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Fritz Kalkbrenner

© Suol

Fritz Kalkbrenner im Gespräch: „Eine Oktave reicht völlig“

Techno-Pop: Produzent und Sänger Fritz Kalkbrenner über das Älterwerden, die Bedeutung der Stadt Berlin für seinen Sound und sein neues Album „Grand Départ“.

Herr Kalkbrenner, wir sitzen an einem Montagmorgen um zehn Uhr in Ihrem Kreuzberger Studio. Eher ein ungewöhnliche Zeit für einen Musiker.

Nein, überhaupt nicht. Um zehn darf man schon Fahrt aufgenommen haben. Unstrukturiert in den Tag hinein zu leben – damit kann ich mich nicht identifizieren.

Sie arbeiten also sehr diszipliniert?

Anders geht es als Künstler nicht. Ich möchte nicht unken, aber es ist ja durchaus denkbar, dass Kollegen mit einem schlechteren Zeitmanagement schneller aussortiert werden.

Treibt Sie die Angst vor dem Aussortierwerden überhaupt noch um?

Jeder Künstler hat von Zeit zu Zeit die Befürchtung, nicht mehr relevant zu sein. Das hat sich bei mir mittlerweile gelegt.

Alle zwei Jahre veröffentlichen Sie ein Album, dazu kommen hunderte Auftritte pro Jahr. Sie steuern auf einen Burnout zu!

Mit diesem Arbeitspensum umzugehen lernt man im Laufe der Jahre. Aber ich agiere keineswegs an meiner Kapazitätsgrenze. Meine letzte Platte ist vor zwei Jahren erschienen. Insofern war es an der Zeit für etwas Neues. Alles andere wäre Faulenzen, und das ist was für Leute, die keinen Spaß an ihrem Job haben.

Ihr neues Werk „Grand Départ“ ist thematisch vergleichsweise düster. Es geht ums Älterwerden und um die Narben, die das Leben auf der Seele hinterlässt.

Ich verbreite hoffentlich nicht zu viel schlechte Laune. Ich thematisiere eine natürliche Entwicklung: Wir alle werden alt, wir sterben, nichts bleibt übrig. Das ist der ganz normale Lauf der Dinge.

Eine ziemlich nüchterne Perspektive.

Absolut nicht, es ist die einzig realistische Sicht auf das Leben. Diesen Werdegang machen wir alle durch, und damit muss man umgehen können. Ich empfinde das nicht als traurig.

Ihren Fans dürfte es mehr es ums Feiern und um das Leben im Augenblick gehen.

Ich finde, man kann beides vermitteln. Memento mori, carpe diem: Sei dir deiner Sterblichkeit bewusst, nutze den Tag. Meine Großmutter lebte nach dem Motto: „Das Leben ist eine Tragödie und Altwerden nichts für Feiglinge.“ Ich halte das auch so.

Zu Ihrer Single „In This Game“ gibt es ein Video, in dem Clemens Schick mitspielt. Wie relevant sind Musikclips noch für Sie?

Nicht mehr so relevant wie früher. Clips werden heutzutage fast nur noch im Netz rezipiert. Offen gestanden frage ich mich da, wie es um die Aufmerksamkeitsspanne der Konsumenten bestellt ist. Aber ich will nicht jammern. Ich bin einfach 20 Jahre älter als diejenigen, die sich heute intensiv mit Musik auseinandersetzen. Ich schneide vieles einfach nicht mehr mit. Das ist nicht schlimm.

Auf „Grand Départ“ benutzen Sie viele alte Effektgeräte. Was fasziniert Sie an dieser Retro-Technik?

Ich mag den Klang. Er ist außergewöhnlich und bis heute einzigartig. Alle diese Geräte habe ich mir im Laufe der Jahre zugelegt. Teilweise waren sie sehr schwierig zu bekommen. Manche stammen aus den 60ern und werden mittlerweile nicht mehr produziert. Da sitzt man im Studio schon etwas ehrfürchtig davor.

Man kann das auch als Reverenz an Ihre Vorbilder sehen: an Marvin Gaye, Al Green, Wilson Pickett und Curtis Mayfield. Deren Musik war in den 90ern in Ihrem Heimatbezirk Lichtenberg nicht sonderlich angesagt. Wie haben Sie sie dennoch für sich entdeckt?

Das hat sich so entwickelt. Natürlich haben die meisten Leute andere Musik bevorzugt. Und auch ich habe meine Jugend überwiegend in Techno-Läden verbracht. Casino, Ostgut, Tresor – das waren die Orte, an denen ich mich gern aufhielt und wo viel passierte. Das Bewusstsein für Tradition kam erst später.

Sie sind Autodidakt, auch als Sänger. Haben Sie je daran gedacht, Gesangsunterricht zu nehmen?

Nein. Ich bin auf eine Oktave beschränkt und akzeptiere das. Leute wie Tom Waits oder Leonard Cohen kommen damit auch gut zurecht. Ich kann nicht durch die Tonleiter rauschen wie Beyoncé, aber das ist nicht schlimm. Mir fehlt die Zeit, mein Stimmvolumen zu trainieren.

Ihre Stücke sind auch mal sieben Minuten lang. Konventionelle Songlängen interessieren Sie offenbar nicht?

Das ist dem Clubkontext geschuldet, aus dem ich stamme. In dreieinhalb Minuten hätte ich oft Schwierigkeiten, meine Ideen unterzubringen. Es ist ja nicht wenig, was in meinen Nummern stattfindet. Warum soll ich mich limitieren? Auf meinem Album darf ich mir Experimente erlauben.

Es gibt keine Gäste auf der Platte. Überhaupt haben Sie bislang mit niemandem außer Ihrem Bruder Paul zusammengearbeitet. Wieso?

Mir fällt niemand ein, mit dem ich zusammenarbeiten könnte. Außerdem sind Features meistens reines Marketing. Dahinter steckt keine künstlerische Motivation, sondern reine Berechnung. Mir brennt das nicht unter den Nägeln.

Hat Berlin einen Einfluss auf Ihren Sound?

Natürlich spielen meine Herkunft und Sozialisation eine Rolle. Trotzdem will ich mich nicht dazu hinreißen lassen zu sagen, dass mich Berlin musikalisch in eine bestimmte Richtung pusht. Wer weiß, ob nicht jemand in Helsinki genau die gleiche Musik macht.

Empfinden Sie das Label „Berliner Künstler“ als Bonus?

Ich kann damit nicht viel anfangen. Trotzdem funktioniert das Berlin-Etikett im Ausland noch ganz gut: Da ist die Stadt immer noch ein Sehnsuchtsort. In solchen Momenten wird mir wieder bewusst, welche Möglichkeiten wir hier haben. Als Ur-Berliner weiß man das vielleicht gar nicht mehr zu schätzen.

Wirklich?

Mir stellt sich eher die Frage, wie stark sich hier alles verändert und wie hoch der Verlust ist, der damit einhergeht. So hat halt jeder seine eigene Perspektive auf die Dinge.

Inwiefern?

Manchmal nervt dieser Wandel. Wenn Leute deinen Dialekt widerlich finden, dein Naturell nicht verstehen und die Geschichte dieser Stadt nicht kennen, aber unbedingt hier leben wollen, irritiert und verwundert mich das.

„Grand Départ“ erscheint bei Suol Records. Konzert: Velodrom, 17. März 2017.

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