ziegel zu brennen, die Lust am Bauen. Politisches Umkrempeln – so ließe sich sein Verfahren vielleicht nennen, entwickelt ohne Bitterkeit und in einer staunenswerten Mischung aus Langmut und Dynamik.     Fragmente seiner Lebensgeschichte werden dem Mann entlockt, nahezu abgepresst, der indirekt zu verstehen gibt, dass ihm das hier nicht leicht fällt, dass Podien nicht seine Präferenz sind. Er ist dankbar für die Chance in Berlin zu sein, ja. Aus hundert Bewerbern unter den Studenten hat er sich sechzehn ausgewählt, die seine Klasse bilden. Wer von ihm Tricks erfahren wollte, wie man sich am Kunstmarkt zu etablieren, wer auf Geld aus war oder auf Erfolg, den hat er abgewiesen. Bald will er sehen, wie sich das Potential der Studenten „ausgraben lässt.“ Wie will Professor Ai das anstellen?

Mehrmals folgt langes Schweigen mit geneigtem Kopf und auf solche konkreten Fragen. „Es ist sehr neu für mich, in Deutschland zu sein“, sagt er auf die Frage nach der Lehre. „Es ist eine große Überraschung, das Publikum hier zu sehen, und ihm meinen Plan sagen zu sollen.“ Er ergänzt gleich, dass er es „eine sehr offene und demokratische Veranstaltung“ findet. Aber genau erklären, was er denn vorhat, das kann er doch noch nicht. Das wird sich im Prozess ergeben. Zum Lernen und Menschsein äußert Ai den guten Satz: "Jedesmal, wenn ich meinen kleinen Sohn ermahnen muss, irgendetwas nicht anzufassen, irgendetwas zu unterlassen, bedauere ich das."  Konventionen sind  nunmal Teil der Welt, und auch er, sagt Ai Weiwei verschmitzt, müsse sich ja an einem Abend wie diesem gut betragen. 

Die UdK wirkt ein bisschen überfordert

Ein paar Szenen aus Bewerbungsgesprächen werden auf die Leinwand geworfen, einige Minuten lang. In einem kahlen, funktionalen Raum sitzen Studenten einzeln vor dem bärtigen Meister am Tisch. Er, in eine Art edlen Blaumann gekleidet, trägt an den Füßen dieselben Espadrilles ohne Socken, wie heute Abend, und beobachtet, betrachtet, fragt. Er fragt sie, was sie wollen, wie sie elektronisch kommunizieren, ob sie Twitter kennen, Instagram, wo sie hinwollen und warum. Mal sitzt er kerzengerade vorne auf der Stuhlkante, die Handflächen auf die Oberschenkel gelegt, mal lehnt er sich lässig zurück, die Hände in den Hosentaschen. Mit dem Smartphone macht er nebenbei Fotos der Kandidaten – in den vergangenen Jahren hat der passionierte Alltagsdokumentarist 750 000 Fotos geschossen. Die Szenen im Bewerbungsraum strahlen hohe Konzentration und verhaltene Heiterkeit aus, sie sind schön. Man kann sich vorstellen, dass auch die Abgelehnten die halbe Stunde oder Stunde mit Ai intensiv in Erinnerung behalten. Man wünscht sich einen ganzen Dokumentarfilm aus dem Material, und der Applaus ist vermutlich an keinem Moment des Nachmittags und Abends stärker als nach diesen Bildern. Zu Flucht und Migration, einem zentralen Thema für seine Klasse, wie Ai Weiwei im Vorfeld angekündigt hat, fehlt auf dem Podium jede Frage. Der Künstler selber spricht es auch nicht an. Dafür fragt ihn etwa der Choreograph, ob er mit den Studierenden Exkursionen machen wolle, Ausflüge? Und wenn ja, wohin, wenn es finanziell keine Beschränkung gäbe? Rauszukommen aus dem Atelier sei immer gut, so in der Art antwortet Ai. Und ob er denn schon einen Berliner Flohmarkt besucht habe, da er doch alte Gegenstände so mag? Ja, er ist schon auf einem Flohmarkt gewesen, heute Morgen sogar. Das Publikum lacht erleichtert. So ganz klar scheint keinem, in welche Richtung „Im Gespräch mit Ai Weiwei“ nehmen sollte, weder dem Künstler noch seinen Zuspielern auf dem Podium, noch den vielen im Saal. Ein bisschen überfordert wirkt die Universität der Künste im Umgang mit dem neuen Kollegen. Kennenlernen, Security, Dolmetschen, ausgebuchtes Haus, Gästeliste, Begehrlichkeiten, Inhalte, Politik, Kunst – wie soll das auch alles in zwei Stunden unter einen Hut. Nach Ais Verhältnis „zu Ethik und Ästhetik“ fragt am Ende eine Studentin in kaum zu verstehendem Englisch. Ai antwortet knapp, für Ethik gebe es Rahmen und Normen, für Ästhetik weniger. Soviel ist klar geworden: Ai Weiwei will im Moment keine Vorträge halten, er will auch nicht die Sphinx der Kunstwelt sein, sondern ankommen und arbeiten. Zu beidem braucht es kein Publikum. Sehen wollen ihn aber eben doch alle. Jetzt hat Berlin das fürs erste bekommen.     

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