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Auf der Showtreppe. Die „Gorgeous Ladies of Wrestling“, Darstellerinnen der Netflix-Serie „Glow“, zwischen Aufstieg und Niederlage.

© Erica Parise/Netflix

Frauen-Wrestling in "Glow": „Mit Algorithmen kommt uns keiner“

Die Arbeit mit Netflix, der respektvolle Umgang am Set – und Wrestlerinnen als Superheldinnen: die Showrunner Carly Mensch und Liz Flahive über ihre Netflix-Serie „Glow“.

Von Andreas Busche

Aus dem Weg, Wonder Woman, hier kommen die „Gorgeous Ladies of Wrestling“, kurz: Glow. Zoya the Destroya, Liberty Belle, Junkchain, Welfare Queen und SheWolf sind Superheldinnen von eigenen Gnaden. Wir befinden uns in den 80er Jahren, ein B-Movie-Produzent will seiner stockenden Karriere mit einer TV-Show über Frauen-Wrestling aufhelfen: Die Netflix-Serie „Glow“ gehört derzeit zu den besten Comedy-Shows des Streamingdiensts, eine hinreißende Hommage an die Ära von Neon-Leggins, Big Hair und Schnauzbart-Machismo – und eine zeitige Reaktion auf „MeToo“. Die Showrunnerinnen Carly Mensch und Liz Flahive ließen sich von der gleichnamigen Kultshow inspirieren, die in der Fernsehhistorie nur eine Fußnote, in der Sozialisation zahlloser Teenager aber einen Meilenstein darstellt. 14 Frauen – gescheiterte Schauspielerinnen, eine Stripperin, eine ehemalige Olympionikin ... –, erhoffen sich von der Show den großen Durchbruch. Die Serie geht jetzt in die zweite Staffel.

Carly Mensch und Liz Flahive, Sie wurden zu „Glow“ von einer obskuren Fernsehshow aus den Achtzigern inspiriert. Was interessierte Sie am Frauen-Wrestling?

CARLY MENSCH: Wir sahen eine Dokumentation über die originale Wrestling-Show „Glow“, in der die Frauen über ihre Arbeit damals sprechen. Das hat uns sehr berührt. Es gab einerseits dieses durchgeknallte Konzept, gleichzeitig kamen all diese Frauen mit ihren unterschiedlichen Biografien zusammen.

„Glow“ war die Kurzform für „Gorgeous Ladies of Wrestling“. Aus dem Titel sprach noch ein sehr männlicher Blick.

LIZ FLAHIVE: Das Thema Frauen-Wrestling weckt zunächst unangenehme Assoziationen. Ich glaube, dass uns gerade das eigene Unbehagen daran fasziniert hat.

MENSCH: Die jungen Frauen traten in Badeanzügen vor Männern auf. Gleichzeitig verkörperte jede Frau eine Kämpferin, und zusammen bildeten sie ein Team.

FLAHIVE: Also wollten wir am Beispiel dieser höchst individuellen Frauen den Widerspruch von Selbstermächtigung und Ausbeutung durchspielen.

In der Ära der Qualitätsserien gelten Showrunner oft als die heimlichen Stars. Können Sie kurz ihre Aufgaben erklären?

FLAHIVE: Alle kreativen Entscheidungen laufen über unseren Tisch. Wir stellen die Crew ein, verantworten das Budget und laufen 40 Mal am Tag zwischen Filmset und Schreibraum hin und her.

MENSCH: Am Ende stehen wir für jede Entscheidung gerade. Wenn es zum Beispiel Nacktaufnahmen gibt, müssen wir dabei sein und die Szene mit den Darstellerinnen besprechen.

Die Arbeit hinter den Kulissen ist nach den Weinstein-Enthüllungen oft thematisiert worden. Wie schaffen Sie eine respektvolle Atmosphäre am Set?

MENSCH: Wir sorgen für den richtigen Ton bei den Dreharbeiten und fungieren als Vorbilder im Umgang miteinander. Was auch heißt, das wir Fehlverhalten umgehend ansprechen müssen.

FLAHIVE: In der ersten Staffel haben schon sehr viele Frauen am Set gearbeitet, diesmal waren es sogar mehr. Und man spürt den Unterschied.

In der zweiten Staffel der Netflix-Serie „Jessica Jones“ führten bei allen 13 Folgen Frauen Regie. Haben Sie über eine ähnliche Regel nachgedacht?

MENSCH: Nein, wir hatten nie vor, exklusiv mit Regisseurinnen zu drehen. Es gibt männliche Regisseure, mit denen wir unbedingt arbeiten wollten.

FLAHIVE: Wichtig ist die richtige Mischung.

Man hört oft den Vorwurf, Regisseurinnen haben nicht genug Erfahrung – eben weil sie zu wenig Gelegenheiten bekommen.

FLAHIVE: Die meisten unserer Regisseurinnen arbeiten seit Jahren in der Branche. Aber wir haben versucht, auch Jüngere zu unterstützen, von denen wir glauben, dass sie Aufmerksamkeit verdienen.

„Glow“ ist Ihr Debüt als Showrunner, zuvor arbeiteten Sie als Autorinnen für andere Serien. Bemerken Sie einen Wandel in der Branche?

Ein Herz für Kämpferinnen: die beiden Showrunnerinnen Carly Mensch (l.) und Liz Flahive.
Ein Herz für Kämpferinnen: die beiden Showrunnerinnen Carly Mensch (l.) und Liz Flahive.

© Matthias Clamer/Netflix

MENSCH: Wir haben mit Jenji Kohan eine erfahrene Produzentin und sind sehr behütet in die Szene eingeführt worden. Wir waren uns dieses Privilegs allerdings bewusst. Als wir dann während des Drehs die Geschichten unserer Darstellerinnen hörten, fühlten wir uns darin bestätigt, dass wir etwas anders machen. Man muss schon sehr naiv sein, um nicht zu verstehen, wie die Branche funktioniert.

In einer der neuen Folgen hat Hauptdarstellerin Alison Brie einen „Geschäftstermin“ mit einem Sender-Boss – in der Hotelsuite. Ein Kommentar auf Weinstein?

MENSCH: Die Szene stand im DrehbuchEntwurf, bevor der Weinstein-Skandal bekannt wurde. Als immer mehr Frauen an die Öffentlichkeit gingen, wussten wir, wir erzählen die richtige Geschichte.

Der Erfolg von „Glow“ scheint auch ein Indiz dafür zu sein, dass Netflix von der Politik der großen Namen abrückt und wieder vermehrt auf Shows mit unbekannteren Darstellern setzt. Man kennt vor allem Alison Brie, etwa aus „Mad Men“.

FLAHIVE: „Glow“ handelt von Außenseiterinnen, so hatten wir Netflix die Serie angeboten. Sie sollte kein Star-Vehikel sein.

Bekommen Sie denn gar keine Vorgaben, was das Publikum sehen möchte oder wie lang eine Szene dauern darf? Man hört so viel von den Nutzer-Algorithmen. Aber niemand weiß, was Netflix damit anstellt.

MENSCH: Es gab keine Vorgaben. Das Schöne an der Arbeit mit Netflix ist die künstlerische Freiheit, das stimmt tatsächlich. Man erfährt zwar keine Nutzerzahlen, was frustrierend sein kann, weil man nie weiß, wie beliebt die Serie ist. Aber uns hat kein Netflix-Executive je mit einem Algorithmus behelligt.

Nicht mal Sie erfahren, wie viele Menschen Ihre Serie sehen? Erhalten Sie aus heiterem Himmel eine Mail, in der steht: „Ihr dürft eine zweite Staffel drehen“?

MENSCH: Nein, Netflix verrät auch uns keine Zahlen. Sie waren aber so freundlich, uns über die Verlängerung der Serie nicht per Mail zu informieren.

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