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"Von Spitz zu Flach": Eine Skulptur von Fritz Kühn aus dem Jahr 1959.

© Achim Kühn

Fritz Kühn im Kunsthaus Dahlem: Tonnenleicht

Berlin ist voll von Fritz Kühns dezenten Interventionen. Das Kunsthaus Dahlem zeigt zu seinem 50. Todestag Plastiken und Fotografien des Bildhauers.

Die Füße setzen sich in Bewegung, noch bevor man es merkt. Diese Stahlskulptur will umschritten sein und fordert ein, dass der Betrachter seinen Stillstand aufgibt. Sie selbst schraubt sich so suggestiv in den Raum, dass ihre tonnenschwere Masse leicht wird wie ein abstrakter Flügel. Dabei hat Fritz Kühn nur eine simple Stahlplatte kreisförmig zugeschnitten und plastisch verformt. Was man mit Metall alles machen kann, der 1910 geborene Bildhauer hat es ausprobiert.

Geschmiedet, getrieben, geätzt, vergoldet oder chemisch abgetragen lauten die Technikangaben zu seinen Arbeiten. Was Kühn selbst schlicht „Formversuche“ nannte, steht jetzt als abstrakte Plastik im Kunsthaus Dahlem. Am liebsten war ihm, wenn die Dinge, die in seiner Werkstatt in Berlin-Bohnsdorf entstanden, sich auch verwenden ließen. Als Schale, Gitter oder Tür. Kunst waren sie trotzdem. Ein Dutzend meist kleinerer plastischer Arbeiten sowie rund ebenso viele Meisterfotografien versammelt die Ausstellung zum 50. Todestag.

Die Fotoarbeiten in strengem Schwarz- Weiß richten den Blick auf die Strukturen, Raumspannungen und Geometrien der Welt. Kühn nahm sie 1958 in Brüssel auf, wo er für den bundesdeutschen Pavillon von Egon Eiermann eine vertrackt verwobene und zugleich klar gegliederte Gitterarbeit beisteuerte. Zwar lebte Kühn in Ostberlin, lehrte seit 1964 als Professor in Weißensee. Doch die Arbeiten des Grenzgängers schätzte man in den Fünfzigern und Sechzigern auch in Düsseldorf, Hannover, Saarbrücken, wo sie bis heute Stadträume und öffentliche Säle prägen. Ost oder West? Abstrakt oder floral? Kunst oder Kunsthandwerk? Spannungsbögen durchziehen Kühns Werk.

Experimentierfreudiges Traktieren des Materials

Die Nachwendegesellschaft tat sich schwer mit seinem von der DDR zum nationalen Kulturerbe erklärten Werk. Der tonnenschwere Nachlass, notdürftig von der Familie verwahrt, hat noch immer keine würdige Perspektive. Es rostet, klagt Sohn Achim Kühn, selbst Kunstschmied. Schließlich nahm sein Vater lieber Baustahl als Edelstahl unter den Schmiedehammer. Sein experimentierfreudiges Traktieren des Materials ist legendär. Seine zurückhaltenden Arbeiten lohnen den feinen Blick auf ihre schrundigen oder glänzenden Oberflächen.

Wer mehr sehen will: Berlin ist voll von Kühns oft dezenten Interventionen. Durch seine kupfergetriebenen Reliefportale schreitet man in die Komische Oper. Im kriegsgeschundenen Innenraum der Parochialkirche hängt sein mächtiges Kreuz. Am Strausberger Platz setzt sein quasi schwebendes Brunnenrund aus geometrisch-abstrakten Kupferplatten einen modernistischen Kontrapunkt zur neoprächtigen Henselmann-Architektur. Wer die Stadtbibliothek betritt, kann sich buchstäblich im Vorbeigehen ein „A“ greifen. In 117 Varianten ziert das berühmte Buchstabenportal seit 1965 die Front.

Andere Arbeiten verschwinden aus der Öffentlichkeit, nahezu unbemerkt. Was wird aus der Lindenblätterwand, mit der sich die Polnische Botschaft Unter den Linden schmückte? Der DDR-Bau wurde letzten Herbst abgerissen. Fritz Kühns halb abstrakte Lindenblätter aus Aluminium sollen auch den Neubau zieren. Hoffentlich!

Kunsthaus Dahlem, Käuzchensteig 8, bis 18. 6.; Mi bis Mo 11–17 Uhr

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