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Hand in Hand. Abschied im Hospiz.

© picture alliance / dpa

Freiheit als Zumutung: So sterben, wie man gelebt hat

Elke Büdenbender und Eckhard Nagel sprechen über ihre Erfahrungen mit dem Tod.

Die Corona-Pandemie war und ist noch immer ein Einschnitt in Sachen Krankheit, Sterben und Tod. Sie hat den „unkalkulierbaren, frühen, nicht erklärbaren Tod“, der Kennzeichen vergangener Jahrhunderte war, wieder auf die Tagesordnung gesetzt und die Grenzen ärztlichen Handelns aufgezeigt.

Das ist einer der Befunde eines langen Gesprächs zwischen Elke Büdenbender, der Gattin des amtierenden Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier, und dem Mediziner Eckhard Nagel unter dem Titel „Der Tod ist mir nicht unvertraut“.

[Elke Büdenbender, Eckhard Nagel: Der Tod ist mir nicht unvertraut. Ein Gespräch über das Leben und Sterben. Ullstein, Berlin 2022. 224 Seiten, 24 €.]

Corona mag für die Verwaltungsrichterin und den Transplantationschirurgen, der auch ausgebildeter Philosoph ist und dem Nationalen Ethikrat angehörte, Anlass gewesen sein, über Leben und Sterben nachzudenken. Doch die Seuche ist Thema nur eines kleineren Teils des breit aufgespannten Sinnierens, das getragen wird von einer langen Freundschaft und gemeinsamen existenziellen Erfahrungen: Nagel hat zwei seiner drei Kinder verloren, Büdenbender lebt seit elf Jahren mit einer gespendeten Niere ihres Mannes.

Eine Ewigkeit kürzer

Ausgehend von diesen sehr persönlichen Erfahrungen mit dem Tod, sprechen sie über die Veränderungen, die Säkularisierung und Individualisierung der Gesellschaft für das Sterben bedeuten, nachdem die Religion für viele Menschen keinen Trost mehr bietet. „Wir leben biologisch länger, doch unsere Lebenszeit ist um eine Ewigkeit kürzer geworden“, zitiert Büdenbender die österreichischen Palliativmediziner Andreas Heller und Klaus Wegleitner.

Wie nimmt man Abschied in Gemeinschaft, seit das Sterben in Institutionen wie Klinik, Heim oder Hospiz verbannt worden ist und Friedhöfe schon aus kommerziellen Gründen nicht mehr in der Mitte der Städte angelegt werden? Viele wünschen für sich und für ihre Angehörigen, „in Frieden zu sterben“, aber auch in diesem Anspruch spiegelt sich ein Leistungsbegriff. Und stirbt man tatsächlich so, wie man gelebt hat?

Ärzte, die per se für das Leben zuständig sind und die Sterbebegleitung Seelsorgern überlassen haben, sehen das moderne Sterben nicht weniger als Herausforderung Nun können Patient:innen darüber entscheiden, wie sie am Ende ihres Lebens medizinisch versorgt werden. Die Palliativmedizin und Hospizbewegung hat zwar vieles humaner gemacht, doch es gibt auch Menschen, die das eigene Sterben nicht erleben wollen und um Beihilfe bitten.

Konfliktreiche Zonen

An diesem Punkt gerät das in großem Einverständnis dahinfließende Gespräch in konfliktreiche Zonen. Während Büdenbender das umstrittene, das Selbstbestimmungsrecht stärkende Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe kompromisslos verteidigt, weist Nagel die ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung entschieden zurück.

Grundsätzliche Zweifel meldet der gläubige Christ auch im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht an und stellt infrage, dass es sich bei der Selbsttötung um eine freie Entscheidung handelt und Sterbehilfevereine nur altruistisch handeln: „Ich halte es für naiv zu glauben, dass man jedes ökonomische Interesse ausschließen kann.“

Einig sind sich beide, dass in den neuen Freiheiten Zumutungen liegen, die viele überfordern könnten – bis hin zu den Ärzt:innen, die, wie bei Corona, entscheiden müssen, wer versorgt wird. „Wir müssen uns öffnen für einen anderen Umgang mit Unsicherheit“, fordert Nagel.

[Alle aktuellen Nachrichten zum russischen Angriff auf die Ukraine bekommen Sie mit der Tagesspiegel-App live auf ihr Handy. Hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen]Wenngleich sich in der Unterhaltung, die „letzte Fragen“ nicht ausspart, großes Wissen und Sensibilität paaren, sind die beiden Gesprächspartner:innen doch geprägt von ihrer Mittelschichtsperspektive: Gutes Leben sollte in ein gutes Sterben münden.

Zwar werden an manchen Stellen auch soziale Verwerfungen angedeutet: Familienzwist, Sozialbegräbnisse oder Körperspende aus Geldmangel für eine Beerdigung. Doch so hehr der Wunsch nach einem harmonischen Ableben für alle ist, wird er doch konterkariert von der täglichen Realität.

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