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Verschworenes Trio. Drummer Eric McPherson, Bassist John Hébert und Pianist Fred Hersch im Boulez-Saal.

© Peter Adamik

Fred Hersch in Berlin: Sonne und Nebel

Einmal im Duo, einmal im Trio: der Jazzpianist Fred Hersch im Pierre Boulez Saal.

Von Gregor Dotzauer

Ordnung und Unordnung sind auch in der Musik unscharfe Begriffe. Es ist nicht einfach so, dass am einen Ende Auflösung, Dissoziation und Chaos wüten, während am anderen Ende feste Abläufe und Strukturen herrschen. Die Parameter musikalischer Ordnung sind ohnehin so vielfältig, dass das Ohr allein sie kaum beurteilen kann.

Aber wer eine Ahnung von den möglichen Polen bekommen wollte, für den war der Abend mit dem amerikanischen Pianisten Fred Hersch im Pierre Boulez Saal eine Offenbarung.

Vor der Pause, im Duo mit seinem französischen Pianistenfreund Benoît Delbecq, weitgehend atonale Klangmalerei im Pianissimo-Bereich, danach Schubumkehr, Beschleunigung und Beseligung mit seinem Jazztrio. Es ist, als hätte man eine Drehtür durchschritten oder eine Schleuse passiert – wobei die Elemente auf beiden Seiten dieselben sind, nur anders sortiert.

Hier schwebend-dissonante Abstraktion im Dämmerlicht, dort in Kraft und romantischem Saft erstrahlende Schwelgerei in Schönheit.

Hier Manipulationen am offenen, sorgfältig präparierten Flügelherzen, die den einzelnen Ton spalten und in Richtung afrikanisches Daumenklavier oder balinesisches Metallophone verschieben, dort die ungestörte Reinheit des wohltemperierten Klangs, der auch nur eine Konvention ist.

Hier eine stark improvisierte Kunstmusik, in die sich erst spät erste Synkopen schleichen, dort bis auf die Soli durcharrangierter Jazz, der sich auch vor Blues und Latinrhythmen nicht fürchtet.

Harmonische Gegenanker

Fred Hersch, 1955 in Cincinatti, Ohio, geboren, hat sich vor allem mit seinem Trio, zu dem seit zehn Jahren der Kontrabassist John Hébert und der Schlagzeuger Eric McPherson gehören, in die erste Reihe der amerikanischen Jazzpianisten gespielt. In der Feinheit seiner Anschlagskultur, vor allem in Balladen, hat er wenig Konkurrenz, und in der Art, wie er mitten im kollektiven, munter vor sich hinswingenden Geschehen harmonische Gegenanker wirft, ohne den Fluss aufzuhalten, ist er sogar einzigartig.

In die Irre führt nur der Vergleich mit Bill Evans. Herschs kontrapunktisches, auf die Unabhängigkeit von linker und rechter Hand trainiertes Ingenium, gleicht nur von der Innigkeit der Stimmungslage her dem großen Bill. Wer allerdings in Herschs Verfahren Brad Mehldau heraushört, liegt ganz richtig: Der war sein Schüler.

Hersch, das Original, hat sich in den letzten Jahren aber vor allem in seinen Solokonzerten weit über die Artistik mit aufgespanntem Sicherheitsnetz hinausgewagt und eine eigene Form der freien Improvisation erobert. Die Erfahrung damit schlägt sich auch im Duo mit Benoît Delbecq nieder.

Träumerische Pulverisierung

In einem Doppel-Trio haben sie sich 2012 schon einmal für das Album „Fun House“ (Songlines) gefunden. Im unmittelbaren Dialog hat man sie noch nie erlebt, und wenn es auch der knapp zehn Jahre jüngere Delbecq ist, der die Gestalt der motivisch um sich kreisenden und über die gesamte Tastatur wandernden Stücke am weitesten aufsprengt, schmiegt sich Hersch in die träumerische Pulverisierung doch vollendet ein: So hinter Tontrauben verhangen und aus Nebeln steigend, hat man Ornette Colemans „Lonely Woman“ noch nie gehört.

Den Übergang ins Trio-Land bildet Thelonious Monk. Wenn sich zum Ende des Abends dessen „We See“ aus einem kurz mit „Round About Midnight“ kokettierenden Klavierintro löst und in kunstvoll wechselnden Tempi losstolpert, ist es vorbei mit aller zaghaften Abstraktion.

Eric McPherson, an Snare-Drum und Ride-Becken mit Sizzle-Effekt sonst fast minimalistisch agierend, hält das rhythmische Heft zwischen Verlangsamung und Forcierung zusammen mit John Hébertin fest in der Hand. Als Solozugabe Billy Joels „And So It Goes“: So kitschfrei anverwandelt kann das kaum einer besser als Fred Hersch.

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