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"The Youth Are Getting Restless II", 2015

© Galerie Kornfeld

Fremde Heimat: Bunter Bosporus

Die Berliner Malerin Franziska Klotz zeigt neue Bilder in der Galerie Kornfeld

Es gibt Bilder, die sich nur im Abstand erschließen. Andere wiederum muss man nur lange genug betrachten, mit den Augen förmlich hineingehen, um sie zu entdecken. Beides ist bei Franziska Klotz, derzeit mit einer dritten Ausstellung in der Galerie Kornfeld vertreten, der Fall. Was heißt, dass die Bilder dem Betrachter ein Hin und Her der Sehbewegung, ein Zoomen abverlangen, um den Prozess des Abstrahierens nachzuvollziehen und im abstrakten Detail, das vielleicht eine Metamorphose vollzog, den ursprünglichen Gegenstand wieder – oder besser: neu zu entdecken.

Aus dem Chaos von Häusern wird ein Lichtermeer

Da ist das in warmen Farben leuchtende Bild mit dem enigmatischen Titel „The Youth Are Getting Restless II“ (10 800 Euro). Erst glaubt man, von ferne sich an Paul Klee erinnernd, das Häusermeer einer Stadt zu sehen, bis man allmählich den weißen Blütenstrauß am rechten unteren Bildrand entdeckt, die „Häuser“ immer plastischer hervortreten und man plötzlich ein anderes Meer, ein Lichtermeer von Kerzen erkennt. Ein Ort des Gedenkens also, der aber auch diese „Stadt“ ist und hintergründig auf ein Geschehen, jene „Unruhe“ im Titel, verweist.

„Von Matsch zu Matsch“ heißen zwei andere Bilder (je 15 800 Euro), die den beiden Seharten noch eine weitere hinzufügen: was Boden ist und für uns nur in der Draufsicht erscheint. Der Matsch zu unseren Füßen kippt hoch und begegnet einem nun auf Augenhöhe an der Wand. Das wäre banal, da Bilder (fast) immer an der Wand hängen und ausgestellt werden. Aber ein Detail auf beiden Bildern lässt darüber nachdenken: der kleine Steinblock und seine Platzierung. In dem einen Bild, das ihn links oben zeigt, schwebt oder fällt er dank der zarten Lasierung der Umgebung. Im anderen Bild aber, wo er im rechten unteren Segment der Leinwand sichtbar ist, scheint er zu fallen. Doch wie kann fallen, was (im Matsch) liegt? Nun ist der Stein kein gewöhnlicher, es ist ein Polyeder, prägnant und scharf aus seiner konturlos wabernden Umgebung herausgeschnitten, und manche werden ihn als Zitat erkennen: aus Dürers „Melencolia I“, als Attribut der erdschweren Melancholie. Das kann, aber muss man nicht wissen – der erratische Block, den Blick des Betrachters irritierend, ist sowohl plastische Form wie Zeichen, das dem Bild allegorischen Charakter verleiht. Zugleich und mehr noch ist es das Bild eines „Memento Mori“, das im Prozess der Abstraktion nicht nur die Auflösung der Materie, sondern, wie in Resten und Speichengestänge eines Regenschirms, die zu Spinnenbeinen zu mutieren scheinen, auch ihren Übergang in neue Daseinsformen imaginieren lässt – und im „Matsch“ ganz biblisch-metaphysisch den Staub.

Die Künstlerin war als Stipendiatin auf der Insel Tarabya

Sechs Monate hat die Künstlerin im vergangenen Jahr als Stipendiatin auf der Insel Tarabya im Bosporus verbracht. Aus der Erinnerung malte sie dort noch einmal eine Tischdecke, die von ihrer Großmutter stammt. Diese Decke hatte Franziska Klotz vor ihrer Reise bereits „abgemalt“ und „Heimat“ (14 000 Euro) genannt – was nun, in der Fremde, zu einem Spiel mit der Erinnerung an das ornamentale Muster und dem Thema von Ent- und Verhüllung wird. Wieder gerät zu einer Frage der Perspektive, des Abstands wie auch der Konzentration, gar Meditation, welche Assoziationen wir damit verbinden: Fremdheit durch Verhüllung, Offenbarung durch Enthüllung, das erotische Spiel von beidem, von Konkav und Konvex, von schützender Hülle und von Freiheit, Befreiung. Spielformen einer Idee von „Heimat“, wie sie gleichsam im Mantra einer voll ausgebreiteten tischrunden Decke sich immer neu finden und erfinden lässt. Auf ihrem Weg, ihrer Suche, „die Abstraktion zu verstehen“, wie es die Künstlerin im Gespräch andeutet, macht sie uns in dieser Ausstellung zu ihrem Komplizen.
Galerie Kornfeld, Fasanenstr. 26; bis 16.4., Di–Sa 11–18 Uhr

Von Marleen Stoessel

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