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Detail der Arbeit „Absent Touch“.

© Galerie Carlier Gebauer

Galerie Carlier Gebauer: Die feine Horrorshow

Eine imaginäre Tour durch die Installation des Künstlerduos Pakui Hardware in der Galerie Carlier Gebauer.

Unter „Hardware“ versteht man bekanntlich die buchstäblich harten Bestandteile eines Computers – eben alles, was nicht Software ist. Andererseits gab es den Begriff im Englischen lange vor den elektronische Rechenmaschinen und ist der „hardware store“ nichts anderes als ein schnöder Baumarkt. Der hat zwar so ziemlich alles – wahrscheinlich sogar Hauptplatinen und Massenspeicher. Man findet sie nur nicht und mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mal jemanden, den man fragen kann. Abgesehen davon, dass man unter den aktuellen Bedingungen gar nicht erst in den Baumarkt hineinkommt.

Ob sich das auf die Kunstproduktion auswirkt? Manche Künstler sollen ja gute Kunden in Baumärkten sein. Nun hat es diesmal auch die Galerien erwischt, die ihrem Selbstverständnis als Kunstvermittler gemäß zwar nie Einzelhändler sein wollten, es aber rein rechtlich gesehen sind und deshalb im November noch öffnen durften. Damit ist jetzt Schluss. Bei den einen, Max Hetzler etwa, muss man seinen Besuch nun anmelden. Andere verlängern schon mal ihre Ausstellungen in der Hoffnung auf Wiedereröffnung nach dem 10. Januar. Und sie laden, wie schon beim ersten Shutdown im Frühjahr, zu virtuellen Rundgängen. So Carlier Gebauer mit der Ausstellung „Absent Touch“ von Pakui Hardware. Mit dem Namensbestandteil „Pakui“ hat es natürlich etwas auf sich – aber der Galerist Ulrich Gebauer kann so aus dem Stegreif auch nicht sagen, was. Es hat wohl weniger mit dem ehemaligen nordkoreanischen Außenminister Pak Ui-chun zu tun als mit einer hawaiianischen Fruchtbarkeitsgöttin und ihrem Diener. Und Hardware ist heute auch kein so eindeutiger Begriff mehr, siehe oben.

Sind das Organe aus Glas?

Die drei filigranen Arme aus Stahl mit ihren jeweils vier Gelenken an einem komplexen System von Stahlseilen sehen eigentlich zu sehr nach Hightech aus, um aus dem Baumarkt-Sortiment zusammengeschraubt zu sein. Die tellergroßen, nun eher kunsthandwerklich und organisch anmutenden Glasplatten in Blau- und Gelbtönen an ihren Enden wiederum schweben über drei Operationstischen. Darauf sind schwarzbraune wie fleischfarbene Textilien drapiert und darüber jeweils eine amorph verformte Kunststoffschale (gibt es in jedem Baumarkt) und sehr organisch anmutende Glasobjekte, einmal farblos, zweimal orange. Es könnte sich um Nachbildungen von Organen handeln. Oder auch um bei der Herstellung von edlem Muranoglas angefallene Abfälle. Aber das sind nur vage Annäherungen – bestimmt trifft nichts davon zu.

So undefinierbar, so uneindeutig die Installation ist – so zahlreich und disparat sind die Assoziationen. Wer gerne Filme guckt, könnte sich an den Michael-Crichton-Thriller „Coma“ (1978) erinnert fühlen: an die waagerecht an dünnen Drähten von der Decke hängenden, mit UV-Licht angestrahlten Koma-Patienten, die nur deshalb ins Koma versetzt wurden, damit kriminelle Ärzte sich ihrer Organe bedienen können… Von Künstlicher Intelligenz gesteuerte Roboterchirurgie und virtuelle Pflege – ob das einmal so aussehen wird?

Die Installation wirkt beunruhigend

In scheinbar unauflösbarem Widerspruch zur kalt-technoiden Anmutung in der gleißend hellen Galerie steht die auch irgendwie archaische Wirkung der Installation. Die gezeigten Formen lassen an schamanische Rituale, indigene Mythologie, an aufgebahrte Tote einer heiligen Stätte denken – wie in Sydney Pollacks Trapper-Western „Jeremiah Johnson“ (1972): Johnson, gespielt von Robert Redford, wird von einer Kavallerie-Einheit gedrängt, sie durch heilige Städten der Crows zu führen, vorbei an den aufgebahrten Toten. Die Crows vergelten diese Missachtung, indem sie Johnsons Patchwork-Familie töten. Johnson tötet daraufhin viele von ihnen …

Soviel an Gemeinsamkeit lässt sich konstatieren: Die Film-Assoziationen – auch die an das Gelege mit Eiern im ersten „Alien“, an die im Kälteschlaf befindliche Raumschiffbesatzung im selben Teil – sind doch alle sehr beunruhigend, bedrohlich. Der Pressetext zur Schau erklärt die Wirkung der Kunst von Pakui Hardware als eine Form der Initiation: „Inspiriert von Philosophien wie dem Neuen Materialismus, dem Biokapitalismus und der Nekropolitik und in enger Zusammenarbeit mit wissenschaftlicher und technologischer Forschung, führen ihre skulpturalen Installationen den Betrachter seither in Ökosysteme ein, die entstehende Sinnesmuster verstärken, indem sie die Formen abstrahieren, die diese normalerweise vermitteln.“

Ein Künstler-Duo aus Litauen

Alles klar?! Nein? Sie, das sind jedenfalls die 1977 und 1984 in Litauen geborenen Ugnius Gelguda und Neringa Cerniauskaité, die seit sechs Jahren gemeinsam ausstellen – etwa im Museum der bildenden Künste Leipzig oder im Wiener Mumok. Ulrich Gebauer ist in Madrid auf sie aufmerksam geworden, am zweiten Standort der Galerie. Mit der Berliner Schau, der ersten von Pakui Hardware bei Carlier Gebauer, sollte eigentlich eine zeitgleiche Ausstellung im Baltic Centre for Contemporary Art im englischen Gateshead korrelieren. Dort will man, nach derzeitigem Stand, die Tore Anfang 2021 wieder öffnen.

Einstweilen muss der Kunstgenuss im virtuellen Raum stattfinden. Besser als nichts – aber die beschriebene spezifische Wirkung, die Beunruhigung, all die Assoziationen wollen sich dort nicht einstellen. Die Kunst von Pakui Hardware muss vor Ort erfahren werden. Sie kann auch gekauft werden. Die Installation kostet dann 38 700 Euro, begleitende Fotografien (in Fünferauflage) gibt es für 6000 Euro.

Carlier Gebauer. Markgrafenstr. 67; bis 23. Januar (oder länger). www.carliergebauer.com/exhibitions/absent_touch)

Jens Müller

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