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Himmelwärts. Rebecca Horns „Turm der Namenlosen“ (1994), hier installiert in einem Stiegenhaus am Wiener Naschmarkt, reflektiert die Ängste der Geflüchteten während des Balkankriegs.

© Courtesy die Künstlerin/Galerie Thomas Schulte, VG Bildkunst, Bonn 2021

Gallery Weekend in Berlin: Bei Rebecca Horn wird das Poetische politisch

Hämmerchen, Geigen, Stöckelschuhe: Zum Gallery Weekend ist die große Künstlerin Rebecca Horn endlich wieder mit einer Ausstellung in der Stadt zu sehen.

Es ist ein starker, geräuschvoller Auftritt. Geigen fiedeln kakofonisch. Abrupter Trommelwirbel gibt militärischen Takt vor. Nebenan kracht ein Felsbrocken am Seil von der Decke. Dann herrscht wieder Stille. Rebecca Horns Installationen und romantische Maschinen schaffen gespannte Präsenz. Manchmal reichen dafür feinste Mittel.

Der Flügelschlag eines Schmetterlings holt das Blau des Himmels in den Ausstellungsraum der Galerie Thomas Schulte. Nur im Augenwinkel blitzt die Bewegung auf, für einen Moment. Es ist eine Installation im Miniaturformat, angetrieben wird von Poesie und einem winzigen Industriemotor.

Rebecca Horns oft raumgreifende, oder handlich in Objektkästen gesperrte Arbeiten sind zugänglich für Betrachterphantasien, zutraulich geradezu. Sie rühren an das geheime Reservoire an Erinnerungen, Empfindungen und Erfahrungen, die jeder in sich trägt.

Ihre Poesie ist die von Alltagsgegenständen, die zum Leben erwachen. Berühmt wurde Horns „Pfauenmaschine“, die sich 1982 auf der Documenta 7 berückend schön auffächerte, aber auch gefährlich war. Denn das mechanische Gefieder bestand aus nadelspitzen Metallstacheln.

Vor genau 30 Jahren startete Thomas Schulte in Berlin mit einer Soloschau der Künstlerin, damals noch in Charlottenburg mit seinem Galeriepartner Eric Franck. Der zur Premiere gezeigte „Chor der Heuschrecken“ aus kopfüber hängenden, alten Schreibmaschinen landete, vom Fleck weg angekauft, in der Hamburger Kunsthalle. Jetzt zum Gallery Weekend bringt der Galerist Horn mit einer fulminanten Werkauswahl zurück in die Stadt, wo sie lange lebte, lehrte und wichtige Ausstellungen hatte.

Am Beginn des Schaffens stand eine Körpererfahrung

Horns medienübergreifendes Oeuvre entwickelte sich von Anfang mit bemerkenswerter Konsequenz. Als Meisterin einer Objektkunst, die im Surrealismus wurzelt, Impulse von Fluxus und Konzeptkunst aufgriff, ist sie international in den großen Museen angekommen, eine der wichtigsten deutschen Künstlerinnen weltweit. An Meret Oppenheims berühmter Pelztasse hat sie gründlich genippt. Aber am Beginn ihres Schaffens stand eine Körpererfahrung.

Als junge Kunststudentin hantierte Horn in den 60er Jahren mit Fiberglas. Die giftigen Dämpfe ruinierten ihre Lunge, ein Jahr war sie im Sanatorium eingesperrt. In der Isolation begann sie, eigentümliche Extensionen zum Ertasten des Raumes zu ersinnen: ein Versuch der Kontaktaufnahme.

[Galerie Thomas Schulte, Charlottenstr. 24, bis 26. 6.; Di–Sa–18 Uhr.]

Ihre in Kurzfilmen festgehaltenen Performances erregten Aufsehen, es war der Karrierestart. „Mit beiden Händen zugleich die Wände berühren“ heißt eine dieser Aktionen, eine andere schlicht „Einhorn“. Ein Wortspiel mit dem eigenen Namen? Darin schreitet die Künstlerin durch ein Kornfeld, ein Horn auf den Kopf geschnallt, am unbekleideten Leib trägt sie Bandagen, fixiert wie ein Korsett. Später ließ sie statt ihres eigenen Körpers Maschinen agieren.

Den Einstand gab 1978 ein Tisch, der in dem in New York gedrehten Film „Der Eintänzer“ selbstvergessen im Tango übers Parkett gleitet. Oft verhalten sich die elektrifizierten Apparate Rebecca Horns wie Menschen, mal ängstlich, mal aggressiv, verletzlich oder nervös. Libido ist ihnen nicht fremd. Begehrlich nähern sich elektrisch geladene Pole, Funken blitzen, Entladung folgt. Wenn glänzende Messer motorgetrieben in die weichen Puschel männlich konnotierter Rasierpinsel tauchen, scheinen Geschlechterstereotype aufgehoben. Zumindest wird ironisch an ihnen gekitzelt.

Horn lebt zurückgezogen in der Region Odenwald

In Berlin war Rebecca Horn lange nicht mit einer größeren Ausstellung präsent. Zuletzt bespielte sie 2006 mit ihren „Bodylandscapes“ den Gropius Bau. Die zentrale Lichthofinstallation aus Spiegeln und Tönen erlebte Jahre später eine Auferstehung in der sakralen Aura der Hedwigskathedrale. Noch gut in Erinnerung ist ihre Werkschau 1994 in der Neuen Nationalgalerie.

Damals war die 1944 im Odenwald geborene Künstlerin bereits international anerkannt und lehrte als Professorin an der Berliner Hochschule der Künste. Zehn Jahre hatte sie nach ihrem Studium in New York gelebt, bevor es sie nach Berlin zog. Viermal war sie auf der Documenta vertreten, bekam als erste Frau eine Soloschau im Guggenheim Museum.

Mittlerweile lebt die Künstlerin, nach einem Schlaganfall, zurückgezogen in ihrer Heimatregion Odenwald. „Sie geht jeden Tag in ihr Studio“, erzählt Galerist Schulte, „und setzt dort mit einem ihr seit 25 Jahren eng vertrauten technischen Assistenten ihre Ideen um.“ Einige jüngere Arbeiten sind jetzt zu sehen. „Die Neuerscheinung“ von 2019 lugt mit dem gläsernem Doppelblick eines langsam kreisenden Fernglases in den Raum, ein unbehagliches Objekt.

Horn erhält einen besonderes Platz im Museum des 20. Jahrhunderts

Ferngläser gehören wie Metronome, Stöckelschuhe, Bettgestelle, Hämmerchen und Geigen seit Langem zu Horns Instrumentarium. Ortsbezogen orchestrierte sie diese Markenzeichen immer wieder neu. So 1990, als sie in der Umbruchphase nach der Maueröffnung mit Heiner Müller und Jannis Kounellis die Ausstellung „Die Endlichkeit der Freiheit“ im Berliner Stadtraum organisierte. In einem verwahrlosten Keller an der Stresemannstraße, nahe am Todesstreifen und dem noch unbebauten Potsdamer Platz, schuf sie den „Raum des verwundeten Affen“.

Eine vorgefundene Schneidemaschine aus tonnenschwerem Gusseisen bildete den Hauptakteur im Ballett der Dinge, das seismographisch auf das Spannungsfeld zwischen Ost und West reagierte. Künftig soll diese Installation im neuen Museum des 20. Jahrhunderts ihren Platz finden. „Das Ensemble wird in enger Absprache mit der Künstlerin behutsam reinszeniert“, sagt Nationalgalerie-Kuratorin Uta Caspary. Damit erhält Horn, wie Joseph Beuys, Gerhard Richter, Sarah Morris und Bill Viola, einen der „Ankerräume“ im ansonsten auf Wechsel ausgerichteten Parcours.

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Dass die Künstlerin mit Schulte wieder einen Galeristen in Deutschland hat, war lange nicht abzusehen. Sie hatte sich zwischenzeitlich an andere, etwa Marian Goodman in New York gebunden. Zum Gallery Weekend trumpft Schulte mit museumsreifen Werken auf. Alle sind erstmals in Berlin präsent.

Im neun Meter hohen Eckraum der Galerie verkeilen sich lange Holzleitern zum luftigen „Turm der Namenlosen“, bestückt mit mechanischen Geigen. Das himmelstrebende Gebilde weckt Fluchtfan tasien, reflektiert Todesangst. Die Arbeit wurde 1994 vom Flüchtlingsstrom des Balkankriegs inspiriert. Jetzt gewinnt sie neue Aktualität. Die zweite große Rauminstallation „Bee’s Planetary Map“ (1998) entstand als Teil von Horns „Konzert für Buchenwald“. Die verlassenen Bienenkörbe sprechen von der Sehnsucht nach Behausung, von Vernichtung. Auch hier gilt: Das Poetische ist politisch.

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