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Der Bau von Luxuswohnungen unmittelbar neben der Friedrichswerderschen Kirche hat diese schwer beschädigt.

© Thilo Rückeis

Friedrichswerdersche Kirche: Berliner Kirchengemeinde widersetzt sich umstrittenem "Dau"-Projekt

Beim Berliner "Dau"-Projekt soll auch die Friedrichswerdersche Kirche ummauert werden. Die Gemeinde wurde erst kürzlich kontaktiert – und will nicht zustimmen.

Auch das inzwischen verkleinerte Areal für das ab 12. Oktober geplante „Dau“Kunstprojekt mit einer Replik der Mauer in Berlin-Mitte stößt bei Anwohnern auf Empörung. So ist die evangelische Kirchengemeinde in der Friedrichstadt als Eigentümerin der Friedrichswerderschen Kirche keineswegs einverstanden mit den Einschränkungen, die die etwa 800 Meter lange temporäre Mauer für die derzeitige Kirchenbaustelle bedeuten würde. „Wir befürchten, dass bei den Renovierungsarbeiten nun erneut Verzögerungen und womöglich auch Kostensteigerungen drohen“, sagte Pfarrer Stephan Frielinghaus dem Tagesspiegel.

Zwar wurde bei einer Ortsbegehung am Mittwoch ein 5,20 breites Tor für Materialanlieferungen und den Zugang für die Arbeiter in Kirchennähe zugesagt. Dies habe man zur Kenntnis genommen. Man wolle aber keinerlei Behinderungen bei den Bauarbeiten. „Es kann nicht sein, dass ich mich auf dem Weg zu einer unserer Kirchen ausweisen muss“, so Frielinghaus. Die von den „Dau“-Veranstaltern erbetene Einverständniserklärung will die Gemeinde bislang nicht unterschreiben.

Die Gemeinde erhielt ein zweites Anwohnerschreiben. Ein erstes war nie gekommen

Die Gemeinde wurde am 5. September von den Berliner Festspielen als Veranstalter kontaktiert. Der von Festspiele-Intendant Thomas Oberender und der Produzentin Susanne Marian unterzeichnete Brief trägt den Betreff „2. Anwohnerschreiben“. Ein erstes Anwohnerschreiben ging bei der Gemeinde nicht ein. Das zweite beginnt mit dem Satz: „Wie Sie bestimmt der aktuellen Presse entnommen haben, planen die Berliner Festspiele diesen Herbst die Weltpremiere eines sehr außergewöhnlichen Projekts ...“ Erst vor wenigen Tagen hatte Oberender im Tagesspiegel den Vorwurf der Intransparenz zurückgewiesen. „Wir haben zunächst mit den Menschen gesprochen, die das Projekt betrifft, Anwohner, Institutionen, Behörden“, sagte er. Im Fall der Friedrichswerderschen Kirche geschah dies offenbar nicht – bis zum 5. September, über zwei Wochen nach ersten „Dau“-Berichten in den Medien. In dem Brief heißt es, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Nutzer der Kirche, namentlich Stiftungspräsident Hermann Parzinger, habe die Einverständniserklärung unterzeichnet.

Parzinger war vor einigen Monaten von Oberender allgemein um das Einverständnis zu einem nicht näher konkretisierten Projekt im Umfeld der Kirche gebeten worden. Dieses erteilte der Stiftungspräsident, verbunden mit der Bitte, die Kirchengemeinde als Eigentümerin einzubeziehen. Zum damaligen Zeitpunkt war nach Auskunft der Stiftung in keiner Weise absehbar, dass das Areal eingemauert werden soll. Transparenz ist etwas anderes.

Die SPK nutzte die Kirche bis 2012 als Museum. Im Zuge der unmittelbar daneben errichteten Luxuswohnungen mit 20 Meter tiefen Ausschachtungen kam es zu gravierenden Schäden an Schinkels neogotischem Gotteshaus. Seitdem wird saniert, die Stiftung kann von ihrem Hausrecht derzeit keinen Gebrauch machen.

Nach den am Dienstag bekannt gewordenen Planänderungen wird das nun verringerte „Dau“-Gelände einer „Stadt in der Stadt“ vom Boulevard Unter den Linden begrenzt, der Uferstraße am Spreekanal, dem Werderschen Markt und der Französischen Straße sowie von der Oberwallstraße im Westen. Die Friedrichswerdersche Kirche liegt in der Mitte der Südseite. Zunächst befanden sich auch Staatsoper, Hedwigskirche und der Pierre Boulez Saal innerhalb des „Dau“-Areals.

Wo die Dau-Mauer verlaufen soll.
Wo die Dau-Mauer verlaufen soll.

© Tagesspiegel

In dem Schreiben an die Gemeinde heißt es, den Veranstaltern sei sehr daran gelegen, „mit Ihnen als Nachbarn eng zu kooperieren“. Sogar die Nutzung der Kirche für eine Lichtinszenierung wird angefragt. Da mit den Behörden der Nachweis der Einbeziehung involvierter Institutionen vereinbart sei, bitte man um „grundsätzliche“ Bestätigung. Dem Brief hängt die Einverständniserklärung zur Unterschrift an. Die Behörden wollen am 28. September über die Genehmigung des Projekts rund um das Kronprinzenpalais entscheiden. Im Zentrum steht die Präsentation der „Dau“-Filme des russischen Regisseurs Ilya Khrzhanovsky. Der Filmemacher hatte von 2009 bis 2011 in der Ukraine auf 12 000 Quadratmetern das Institut nachgebaut, in dem der Physik-Nobelpreisträger Lev Landau von 1938 bis 1968 forschte. Auf dem Filmset lebten bis zu 400 Menschen. Die Weltpremiere der daraus entstandenen 13 Filme und weiterer Serien soll unter dem Motto „Freiheit“ in Berlin stattfinden – in einem eigenen „narrativen Raum“ mit zahlreichen zusätzlichen Kulturveranstaltungen.

Es sei eines der „größten und technisch modernsten partizipatorischen Projekte, die Berlin je erlebt hat“, ist auf der Website der Berliner Festspiele zu lesen. Dort werden jetzt zahlreiche Auskünfte zu der umstrittenen XXL-Installation mit Mauerteilen aus massivem Beton gegeben. Auch zu dem „Einreiseformular“, auf dem Besucher vor Betreten des Areals „sehr persönliche“ Fragen beantworten müssen, damit eine individualisierte „Reiseroute“ erstellt werden kann. Die Fragen könnten von den Besuchern beantwortet werden, „wie es ihm/ihr beliebt“, heißt es.

Das Schicksal der erst 2001 restaurierten Friedrichswerderschen Kirche steht seit Jahren unter einem schlechten Stern. Trotz zahlreicher Proteste und Warnungen war die Genehmigung für die nur wenige Meter entfernte Wohnbebauung erteilt worden. Inzwischen steht fest, dass das bedeutende Baudenkmal irreparable Schäden davonträgt. Erst im August hatte Kulturstaatssekretär Torsten Wöhlert bestätigt, die Verformung des Deckengewölbes sei nicht korrigierbar. Zurzeit werden der Wiedereinbau der historischen Fenster, die Sanierung der Altartreppen und die Reparatur der Böden vorbereitet. Der Investor bemüht sich nach Kräften, die Schäden so weit wie irgend möglich zu beseitigen. „Ich würde erwarten, dass auch der Berliner Senat alles tut, dass es zügig vorangeht“, sagt Pfarrer Frielinghaus. Nun sieht sich die Gemeinde erneut von der Politik im Stich gelassen.

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