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Symbolbild für Verzicht.

© Getty Images/iStockphoto; Montage: TSP

Fußballgucken, Insta, Selbstsucht: Was wir getrost aufgeben können

Frühjahr des Verzichts: Ob in der Fastenzeit oder notgedrungen wegen des Coronavirus: Unsere Autorinnen und Autoren offenbaren, was sie bleibenlassen.

FUSSBALLGUCKEN

Neulich fiel mir im Kulturkaufhaus ein Buch in die Hände: „Der Beziehungsretter – wie Sie einfach überraschende Lösungen finden“. Nicht, dass Sie auf falsche Gedanken kommen. In meiner Ehe läuft es so weit recht gut. Okay, es könnte manchmal ein bisschen wilder oder unberechenbarer zugehen, wie in der fabelhaften britischen Serie „Fleabag“. Was tun? Ein Ratschlag, den solche „Beziehungsretter“ öfters bringen, lautet: ins Gespräch kommen, gemeinsame Dinge tun, Mauern einreißen.

Eine sehr hohe Mauer sind die Spielpläne, die die Fußballverbände DFB, DFL und Uefa in diesen Wochen vorsehen: Ein Fernseh-Livespiel nach dem anderen. Mittwoch, Samstag, Mittwoch, Samstag, Mittwoch, Samstag, dazu noch die „Sportschau“. Das alles bis weit über Ostern hinaus. Fußball im Übermaß. Gespräche zu Hause gleich null. Überraschungen? Vielleicht, aber nicht für meine Frau. Ich habe ihr nun versprochen, auf das eine oder andere Spiel oder zumindest mal auf die „Sportschau“ zu verzichten. Wir gucken dann „Fleabag“. Und reden drüber. Markus Ehrenberg

INSTAGRAM

Es beginnt am Morgen. Handy in die Hand, Wecker aus, Instagram auf. Maria reist durch Afrika, Anna trinkt Flat White, Tim fährt schon wieder Ski. Aus fünf Minuten werden zehn. Jetzt aufstehen, arbeiten, funktionieren? Kann man nicht Ski fahren? Kann man nicht Maria, Anna oder Tim sein? Instagram ist der um die faden Momente bereinigte Highlight-Clip zum Leben der anderen. Neid als Geschäftsmodell. Oft fühlt man sich matt, wenn man die App schließt. Warum sich das länger antun? Das Löschen fällt schwer. Ein letzter Blick. Es hat geschneit bei Tim in den Alpen. Schluss damit! Und dann?

Man ertappt sich bald, wie man auf das Symbol auf dem Bildschirm tippen will. Es ist weg. Das passiert noch drei Mal. Dann von Tag zu Tag seltener. Die Einsicht kommt: Diese App ist ein Zeitdieb. Also gleich den Account löschen, unwiderruflich? Dazu muss man die App kurz reinstallieren. Also schnell noch mal gucken, was die anderen so machen? Tim fährt Ski, natürlich! Was würde man geben, um jetzt auch Ski zu fahren! Vielleicht am Wochenende? Neid als Inspiration. Aus fünf Minuten werden zehn. Diese App ist gut, sie ist sogar sehr gut. Teufelszeug. Marius Buhl

SCHLAF

Seit ich am Flughafen das Buch „The 5 a.m. Club“ von Robin Sharma gekauft habe, fasziniert mich der Gedanke, zu diesem ominösen Club zu gehören. Die Regeln sind hart: jeden Tag um 5 Uhr aufstehen, dann eine Stunde lang eine bestimmte Morgenroutine ausführen – Sport, Reflektion und Weiterbildung. Wenn die anderen sich langsam aus ihren Betten schälen, ist man selbst bereits fit, fokussiert und beflügelt. Die Idee: Hält man in einem Bereich seines Lebens eine bestimmte Sache durch, klappt es oft auch in anderer Bereichen besser. Selbstwirksamkeit nennt man das.

Sie beginnt mit Jogging auf dem Balkon um 5 Uhr morgens. Das Beste daran: Es kostet nichts. Es klappt einen Tag, zwei Tage, auch gern mal eine Woche. Dann ist irgendwas: eine Party, eine Einladung am Abend zuvor, eine Freundin, die ausgehen will. Der Nachteil am frühen Aufstehen ist: Man muss auch früh ins Bett. Dauerhaft! Das ist schwierig und gefährdet Freundschaften, was ich vermeiden möchte. Ich werde in dieser Fastenzeit lieber auf Schlaf verzichten. 5 a.m. Club, ich komme! Jetzt oder nie. Birgit Rieger

DISKRIMINIERENDE BELEIDIGUNGEN

Achtung, Achtung, hier spricht die Sprachpolizei! Wer auf diskriminierende Sprache hinweist, dem wird oft übertriebene „Political Correctness“ vorgeworfen. Aber ist es wirklich nötig, andere Menschen herabzuwürdigen, um jemanden zu beschimpfen? Viele Schimpfwörter kommen mir spontan in den Sinn, wenn ich wütend bin. Wer sich nicht sicher ist, muss einfach mal eine Runde Fahrrad in Berlin fahren. Und? setzen diese Wörter eine bestimmte Gruppe von Menschen herab? Zum Beispiel Frauen, queere Menschen, Menschen mit Behinderung?

„Schwul“ und „behindert“ sind an sich nicht schlimm. Als Schimpfwort aber diskriminierend. Warum nicht aus der Mode gekommene Begriffe ausgraben. „Ekelpaket“, „Widerling“ oder „Kotzbrocken“ sind doch toll. Oder den rücksichtslosen Autofahrer mal „räudiger Hund“ oder „verdammter Hornochse“ hinterherrufen? Für Tierfreunde sind Alltagsgegenstände eine gute Option. Lappen, Vollpfosten, Flasche, fast alles kann zum Schimpfwort werden, wenn man es nur mit genug Verachtung in der Stimme vorträgt. Inga Barthels

AKTUALITÄT

Krieg, Krankheit, Krise: Sind wir doch mal ehrlich, die Aktualität ist eine deprimierende Angelegenheit. Und dazu noch eine lästige, denn sie verfolgt uns, ständig und überall. Der Newsticker übersättigt, überlagert den Alltag und nimmt unsere Aufmerksamkeit in Geiselhaft. Der Schweizer Autor Rolf Dobelli beschreibt, wie er seit über zehn Jahren ohne Nachrichten lebt. Dobelli war früher ein selbsterklärter „Newsjunkie“, konnte nicht genug von der Tagesaktualität bekommen, denn sie versprach Erleuchtung, ein Gefühl von Sicherheit in einer komplizierten Welt. Stattdessen, so Dobelli, opferte er seine Aufmerksamkeitsspanne der Sucht nach Informationsschnipseln.

Die Aktualität opfert die Relevanz der Neuigkeit. Hintergründe weichen dem Dauerbeschuss der Eilmeldungen. Sie fördern ein Leben im ständigen Cliffhanger-Modus. Die Story ist nie vorbei. Und die Nachrichtenjagd kann zu einer „erlernten Hilflosigkeit“ führen: Alles steht in Flammen und wir können nur zuschauen. Die Welt erfindet sich nicht jeden Tag aufs Neue, man kann ruhigen Gewissens die Eilmeldungen einmal abschalten. Max Tholl

UNGEDULD

Nicht jeder Stress ist beruflich bedingt. Mich stressen Leute ganz furchtbar, die langsam unterwegs sind. Sich richtig schön Zeit nehmen, wenn sie in die U-Bahn steigen oder am Kopf einer Rolltreppe erstmal ein kleines Päuschen einlegen. Manchmal rutscht mir dann schon „Blöde Kuh!“ oder „Idiot“ raus oder, noch schlimmer, ich fange an, die Leute zu belehren, wo man stehenbleiben könnte und wo auf keinen Fall.

Das lasse ich jetzt mal und versuche mir vorzustellen, dass diese Menschen gute Gründe haben und eigentlich eher freundlich angelächelt werden müssten, weil sie viel gelassener und entspannter durchs Leben gehen, als ich. Da ich im Grunde nicht gerne Leute anraunze, verzichte ich also letztlich auf etwas, was ich an mir selbst nicht mag. Elisabeth Binder

SELBSTSUCHT

Lange Zeit war es ein allabendliches Ritual. Suchmaschine öffnen. Den eigenen Namen eintippen. Enter drücken. Man will ja schließlich wissen, was andere da draußen über einen schreiben, oder ob jemand auf eigene Beiträge reagiert. Irgendwann war es dann so weit: Die Maske vervollständigte den Namen, sobald ich den ersten Buchstaben eingab. Nicht wegen meiner gesteigerten Popularität im Internet, sondern weil sich mein Browser an die eigene Selbstsucht gewöhnt hatte. Dazu kam der Blick in die Sozialen Netzwerke. Daumen, Likes und Herzen zählen. Einmal die Kommentarspalten eigener Texte querlesen. Sich immer wieder ärgern. Kaum Komplimente, viel Kritik.

Spätestens dann stellte sie sich ein: die schale Empfindung der eigenen Würdelosigkeit. Ich bin ein Ego-Junkie. Ein Sklave der Bestätigung. Muss ich mein Selbstwertgefühl wirklich im Netz abholen? Wenigstens für ein paar Wochen werde ich das Schielen ins Internet nun einstellen, auch wenn das eigene Ego gefüttert werden will. Hoffentlich vergessen meinen Synapsen in der Zeit den billigen Kick – und der Browser meinen Namen. Hannes Soltau

VERZICHT

Was ich am Aschermittwoch zu Beginn der Fastenzeit gemacht habe? Ich war mit meiner Frau japanisch Essen! Sehr schick. Zehn Gänge. Ja, da gab es Fleisch. Und Alkohol! Verzichten? Kann ich. Mach ich auch dauernd: wegen der Kinder aufs Ausschlafen, wegen mangelnden Vermögens auf Heli-Skiing in der Schweiz, wegen der Vernunft auf Kuchen, Schinkenbrote und Feierabendbier. Kein Problem. Aber diese 40 Tage lange zur Schau gestellte Selbstkasteiung ohne Kaffee, Schokolade oder Internet? Da verzichte ich gerne drauf.

Das ist so sinnvoll und so sympathisch wie die Kartoffel-Diät. Glück ist nicht das Ergebnis von kurzzeitiger, sondern ständiger Mäßigung – kombiniert mit gelegentlichem Über-die-Stränge-Schlagen! Dry January, einen Monat keinen Zucker, vier Wochen ohne Kaffee – ich habe das alles schon ausprobiert: Hat meine Perspektive nicht nachhaltig verändert, höchstens den Kontrollzwang gefördert und das schlechte Gewissen. Auch darauf kann ich prima verzichten. Moritz Honert

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