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Gallery Weekend: Axel Haubrok: Heiße Luft, frische Luft

Pief und Ordnungsliebe: Axel Haubroks sucht in der Fahrbereitschaft die „BRD“ im Osten.

Lichtenberg ist irgendwie ein unübersichtlicher Bezirk, die Orientierung fällt nicht leicht. Aber dafür gibt es das Gallery Weekend. Man gelangt an Orte, die man gar nicht oder wenig kennt, und wiederum an andere Adressen, die man zu kennen glaubt und die mit einem Mal ganz anders sind, verwandelt durch Künstler und Galerien. Gallery Weekend ist Gentrification Weekend. Wobei die Erfahrung zeigt, dass viele Quartiere in Berlin groß und widerständig genug sind, um den ersten Ansturm abzuwehren.

Die Herzbergstraße führt durch ein ausgedehntes Industriegebiet. Hier ist eindeutig Osten, nicht nur wegen der Plattenbauten am westlichen Ende der Straße. Man spürt die Weite, die kalte russische Ebene bis zum Pazifik. Oder verwirrt das Dong Xuan Center die Sinne, jene kilometerlangen Hallen mit Kleiderständern, Taschenbergen, Nagelstudios, Lebensmittelbuden, Schuhlagern, Plastikblumen, Tattoo-Studios, Handy- und Computershops in der Lichtenberger Asiatown? Vietnamesen, Chinesen machen hier Geschäfte, etliches steht in kyrillischen Buchstaben angeschrieben. Und weil es billig ist, kommen die Deutschen hierher zum Frisör und zum Einkaufen. Nachwende-Schnellarchitektur, seelenlose Warenwelt, ein Ort ohne Historie, globales Dorfgefühl.

Nicht weit entfernt vom Dong Xuan, auf der anderen Straßenseite, gibt es dafür umso mehr von jenem Berliner Rohstoff, der sich Geschichte nennt. Die Fahrbereitschaft war in der DDR ein No-go-Ort. Dort parkten die Wagen, die bei Staatsbesuchen und dergleichen westliche Besucher durch die Hauptstadt der DDR fuhren. Wer hier arbeitete, hatte Kontakte und Devisen, war Objekt der Beobachtung. Garagen, Werkstätten, Kegelbahn, Casino, alles vorhanden, immer noch.

Was kann Kunst sein?

Vor gut drei Jahren hat das Kunstsammlerpaar Axel und Barbara Haubrok das Gelände gekauft. 19 000 Quadratmeter DDR, bis ins Detail. Lampen, Fenster aus Glasverschnitt, braune Linoleumböden. Axel Haubrok, ehemals Unternehmensberater, hat die Fahrbereitschaft erworben und weiterentwickelt. Siebzig Mietparteien gehören zu der bunten Mischung, vom Arbeiter-Samariter-Bund bis zur Autolackiererei. Dazu viel neues kreatives Gewerbe, Künstlerateliers und die Haubrok Foundation. Zum Gallery Weekend eröffnet sie eine Ausstellung mit dem Titel „BRD“.

Die Haubroks kommen aus Westfalen. Ihre Sammlung, gut tausend Objekte inzwischen, besteht aus Konzeptkunst, alles recht minimal. Es ist eine Kunst, die entweder keine ist oder sein will. Oder die Frage stellt, was Kunst sein kann. Das gefällt Axel Haubrok, das findet er aufregend. Ein paar alte Schwarz-Weiß-Fotografien einer Düsseldorfer Straßenecke, irgendwann in den Siebzigern: Ist das schon Bundesrepublik? Eine Arbeit von Hans-Peter Feldmann, sagt Haubrok stolz. Tobias Rehberger hat Sachen aus dem Kinderzimmer gezeichnet. Eine Installation mit Raufasertapete, ein Kissen auf einem Podest, in einem anderen Raum ein paar Bretter, ein Betonklotz mit Plastikvulva (Gregor Schneider! Biennale Venedig!). Axel Haubrok liebt dieses intellektuelle Spiel mit Leere und Bedeutung.

Es macht Spaß, mit ihm durch die Räume in der Fahrbereitschaft zu gehen. BRD? Bundesrepublik? Westdeutschland? Auch das erinnert an eine Spielanordnung, nicht allzu ernst – westdeutsche Künstler an einem Ort, wo die DDR Westen gespielt hat. Haubrok kauft Ideen, wenn er Kunst sammelt. Ideen, die es natürlich nicht exklusiv gibt. Oder umgekehrt: Er kauft Kunst und sammelt Ideen. Er ist unter den Sammlern das, was Tino Sehgal (den er auch besitzt, obwohl man Sehgal ja gar nicht besitzen kann, denn er verkauft Gebrauchsanweisungen, Gesten und Bewegungen) bei den Künstlern ist: einer, der des Kaisers neue Kleider neu bestellt, der Luft erwirbt und ausstellt. Heiße Luft, frische Luft. Haubrok versteht den Spaß, den die zeitgenössische Kunst mit dem Betrachter treibt, mit dem Sammler umso mehr.

BRD, das war Ost-Sprech

Der Nachteil: Viele Arbeiten funktionieren nur mit Erläuterung. Im vergangenen Jahr brachten die Haubroks einige Stücke ihrer Sammlung ins Hebbel am Ufer, stellten sie auf die Bühne und in den Zuschauerraum – und Axel Haubrok stellte sich dazu, als Guide und unermüdlicher Erklärer, begeistert wie ein kleiner Junge. Euphorisch, wie es nur ein 65-jähriger kleiner Junge sein kann.

Für die „BRD“-Schau hat er Autoaufkleber drucken lassen. Drei schwarze Großbuchstaben im schwarzen Oval. Sieht offiziell aus, war aber damals verpönt im Westen. BRD, das war Ost-Sprech. BRD, das sagten die Linken in der Bundesrepublik Deutschland. Und was ergibt BRD plus DDR? D?

So komisch und verspielt läuft es nicht überall in der Herzbergstraße 40–43. In der Einfahrt prangen Plakate von Klaus Staeck, die siebziger Jahre usw. Waldsterben. Arbeiter und ihre Villen, die Klassiker. Im Pförtnerhaus ein Foto von Ulrike Meinhof, noch sehr jung, eine Edition von Gerhard Richter. Und eine Malerei von Johannes Wohnseifer mit dem Namen „Gudrun“. Man fühlt sich unbehaglich. In den Achtzigern hauten RAF-Leute in den Osten ab, wurden von der Stasi mit neuen Identitäten ausgestattet. Fahrbereitschaft, das klingt schon sehr deutsch. BRDDR?

Von Axel Haubrok kann man lernen, Kunst zu mögen

„Die Auswahl ist sehr subjektiv und keineswegs vollständig, nicht zuletzt auch davon geprägt, welche Arbeiten in der Sammlung sind“, sagt Axel Haubrok: „Meine Themen sind die schleppende Aufarbeitung der Nazi-Zeit, die Geldgier und Konsumwut, der Pief und die Ordnungsliebe dieser Zeit.“ Das Ehepaar Haubrok hat sich die Ausstellung ausgedacht. „Pief und Ordnungsliebe“, das vermittelt sich aus diesem BRD-Bestand sogleich. Gilt aber genauso für die DDR. Der Kasten für die Autoschlüssel im Pförtnerhaus – man wirft sie ein, und jemand anders hat die Schlüssel, um sie herauszuholen – ist ein originales Kunstwerk, Ordnungsdenkmal für sich.

Plötzlich drückt die Sonne die Wolken weg, Axel Haubrok strahlt beim Gang über das betriebsame Gelände. Im hinteren Teil wird er ein Gebäude errichten, einen „Riegel“, und vorn, an der Herzbergstraße, eine „Kunsthalle“ mit 625 Quadratmeter Fläche. Entworfen von Arno Brandlhuber, den man einen dezidiert politischen Architekten nennen kann und der es versteht, mit dem Vorhandenen virtuos umzugehen, wie sein Entwurf für das Flughafengebäude Tempelhof gezeigt hat.

Das Schöne im Gespräch mit Axel Haubrok: Er lässt sich gern forttragen von seiner Begeisterung, und er kommt komplett ohne den verdrehten und medizinalen Kuratoren-Sprech aus, der einem beim Gallery Weekend und auf Biennalen ständig begegnet. Bei Axel Haubrok kann man lernen, Kunst zu mögen, die man eigentlich nicht mag, und Dinge zu begreifen, die einem erst einmal nichts sagen.

Im Grunde läuft es im großen Geldgeschäft nicht anders. Man braucht gute Laune und muss daran glauben. Konzeptkunst, conceptual art, ein US-amerikanisches Produkt der sechziger Jahre, ist eben rein kapitalistische Kunst, eine Aktie, ausgegeben von dem unkontrollierbaren Unternehmen namens Wirklichkeit. Wenn man sich Konzeptkunst nähert, egal ob man sie banal findet oder sie sich fröhlich nahebringen lässt, dann ist man ein Teil davon, mittendrin im Konzept.

„BRD“ in der Haubrok Foundation, Fahrbereitschaft, Herzbergstraße 40–43, Berlin-Lichtenberg. Öffnungszeiten während des Gallery Weekends 12–18 Uhr. Sonst nach Anmeldung info@haubrok.org.

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