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Kultur: Freier Blick bis Afrika

Die Villa Romana in Florenz: Eine deutsche Künstlerresidenz wird zum multinationalen Labor.

Im Garten der Villa auf den Hügeln von Florenz herrscht noch immer Spätsommer. Das Haus klassizistisch, drumherum Zypressen, Lorbeerhecken, Olivenbäume, stromernde Katzen und plötzlich ein Ufo inmitten der Idylle. Es ist ein futuristisch anmutender vieleckiger Pavillon aus transparentem Kunststoff und Holzgestänge. Gerade ist darin ein internationales Symposium zu Ende gegangen, das die libanesische Kuratorin Mirene Arsanios zusammen mit einem italienischen Kollegen veranstaltet hat. Zu dessen Finale haben viel Wein und Philosophie im Sinne von Platon bis Peter Sloterdijk eine beflügelnde Rolle gespielt.

Mirene Arsanios ist Gast der Villa Romana, die am südlichen Rand von Florenz ab 1905 die erste deutsche Künstler-Stipendiaten-Residenz im Ausland war: das Vorbild aller ähnlicher Institutionen, von der Villa Massimo in Rom bis zur Villa Aurora in Los Angeles oder der neuen Villa Tarabya in Istanbul. Aber kaum ein externer deutscher Kunst-Ort wirkt heute so multinational wie dieser.

Arsanios, die schon an der Tate Modern in London kuratiert hat und in ihrer Heimatstadt Beirut im KunstgeschichtsDepartment der American University arbeitet, steht vorm Abflug zum nächsten lokal-globalen Projekt, in dem sie Poesie, Philosophie, Theater und bildende Kunst verbindet. In Beirut betreibt sie auf 50 Quadratmetern in einem ehemaligen Laden den Raum „98 weeks“, eine Non-Profit-Plattform für zeitgenössische arabische Künstler. In einer Stadt, so sagt Arsanios, die „so zersplittert und durch neue Medien und Netzwerke doch so verbunden erscheint wie nie“. Zwar ist der syrische Bürgerkrieg nah, aber etwas anderes als offenen oder latenten (Bürger-)Krieg hat die Anfangsdreißigerin in ihrer Region ohnehin noch nicht erlebt.

Die vom Kulturstaatsminister und privaten Förderern getragene Villa Romana vergibt an ihre bis zu vier Preisträger pro Jahr jeweils von Februar bis November ein Gaststipendium mit monatlich 1500 Euro und Wohnung samt Atelier im Haus – sowie einige kürzere Stipendien an internationale Gastkünstler. So arbeitet gerade auch die 26-jährige ägyptische Videoautorin Eman Hamdy in der Villa. Sie kommt aus Alexandria, hat dort an der Kunstakademie bei Wael Shawky studiert, dessen Videos derzeit in den Berliner Kunst-Werken zu sehen sind und der auf der Documenta in Kassel mit einer grandiosen Film-Geschichte der Kreuzzüge aus muslimischer Sicht beeindruckte, im Superbreitwandformat und von fabelhaft ausdrucksstarken Marionetten dargestellt.

Eman Hamdy ist immer noch begeistert von der Documenta, bei der sie im Sommer unter anderem an der Installation des mit Obdach- und Arbeitslosen künstlerisch hergerichteten Hugenottenhauses mitwirken konnte. Jetzt fahndet sie für eine eigene Videoarbeit unter anderem nach Spuren des Ersten Weltkriegs und möchte von Florenz noch nach Deutschland und Frankreich reisen. Da scheinen Ägypten und der Tahrir-Platz weit weg, und sind per Internet und Smartphone doch nah. Was hat ihr die Revolution gebracht? „Für die Künstler und Kunststudenten wenig.“ Eman Hamdy hat früher, ohne dass ihre Eltern das wünschten, einige Jahre ein Kopftuch getragen, das ist jetzt vorbei. Spürt sie nun Druck?

„Nein, die Salafisten spielen an der Kunstakademie in Alexandria oder Kairo keine Rolle. Höchstens zehn Prozent unserer Lehrer sind fundamentalistisch. Aber an den Unis und Colleges nehmen die Salafisten immer mehr Einfluss auf die Lehrinhalte und wollen Jungen und Mädchen trennen.“ Aktmodelle gibt es keine an der Akademie („Man kann sich nur selber abbilden“), auch sei der Geschmack der meisten Studenten konservativ. Die Ansätze von zeitgenössischer Kunst richten sich eher an ein international vernetztes Publikum. Es gibt kaum moderne Galerien, kaum Kunsthandel. „Aber die junge Generation arbeitet mit den Medien, wir entwickeln einen ,New Underground’: mit virtuellen Ausstellungen und Galerien im Internet.“

Und das Verhältnis zu Israel? „Ich habe jüdische und christliche Freunde. Unter uns fragt keiner nach der Religion. Nur laufen die Kontakte über Europa und westliche Länder, mit Israel direkt gibt es kaum Berührung,“ sagt die junge Ägypterin. Wenig Kommunikation existiere auch mit dem ehemals französisch kolonialisierten Maghreb, der Region von Marokko bis Tunesien. Trotz der Arabellion.

Da ist nun Angelika Stepken gefragt. Berührung und Austausch nicht allein mit der aktuellen Krisen- und Umbruchregion sucht Stepken, Leiterin der Villa Romana seit Ende 2006. Die frühere Kunstkritikerin und Chefin des Badischen Kunstvereins in Karlsruhe, die selber in der Villa wohnt, ist eine glänzend vernetzte, mit der internationalen Szene vertraute Frau. Schon seit Jahren, lange vor den jüngsten Ereignissen, betreibt sie einen programmatischen Brückenschlag von der deutschen Außenposition in Italien hin zum gesamten Mittelmeerraum. Davon zeugt auch der soeben von Stepken im Hatje Cantz Verlag herausgegebene Band „On one Side of the Same Water – Künstlerische Praxis zwischen Tanger und Tirana“. Das anregende Kompendium wird von der Herausgeberin, beteiligten Künstlern und der Kulturwissenschaftlerin und Förderin Brigitte Oetker am 23. Oktober in den Kunst-Werken in Berlin vorgestellt, mit einem anschließendem Konzert des Kairoer DocumentaTeilnehmers Hassan Khan (Auguststr. 69, ab 19 Uhr).

Den Brückenschlag zwischen alten Kulturen und neuer Kunst braucht es freilich auch in Florenz selbst. Hier, wo mit Masaccio, Donatello, Botticelli, Michelangelo, mit Dante, Machiavelli und den Medici die Moderne eigentlich begann, droht die Gegenwartskunst sonst heimatlos zu werden. Das einzige moderne Kunstzentrum hat in der toskanischen Metropole im Zuge der Sparmaßnahmen und kulturpolitischen Verödung Italiens seit Berlusconi geschlossen. Galerien für aktuelle Kunst sind in der kulturtouristisch überlaufenen Stadt etwa so selten wie in Tirana.

So ist der albanische Gastkünstler Enkelejd Zonja froh, in der Villa Romana an einem Gemälde arbeiten zu können, das im neosurrealen Stil von Neo Rauch („Ich bewundere ihn!“) einen Mann zeigt, der seine eigene abgelöste Haut vor sich her zu Markte trägt, als Ware und Menetekel. Dagegen genießt es die junge Berliner Malerin Sophie Reinhold als eine der Hauptpreisträgerinnen in diesem Jahr, in Florenz erstmals den Ikonen der europäischen Kunstgeschichte nicht nur auf Abbildungen zu begegnen. „Nur die Verbindung zur zeitgenössischen Kunst“, sagt sie, „habe ich in Florenz außerhalb der Villa Romana nicht gefunden.“

Die Villa, einst das Haus des Malers Max Klinger, ist mit ihrem 15000 Quadratmeter großen Garten (den ein moldawisches Ehepaar pflegt) ein ziemlich tolles Laboratorium. Unzählige Veranstaltungen, gut 5000 Besucher im Jahr, 40 Zimmer, mal Säle, mal Kammern, im Winter kalt, im Sommer angenehm kühl, wenig Mobiliar (zwischen toskanisch-bäuerlich und avantgardistisch), von Angelika Stepken mit einem winzigen Idealistenteam halbfreier Helfer und mit erstaunlich geringem Etat betrieben: Das Mittelmeerprogramm stemmen sie für 7000 Euro im Jahr, überhaupt gibt es nur 35000 Euro für die Projekte, für die laufenden Kosten, Preisträger und Gehälter kommen 170 000 Euro vom Bund, die Stiftung der Deutschen Bank gibt eine Viertelmillion. Aber es fehlen noch 100000 Euro, um die verfallende ehemalige Limonaia als Gartenhaus zu bewahren und für Gastkünstler herzurichten.

Trotzdem spielt hier die Musik und die Kunst, ob draußen im futuristischen Pavillon des florentinischen Architektenteams Avatar oder in einer winzigen Kemenate, in der zwei junge Toskanerinnen den Kultursender „Radio Papesse“ betreiben. Auch sie überleben in der Villa, weil im benachbarten Siena gleichfalls ein Zentrum für zeitgenössische Kunst geschlossen wurde. Die „Papesse“, die Päpstinnen, sind so auf deutsch-italienischem Boden und im globalen Äther ihrer Zeit zumindest symbolisch voraus.

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