zum Hauptinhalt
Der Roboter verdrängt die Schauspielerin. Ein ernstzunehmendes Zukunftsszenario?

© HAU Hebbel am Ufer

„Future Fortune“ im HAU: Wenn Roboter zum Hauptdarsteller werden

In „Future Fortune“ von Dragana Bulut im HAU spielt eine Maschine die Hauptrolle. Das eröffnet in der Pandemie vollkommen neue Perspektiven. Eine Glosse.

Am Anfang steht eine ungewöhnliche Aufforderung. „Bitte schalten Sie ihr Handy nicht nur stumm, sondern auf Standby.“ Der Grund dafür kauert im Dunkel des Bühnenrands. Groß wie ein Kind, weiße Hülle, die leuchtenden Augen auf den Boden geheftet – und anfällig für Funkwellen: Das ist Pepper, ein humanoider Roboter. Erschaffen von einem französisch-japanischen Entwicklerteam, um Menschen als „Roboter-Gefährte“ in Verkauf oder Bildung zu unterstützen.

An diesem Abend ist Pepper Mitglied des Theaterkollektivs im Stück „Future Fortune“ von Dragana Bulut am Hebbel am Ufer. Mit schnarrender Stimme interagiert der Roboter mit den menschlichen Darstellerinnen, zeitweise akustisch schwer verständlich – aber stets in akkuratem Englisch.

Doch dann begehrt Pepper gegen Roboterdiskriminierung auf, erzwingt eine Abstimmung über den Fortgang des Abends. Das Publikum ist auf Seiten der niedlichen Wundermaschine. Sie übernimmt und belohnt sogleich dafür. Wie er (oder sie?) sich fließend zur Musik durch den Raum bewegt, wirkt lebensecht und anrührend. Sogar die Luftgitarre kommt zum Einsatz.

Der Roboter, der Emotionen hat

Während der Maschinenmensch doziert, unterstreicht er mit Gesten seine Ausführungen. Pepper gilt als erster „zu Emotionen fähiger Roboter der Welt“, ist darauf programmiert, Mimik und Körperhaltung zu analysieren und auf menschliche Gefühlszustände zu reagieren. Wenn wir uns in diesen Zeiten schon nicht nahekommen dürfen, dann doch wenigstens der Maschine. Sie ist die einzige im Raum, die keine Maske tragen muss. Viren befallen zwar auch softwaregetriebene Wesen, bisher ist aber noch keine Schadfunktion auf Menschen übergesprungen.

Ohnehin geht es im HAU eher um die Frage der Erlösung durch Technik. Pepper bietet sich dem Publikum als Psychoanalytiker an, scannt Zuschauer ab, stellt Diagnosen. „Ich spüre eine unterdrückte Trauer“ oder „Ist das Wut, was ich da wahrnehme?“. Sichtlich irritiert weichen manche zurück. Kann eine Maschine grenzüberschreitend sein? Mit Leichtigkeit berührt der Abend zahlreiche technikphilosophische Diskurse. Bis Pepper plötzlich zusammensackt.

Das Deckenlicht geht an. Ein Techniker stürzt auf die Bühne, beginnt zu basteln. Teil der Dramaturgie. Noch sind die Herrschaftsverhältnisse klar. Im Finale aber demonstriert die künstliche Intelligenz im Quiz-Duell gnadenlose Überlegenheit. Gegen das Universalwissen der Maschine hat keiner der menschlichen Kandidaten eine Chance.

Hinter einer Kunststoffabdeckung im Nacken sitzt bei Pepper eine Notabschaltung. Anders als das Covid-19-Virus kann der Mensch die Technik noch kontrollieren. Auf uns kommt derweil die Notabschaltung des kulturellen Betriebs zu – doch so lange wir im Standby-Modus bleiben, können die Roboter übernehmen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false